Der Schattendoktor. Adrian Plass
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Читать онлайн книгу Der Schattendoktor - Adrian Plass страница 7
»William.«
»William ist mein Mann.«
»Ich glaube, der Wind hat sich ein bisschen gelegt. Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten und ein bisschen helfen, wieder hinauf auf die Straße zu kommen?«
»Oh! Oh. Ja. Vielen Dank. Ja. Ich bedanke mich herzlich …«
»Verraten Sie mir Ihren Namen?«
»Ich heiße Alice. Und Sie?«
»Doc. Sie können mich Doc nennen.«
Jack legte das A4-Blatt neben seine Kaffeetasse auf den Tisch und rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. Er brauchte ein paar Augenblicke, um seine Empfindungen über das, was er erfahren hatte, zu sortieren. Alices Versuch, ihre Haltung zu seinem Glauben zu erklären, hatte ihn erschüttert. Wie hatte sie noch geschrieben?
»Du bist ein Schatz, was immer Du auch glaubst …«
Was sollte das heißen? Was für einen Reim sollte er sich darauf machen?
Doch vor allem die Nachricht, dass seine Großmutter ihrem Leben ein Ende hatte machen wollen und aus irgendeinem Grund bei ihm keine Hilfe gesucht hatte, traf ihn tief und erschreckte ihn auf einer sehr elementaren Ebene. Jack hatte sich nie mit der wortlosen, unausweichlichen Botschaft dieses Aktes auseinandersetzen müssen. Nun jedoch konnte er sie spüren.
»Ihr Leute, denen etwas an uns liegt. Ihr Angehörigen und Freunde und Liebhaber, die ihr uns ins Herz geschlossen habt. Ihr seid nicht genug. Wärt ihr genug, so würden wir bleiben. Wir gehen, und ihr werdet nur durch Zufall herausfinden, dass wir gegangen sind.«
Es war eine harte Logik.
»Ach, Oma!«, flüsterte Jack in seine Hände hinein. »Ich glaube, dir ist nie klar gewesen, wie sehr ich es brauchte, dass du mich brauchtest. Ich hätte es dir sagen sollen. Und du hättest es mir sagen sollen. Du hättest es mir wirklich sagen sollen …«
Er schaute wieder auf das Blatt, das vor ihm lag. Offensichtlich war die ganze Sache mit dem Suizid vorbeigegangen. Oma war eines natürlichen Todes gestorben. Das wusste er. Aber was hatte es mit diesem Vielleicht-würdest-du-es-Glauben-nennen-Erlebnis auf sich und mit diesem fremden Mann, dem sie mitten in einem Unwetter begegnet war? Und was, so fragte er sich, als er wieder zu Alices Brief griff, wollte sie ihm vorschlagen, das er vielleicht tun sollte?
Er kam kaum hinterher. Die Gedanken seiner Großmutter liefen meistens nicht in besonders geraden Bahnen, um es milde auszudrücken.
Jack steckte seinen Schlüssel in die Tasche, raffte den Umschlag und die Briefbögen zusammen, zahlte an der Theke seine Rechnung und ging auf sein Zimmer im zweiten Stock. Dort, in der geordneten Zurückgezogenheit, die nur in einem doppelt verriegelten Hotelzimmer zu finden ist, nahm er sich einen Whisky aus der Minibar und machte es sich an dem Fenster bequem, das laut Broschüre einen »Seitenblick aufs Meer« bot. Dieses Extra verteuerte den Zimmerpreis pro Nacht um zehn Pfund, aber Jack fand, dass sich jeder Penny dafür lohnte. In diesem behaglichen Erker fühlte er sich paradoxerweise viel näher an der dunklen, wogenden See und dem verlassenen Strand, den anderen verirrten Seelen und dem hoch aufragenden Beachy Head weit drüben im Westen.
Er nahm den Brief seiner Großmutter zur Hand und las weiter:
Und so marschierten wir los, Jack, ich wieder total vermummt und er mit hochgeschlagenem Mantelkragen, und ich muss sagen, es tat gut, mich auf einen starken Arm stützen zu können. William wäre das nur recht gewesen. Nicht, dass ich allein hinunter ans Ufer gegangen wäre. Darüber hätte er mit mir geschimpft. Aber Hilfe von einem freundlichen Herrn anzunehmen – das hätte er als vernünftiges, besonnenes Verhalten angesehen.
Ohne etwas zu sagen, stiegen wir die Stufen hinauf und überquerten die King’s Parade hinüber zur anderen Straßenseite. Es hätte auch keinen Sinn gehabt. Der Regen war nicht mehr so schlimm wie zuvor, aber der Sturm drosch auf alles ein, was sich ihm in den Weg stellte, wie ein Wahnsinniger, der spürte, dass man ihm eine Zwangsjacke anlegen wollte. Erst im Schutz des kleinen weißen Vordaches vor meiner Wohnung konnten wir uns wieder sprechen hören. Im Licht der Außenlampe über meiner Tür konnte ich ihn jetzt deutlicher sehen. Sein Alter hatte ich etwa richtig eingeschätzt, glaube ich. Er hatte ein gutgeschnittenes Gesicht. Glattrasiert. Gutaussehend, aber nicht so wie ein Filmstar. Eher wie ein Bühnenschauspieler. Ein zerfurchtes Gesicht mit vielen Falten, die es aber nur interessanter aussehen ließen. Die Augen traurig, aber freundlich. In ihnen schlummerte vielleicht so etwas wie eine schwererrungene Freude, wenn Du Dir darunter etwas vorstellen kannst. Braunes, gewelltes Haar, ein bisschen lang für sein Alter, durchzogen von grauen Strähnen und von Wind und Regen zu Locken zerzaust. Er sah so beruhigend aus, wie er dort stand, die Hände tief in den Taschen seines Barbour-Mantels vergraben. Er wartete wohl, nahm ich an, dass ich in meiner Wohnung verschwinden und die Tür sicher hinter mir schließen würde. Ich hatte schon angefangen, irgendetwas ziemlich Vorhersehbares zu sagen, um ihm für seine Hilfe zu danken, als er mich unterbrach.
»Alice«, sagte er, »ich würde sehr gerne William kennenlernen, wenn das möglich ist.«
Mein Sicherheitsschlüssel steckte schon im Schloss, als er das sagte. Ich erstarrte. William war nicht da. William war tot. Ich hatte diesen Mann, der sich Doc nannte, angelogen.
Egal. Irgendeine knappe Ausrede. Das Essen steht bestimmt schon auf dem Tisch. Ein anderes Mal vielleicht. Sehr nett von Ihnen, dass Sie mich nach Hause begleitet haben. Irgend so etwas.
»Ja, das wäre nett. Kommen Sie herein, und ich stelle Sie William vor. Es ist reichlich zu essen da, genug für zwei.«
Nachdem wir ein paar Minuten später unsere nassen Sachen in der Diele deponiert hatten, führte ich ihn ins Wohnzimmer und bot ihm den größeren Sessel an, den unter dem Kunstdruck, den Du so magst. Du weißt schon, den mit dem Titel »Freunde«, mit zwei Männern, die nebeneinandersitzen und ein bisschen nervös dreinschauen, aber immerhin bereit sind, sich malen zu lassen. Du hast ihn natürlich inzwischen geerbt, nicht wahr, Jack? Was für ein schöner Gedanke, dass ein Bild, das William sehr liebte, jetzt an einer Wand in Deinem Haus hängt.
Ich plappere so, weil es mir peinlich ist, was ich Dir jetzt zu erzählen habe. Ich will beschreiben, was mein Gast gesehen haben muss, als er auf diesem Sessel Platz nahm und sich umschaute. Am hinteren Ende des Zimmers war mein Tisch mit den ausklappbaren Beinen, an dem Du und ich manchmal gesessen haben, fürs Abendessen gedeckt. Es waren zwei Gedecke da. Zwei Tischsets, zwei Weingläser, zwei Wassergläser, zwei kleine Teller und zwei bestickte Servietten, die in den schönen alten silbernen Serviettenringen von meiner Mutter steckten. Auf dem Tischset gegenüber der Küchenluke stand, dem anderen Platz zugewandt, ein Foto. Es war ein Porträt von William, das ein paar Jahre vor seinem Tod aufgenommen worden war. Kurz bevor er sich auf den Weg in die Stadt machte, um dieses Foto machen zu lassen, lachten wir noch darüber, dass ich ihn gebeten hatte, so zu tun, als lächelte er mich an, wenn der Fotograf auf den Auslöser drückte. Ich glaube