Der Schattendoktor. Adrian Plass

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Der Schattendoktor - Adrian Plass

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Es kam mir vor wie die Pointe eines unglaublich komischen Witzes. Ich brach in unbändiges Gelächter aus und konnte gar nicht wieder aufhören zu lachen, wie ich es nicht mehr getan hatte, seit William gestorben war. Eine nervöse Reaktion wohl zum Teil, aber es war noch mehr als das. In den Tränen der Heiterkeit, die mir an diesem Abend aus den Augen flossen, muss irgendein reinigender Wirkstoff gewesen sein. So fühlte es sich an. Manchmal sagen Leute, sie seien vor Lachen umgefallen, nicht wahr? Ich hing am Ende schief über der Armlehne meines Sessels und stopfte mir ein Taschentuch in den Mund, um mich irgendwie wieder unter Gewalt zu bekommen. Äußerst blamabel.

       Als ich mich ein wenig beruhigt hatte, entschuldigte ich mich, doch Doc lächelte nur und fragte: »Nun – was halten Sie von der Scrabble-Variante?«

       »Tut mir leid, aber ich weiß nicht genau, wie Sie das meinen. Wollen Sie mir sagen, ich solle mich einem Scrabble-Verein anschließen oder so etwas?«

       Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, und seine Augenbrauen schossen vor Schreck in die Höhe.

       »Grundgütiger, nein, Sie haben doch sowieso schon den Lebenswillen verloren. Warum alles noch schlimmer machen? Nein, ich will nur andeuten, dass Sie außer einem trostlosen Leben und der schmerzlosen Auslöschung auch noch die Wahlmöglichkeit haben, heute Abend mit mir eine Partie Scrabble zu spielen. Was halten Sie davon?«

       Ich blickte nicht mehr durch, war aber seltsam fröhlich dabei. »Doc, was Sie da sagen, ergibt nicht den geringsten Sinn.«

       »Na ja, einen Sinn vielleicht nicht, aber können wir trotzdem eine Runde Scrabble spielen? Ich liebe dieses Spiel. Allerdings muss ich Sie warnen. Ich bin unverschämt gut darin.«

       »Ich auch. Na schön, dann spielen wir, aber wieso sind Sie so sicher, dass ich überhaupt ein Scrabble-Spiel dahabe? Oder dass ich Lust zum Spielen habe?«

       »Kleinigkeit für einen genialen Detektiv wie mich. Ich sehe es ja dort in Ihrem Sekretär liegen. Andere Spiele liegen dort nicht; also vermute ich, dass Sie sich verkleinern mussten, als Sie hier eingezogen sind, und deshalb alle anderen Brettspiele, die Sie hatten, ausgemistet haben. Das Scrabble aber haben Sie behalten, weil Sie es so sehr mögen und hofften, es irgendwann wieder einmal spielen zu können.«

       »Na gut, Sherlock, Sie holen das Spiel heraus, und ich räume den Tisch ab. Dann koche ich uns noch einen Kaffee. Aber warten Sie nur. Sie werden Ihr blaues Wunder erleben!«

       Ach, lieber Jack, wie habe ich diese Partie Scrabble genossen! Mit einem warmherzigen, netten Mann mit etwas rauen Kanten zusammenzusitzen und ein Spiel zu spielen, das ich schon immer geliebt habe. Ein Leuchten ging von alldem aus. Und was mich begeisterte, oder eher erleichterte, war die Entdeckung, dass irgendwo in meinem Bauch immer noch die nötige Mechanik vorhanden war, um mich vor Lachen zu kugeln. Ich hatte gedacht, die wäre längst weg. Es war ein positiver Schock, dass ich sie immer noch hatte. Nicht etwa, dass ich es in diesem Moment ein Aufkeimen von Hoffnung genannt hätte, aber jetzt denke ich doch, dass es das vielleicht war.

       Ich hätte das Scrabble-Spiel übrigens beinahe gewonnen. Darf ich Dich mit den Einzelheiten langweilen? Manchmal liege ich nachts wach und lasse mir den Weg, der mich zu meinem letzten Wort führte, noch einmal auf der Zunge zergehen. Ganz am Ende brauchte ich hunderteinundzwanzig Punkte, um zu gewinnen, und es sah hoffnungslos aus. Die sieben Buchstaben auf meinem Bänkchen waren f, k, a, l, r, t und noch ein a. Docs letztes Wort war »Gabe« gewesen und endete auf dem Feld gleich neben dem roten dreifachen Wortwert in der Mitte des rechen Brettrandes. Ich wusste, mit einem Wort, das ans Ende von »Gabe« passte, könnte ich ordentlich Punkte einheimsen. Große Chancen darauf rechnete ich mir bei meinem Sammelsurium von Buchstaben nicht aus, bis mir plötzlich auffiel, dass sich daraus das Wort »Fraktal« bilden ließ. Großartig!

       Aber die Frage war: Konnte irgendeiner dieser Buchstaben zusammen mit »Gabe« ein neues Wort ergeben? Beinahe hätte ich es übersehen, dabei lag es so nahe. Das Wort war »Gabel«. Das war mein Verbindungswort! Ich bekam also siebenundzwanzig Punkte für »Gabel«, zweiundvierzig für »Fraktal«, und das Tollste, noch einmal fünfzig, weil ich alle meine Buchstaben verwenden konnte! Hundertneunzehn Punkte für einen Zug. Es reichte nicht ganz zum Sieg, aber was für ein Hochgefühl! Und für mich eine Rekordpunktzahl.

       Bald nach dem Ende unseres Spiels machte sich Doc auf den Weg. Als er sich wieder eingepackt hatte und in der Tür stand, um erneut der Witterung zu trotzen, drehte er sich um und sagte zu mir: »Alice, ich habe unseren gemeinsamen Abend sehr genossen, und besonders das Scrabble-Spiel. Es kann gut sein, dass ich in der nächsten Zeit hin und wieder mal in Eastbourne bin. Dürfte ich mich dann melden, damit wir wieder einmal spielen können? Wenn ich natürlich durch Ihren Anrufbeantworter erfahre, dass Sie sich inzwischen umgebracht haben, wird wohl nichts daraus, aber – nun ja, ich fände es schön.«

       Ich schrieb ihm meine Nummer auf ein Blatt aus dem kleinen Notizbuch auf dem Tischchen in der Diele, und er steckte sie in seine Seitentasche.

       »Danke, Alice. Auf Wiedersehen.«

       Das war’s. Er war weg. Und ebenso weg war, ob Du es glaubst oder nicht, die scharfe Kante meiner Absicht, mir das Leben zu nehmen. Frag mich nicht, warum. Es war einfach so. Seltsam. Irgendetwas in mir hatte zu schweben begonnen. Klarer kann ich es nicht ausdrücken. Nicht zuletzt zeigte sich das darin, dass ich mich nicht mehr so störrisch dagegen gewehrt habe, mir von anderen helfen zu lassen. Wie Du weißt, kommen die wunderbaren Leute von Golden Hands jetzt jeden Tag hierher. Zwei davon, besonders ein Mädchen namens Barbara, sind mir echte Freundinnen geworden. Und Doc hat mich auch wieder besucht. Zwei oder drei Mal seit jenem ersten Abend. Jedes Mal rief er mich vorher an, um zu sagen, dass er in Eastbourne sei, und um sich zu erkundigen, ob ich noch am Leben sein würde, wenn er vorbeikäme. Wirklich witzig. Schöne Begegnungen. Schöne Gespräche. Jede Menge vergrabener Schätze. Und beim Sichten dieser Schätze habe ich manches gelernt, was ich bisher nie gewusst hatte. Du würdest staunen. Ich werde Dich jetzt nicht damit behelligen. Das erzähle ich Dir ein anderes Mal.

       Eine Sache noch. Das letzte Mal, als Doc mich besuchte, gab er mir eine Karte, bevor er ging.

       »Mir kommt da ein Gedanke, Alice«, sagte er. »Hier steht eine Nummer drauf. Es ist nicht meine direkte Nummer, aber die Person am anderen Ende weiß, wie ich zu erreichen bin. Wir haben ja viel über Ihren Enkel geredet. Wenn Sie meinen, es wäre vielleicht gut, wenn wir mal miteinander reden – nun, er darf sich gerne jederzeit melden.«

       Also habe ich das gemacht. Die Karte, die er mir gegeben hat, steckt mit diesem Brief zusammen im Umschlag. Warum ich bis jetzt damit gewartet habe? Ich weiß es nicht. Warum es vielleicht gut für Dich wäre? Keine Ahnung. Ich lasse mich einfach mit der Strömung treiben. Es ist Deine Entscheidung.

       Wahrscheinlich liegen Dir noch zwei letzte Fragen auf der Seele. Warum habe ich Dir nie von Doc erzählt? Ich vermute, weil die Begegnung mit ihm ein ganz besonderes kleines Goldkörnchen nur für mich war. Ich hatte nie damit gerechnet, dass in meinem Leben noch einmal etwas Besonderes passiert. Und da wollte ich, dass es meine Privatsache bleibt. Meine ganz allein. Aber ich habe es sehr genossen, Dir davon zu schreiben. Ich hoffe, Du bist mir nicht allzu böse.

       Die andere Frage habe ich mir selbst schon oft gestellt. Sie betrifft seinen Namen. Was für ein Doktor ist er eigentlich? Ist er überhaupt ein Doktor? Ich bin immer noch nicht dazu gekommen, ihn danach zu fragen. Bis Du diesen Brief bekommst, schaffe ich es vielleicht noch, aber dann werde ich es Dir nicht mehr sagen können.

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