Das süße Gift des Geldes. Bhavya Heubisch

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Das süße Gift des Geldes - Bhavya Heubisch

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stockig, der Spiegel halb blind. Sie öffnete die verklemmte Schranktür, der Naphthalingestank raubte ihr fast den Atem. Sie setzte sich aufs Bett, zog Schuhe und Strümpfe aus und fuhr über die Blasen an ihren Fersen. Kramte in ihrem Koffer nach dem Lederetui, nahm eine Nadel heraus und stach die Blasen auf. Presste das Wasser aus der aufgeblähten Haut. Zog vorsichtig die Strümpfe darüber und schlüpfte in bequemere Schuhe. Obwohl sie hundemüde war, wollte sie nichts wie raus.

      Draußen war es schon dunkel, nur ein paar Gaslaternen spendeten gelbfunzliges Licht. In der Theatinerstraße blieb sie vor dem Schaufenster des Hofschneiders stehen und betrachtete die Tuchrollen, Bänder und Hauben. Eine Riegelhaube, durchzogen mit feinen Goldfäden, stach ihr ins Auge. So eine würde sie sich kaufen, sobald sie wieder zu Geld gekommen war. Sie schlenderte vorbei an der Residenz und setzte sich auf die Stufen der Feldherrnhalle. Die wenigen Menschen, die noch unterwegs waren, drehten sich um, verwundert über die einsame Frau zu Füßen des Feldherrn Tilly.

      Drüben beim „Tambosi“ drang helles Licht durch die Fenster und malte schillernde Kreise auf den Boden. Als sich die Tür öffnete, hörte sie es grölen: „Frisch auf ihr Kameraden / Frisch auf zum Waffentanz“. Wie gern säße sie jetzt bei den Offizieren und Kadetten der Hofgartenkaserne. Sie kaute an ihren Fingernägeln. Geld musste her. Dringend. Aber wie die Clara in einem miefigen Hutladen enden? Niemals. Wozu war sie eine begnadete Schauspielerin?

      Sie zog die Pelerine1 fester um die Schultern und machte sich auf den Heimweg. Still lag der Marienplatz vor ihr. Aus den dunklen Arkaden starrte ihr die Finsternis wie ein schwarzer Schlund entgegen. Schon als Kind war sie vor dem verrufenen Ort gewarnt worden, an dem tagsüber, unter dem Bildnis des heiligen Onuphrius, Händler verfleckte Heiligenbilder, verbeultes Emaillegeschirr und zerflicktes Gewand feilboten. Kaum wurde es Nacht, machten sich die Händler davon. Dann versammelten sie sich, die Verbuckelten, Vergrindeten, vom Leben Ausgespuckten. Schlugen ihr Nachtlager auf in dem verbrunzten, stockfleckigen Gang. Adele fasste sich ein Herz, bekreuzigte sich vor der Mariensäule und huschte vorbei an dem unheimlichen Gewölbe. Ein Schatten löste sich aus dem Dunkel, ein stinkender Geselle heftete sich an ihre Fersen.

      Verzweifelt blickte sich Adele um, doch nirgends war ein Passant zu sehen. So forsch wie möglich schrie sie den Kerl an: „Hau ab! Lass mich in Ruh!“

      „Eine Ruh gibt’s erst in der Ewigkeit.“ Zahnluckig grinsend streckte er dreist den Arm nach ihrer Handtasche aus. Doch sein Griff ging ins Leere.

      Adele raffte ihren Rock und rannte davon. Sie rutschte aus auf Pferdeäpfeln, stolperte vor zum „Bögner“ und knallte dem Kerl, der nicht abließ von ihr, die Tür vor der Nase zu. Seinen Pestilenzgestank noch in der Nase, hastete sie die Treppe hinauf und fiel weinend aufs Bett.

      Am nächsten Morgen öffnete sie mühsam die verschwollenen Augen, goss Wasser in die von Sprüngen durchzogene Porzellanschüssel und wusch sich das rotfleckige Gesicht. Die Zeit drängte, wenn sie den Intendanzrat noch am Vormittag sprechen wollte. Sie schlüpfte in ihr bestes Kleid und brachte die Schuhe auf Hochglanz. Bändigte ihr Haar mit einem Elfenbeinkamm, verließ das Gasthaus und schlug den Weg zum Residenztheater ein.

      Beklommen stand sie vor dem Theater, legte sich noch einmal die Worte zurecht, mit denen sie den Intendanzrat dazu bringen wollte, sie auftreten zu lassen. Sie fuhr sich noch einmal durchs Haar und betrat die weitläufige Halle. Zugeherinnen wienerten den Boden, polierten den Handlauf des säulengedrechselten Geländers.

      Adele stieg die Treppe hinauf und suchte die Türen ab. Intendanzrat Schmitt. Hier war sie richtig. Sie klopfte an und betrat nach einem forschen „Herein“ das Zimmer.

      „Was willst?“ Unwillig blickte Schmitt über den Rand seines goldgefassten Kneifers.

      „Wenn’s gestattet ist, eine Stelle tät ich suchen.“

      „Da kommst zu spät. Die Stelle der Zugeherin ist schon weg.“

      „Als Schauspielerin tät ich gern arbeiten.“

      Schmitt riss sich den Kneifer von der Nase, sprang hinter dem Schreibtisch hervor, öffnete die Tür und rief über den Flur: „Meisner, kommens mal rüber.“

      Ein untersetzter Mann betrat das Arbeitszimmer des Intendanzrats. „Was will denn die?“

      Mit mageren Fingern stocherte Schmitt hin zu Adele. „Als Schauspielerin will sie uns beehren.“

      Meisner verdrehte die Augen. „Spinnt die?“

      Schmitt witterte, einem Bluthund gleich, Adeles Unsicherheit und durchbohrte sie mit seinem Blick. „Was glaubst eigentlich, wer du bist?“ Sah befriedigt, wie sie zusammenzuckte, und tippte ihr mit dem Zeigefinger gegen die Brust. „Stehen genug Schlange bei uns. Schönere als wie du.“

      Adele wich einen Schritt zurück. „In Berlin war ich eine gefragte Schauspielerin. Hab mehrmals das Käthchen von Heilbronn gespielt.“

      „In Berlin!“ Schmitts Stimme überschlug sich. „Da schau her. Bei den Preußen hätt sie gespielt. Aber wir sind hier in Bayern, fallst es noch nicht gemerkt hast. Die Jüngste bist auch nicht mehr. Wie alt bist eigentlich?“

      „Sechsunddreißig.“

      „Schau, dass du hinauskommst! So was Altes stellen wir gewiss nicht ein.“

      „Aber …“

      „Raus!“

      Mit zitternden Knien verließ Adele das Gebäude, überquerte den Platz vor dem Theater und lehnte sich an den Sockel des Max-Joseph-Denkmals. Sie zog eine Zigarette aus der Tasche, zündete sie an und sog den Rauch gierig ein. So ein Dreckskerl! Ein Messer sollte man ihm in die Brust stoßen. Es immer wieder umdrehen, bis er verreckte. Sie trampelte die Zigarette aus, nahm die Korallenkette vom Hals, fetzte die fein ziselierte Brosche von der Bluse und zog den Rubinring vom Finger.

      In der Rumfordstraße stieß Adele die Tür des Pfandladens auf, den sie noch aus ihrer Kindheit kannte. Hustete. Staubig roch es. Ranzig. Auf den Regalen reihten sich Bücher mit abgegriffenen Einbänden, eingestaubte Kristallgläser, Porzellanfiguren, silberne Kandelaber. An der Wand hingen Degen, Gewehre und Pistolen mit Silberknäufen neben Gemälden in dicken Goldrahmen. Sie trat an eine Vitrine und betrachtete die Perlenketten, Ringe und Broschen hinter dem eingetrübten Glas.

      Der Pfandleiher, mit einer Haut wie zerknittertes Pergament, die speckige Jacke mit einem Gürtel achtlos zusammengebunden, kam aus einem Hinterraum. „Was gibt’s?“

      Adele öffnete die Kordel ihres Pompons2 und zog den Schmuck hervor. „Wie viel zahlen Sie mir dafür? In zwei Wochen lös ich’s wieder aus.“

      Er deutete auf die Vitrine. „Hab genug von dem Zeug.“ Er klemmte sich die Lupe vors Aug, befingerte den Rubinring, begutachtete die Kette, drehte die Brosche hin und her. „Viel ist’s nicht wert. Dreißig Gulden für alles zusammen. Und wenn Sie’s auslösen, krieg ich dreißig Prozent Zins obendrauf. Pro Woche.“

      „Sind Sie narrisch? Der Schmuck ist leicht das Dreifache wert. Geben Sie mir wenigstens vierzig Gulden.“

      „Dreißig und keinen Kreuzer mehr. Wenn’s Ihnen nicht passt, könnens alles wieder einpacken.“

      Adele stopfte das Geld, das er ihr samt Schuldschein hinhielt, in den Pompon. Drehte sich um an der Tür und stieß hervor: „Ein Wucherer bist!“

      „Hättest ja nicht kommen brauchen.“ Der Pfandleiher rieb sich die

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