Ideologie, Kultur, Rassismus. Stuart Hall

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ideologie, Kultur, Rassismus - Stuart Hall страница 3

Автор:
Серия:
Издательство:
Ideologie, Kultur, Rassismus - Stuart  Hall

Скачать книгу

Es gehört mit zu den schwersten Übungen, aus dem Manifest herauszu»lesen«, wie das Verhältnis von Klassen und Produktionsweise gefasst wird, und umgekehrt die Gesetze und die Bewegung des Kapitals im Kapital unter der Perspektive des Klassenkampfes zu »lesen«. Was Letzteres angeht, so gibt uns Marx selbst (wiederum in einem Brief, diesmal an Engels vom 30. April 1868) einen wunderbaren Einblick in die Art der Beziehung beider zueinander. Im Wesentlichen fasst er seine Argumentation aus dem dritten Band zusammen. Er geht einige der komplexesten – technischen – Theoreme durch: die Konstituierung der »Durchschnittsprofitrate«, das Verhältnis zwischen den verschiedenen Produktionszweigen, das Problem der Transformation »von Wert in Produktionspreis«, den tendenziellen Fall der Profitrate. Danach kehrt er schließlich zu dem zurück, was den »Ausgangspunkt der Vulgärökonomie« ausmacht: zur berühmten Trinitarischen Formel (deren vernichtende Entlarvung in extenso im dritten Band eine der reichhaltigsten Abschnitte dieses Werkes ist). Gemeint ist die Formel, die die Verteilung des Profits als harmonischen Rückfluss jedes seiner Teile zu dem ihm zugehörigen Faktor in der kapitalistischen Produktion »erklärte«: die Grundrente entspringt dem Boden, der Profit (Gewinn) dem Kapital, der Lohn aus der Arbeit. Indem Marx die »wirkliche« Bewegung hinter dieser Verteilung enthüllte, entlarvte er ihre »Erscheinungsform«; aber das ist keine bloße »theoretische« Entmystifizierung:

      »Endlich, da jene drei (Arbeitslohn, Grundrente, Profit [Zins]) die Einkommensquellen der drei Klassen von Grundeigentümern, Kapitalisten und Lohnarbeitern – der Klassenkampf als Schluss, worin sich die Bewegung und Auflösung der ganzen Scheiße auflöst.« (Marx/Engels 1972, 172)

      Althusser hat uns vorgeführt, wie theoretische Texte zu »lesen« sind – mit der Methode des »symptomatischen Lesens«. Meine eigenen Anmerkungen oben gehen nicht so weit. Die Idee des »symptomatischen Lesens« ist natürlich Freuds Theorie der Symptombildung im Diskurs des Patienten entnommen, wie er sie in seinem wichtigen Werk über Die Traumdeutung entwickelt hat. Wendet man diese ausgereifte Theorie nun auf theoretische Texte an, dann entsteht das Problem ihrer Kontrollierbarkeit. Es ist eine Sache, einen komplexen Text mit einem stets offenen Auge für die Matrix der begrifflichen Prämissen und Sätze zu lesen, die diesen Text tragen und ihm seine wie auch immer geartete theoretische Konsistenz geben – und uns helfen, sein »Schweigen«, seine Leerstellen, zu identifizieren. Das Herauslesen von Leerstellen ist mit Sicherheit ein tragendes Fundament einer kritischen theoretischen Praxis. Eine ganz andere Sache aber ist es, das »symptomatische Lesen« als eine Art theoretischer Guillotine zu benutzen, mit der jeder Begriff, der die Tollkühnheit besitzt, vom vorgezeichneten Weg abzuweichen, einfach geköpft wird. Leider ist die Grenze zwischen beiden Lesarten fließend.

      Es ist nicht immer leicht, zwischen einem »symptomatischen Lesen« zu unterscheiden, mit dem wir die theoretische Struktur eines marxschen Textes aus den Oberflächenformulierungen herauslesen können, in denen die Begriffe in ihrem – wie es manchmal etwas dubios genannt wird – »praktischen Zustand« erscheinen, und einem »symptomatischen Lesen«, das in Wirklichkeit nur einen Deckmantel dafür liefert, diese »praktischen Begriffe« in ihren »reinen« theoretischen Zustand zu versetzen, so dass der Text dazu gebracht wird, auch »tatsächlich« das zu sagen, was immer der Leser von vornherein hören wollte. Das Kapital lesen (Althusser 1971), das sich dieser Methode in ihrer radikalsten und extremsten Form bedient, bewahrt uns einerseits vor einem »unschuldigen« Lesen von Marx, andererseits aber macht es sich selbst schuldig, das, »was Marx wirklich gesagt hat«, so zu transformieren, dass es – natürlich – das produziert, was die Autoren von Anfang an entdecken wollten. Um es ganz klar zu sagen: Wenn »praktische Begriffe« bei Marx mit Hilfe strukturalistischer Instrumente und Begriffe systematisch auf eine abstraktere theoretische Ebene gehoben werden, dann ist es nicht weiter schwierig, am Ende einen »strukturalistischen« Marx zutage zu fördern. Die Frage – die enorm wichtige Ausgangsfrage von Das Kapital lesen –, was für ein »Strukturalist« der reife Marx denn tatsächlich gewesen ist, kann nicht in dieser zirkulären Weise beantwortet werden. Althusser selbst weiß das. Schließlich war er es, der – in Für Marx – die notwendig geschlossene Zirkularität eines »Lesens«, das seine »Antworten« bereits in Form der Fragestellung vorwegnimmt, klipp und klar demonstriert hat. Er nannte diese Zirkularität – ideologisch.

      Im Folgenden werde ich versuchen, beides zu vermeiden – die »Unschuld« eines »Lesens«, das an der Oberflächenform der Argumentation kleben bleibt, und die spezifische »Schuld«, die einer Interpretationsweise anhaftet, die schlicht meine vorgefasste Meinung bestätigt. Mein Ziel ist eine bestimmte Art der Befragung einiger zentraler Passagen bei Marx darüber, was sie über Klassen und Klassenkampf aussagen. Ich spreche von Klassen und Klassenkampf im Zusammenhang, weil mich diese Verknüpfung in diesem Artikel am meisten interessiert und sie die Auswahl der Passagen bestimmte, die ich untersuchen will. Mir wird es speziell darum gehen, zu zeigen, warum und worin sich Marx Vorstellungen von Klassen und Klassenkampf in verschiedenen Phasen seiner Arbeit verändert haben und welche Entwicklung sie durchliefen. Ich möchte einige der Frühschriften und Texte des »Übergangs« neu überdenken – viele von ihnen wurden allzu rasch auf den begrifflichen Schrotthaufen geworfen. Aber ich werde sie natürlich aus dem Blickwinkel der reifen und entwickelten marxschen Theorie untersuchen – ich werde versuchen, sie nicht »unschuldig«, sondern im Lichte des Kapitals zu betrachten.

      I

      Das Kommunistische Manifest wurde von Marx und Engels für den Bund der Kommunisten verfasst:

      »um ihre Zwecke, ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen dar[zu]legen und dem Märchen vom Gespenst des Kommunismus ein Manifest der Partei selbst entgegenzustellen.« (MEW 4, 461)

      Es wurde am Vorabend der großen revolutionären Erhebung von 1848 veröffentlicht – zum Zeitpunkt seines Erscheinens befand sich Marx bereits auf Einladung der liberal-radikalen Regierung von Frankreich, die Louis-Philippe gestürzt hatte, in Paris. Es sollte eine revolutionäre Sturmglocke sein; viele, wenn nicht alle der darin enthaltenen Vereinfachungen müssen in diesem Zusammenhang gesehen werden. Im Sommer 1848 begann die Konterrevolution sich zu entfalten; Marx und Engels waren zu der Einsicht gezwungen, dass sie die Geburtswehen der bürgerlichen Gesellschaft als deren Totengeläut missverstanden hatten. Marx änderte seine Ansichten, und zwar über weitaus mehr als über die Geschwindigkeit, mit der es zum revolutionären Endkampf kommen sollte. Gwyn Williams (1976) hat gezeigt, wie dieser »Einschnitt« in der Perspektive – ein politischer Einschnitt – seinen Niederschlag in der theoretischen Struktur eines der wichtigsten Texte von Marx fand, im Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte. Ja, man kann, ohne die Zusammenhänge vereinfachen zu wollen, durchaus sagen, dass der historische Zusammenbruch der Achtundvierziger Revolution einen enormen theoretischen Fortschritt im marxschen Verständnis von Klassen und ihrem Verhältnis zum politischen Kampf bewirkt hat. Welche Entfernung er zurückgelegt hat und welche Entdeckungen er gemacht hat, lässt sich ermessen, wenn man die Unterschiede – und Gemeinsamkeiten – bei der Darstellung von Klassen im Manifest von 1847 einerseits und im Achtzehnten Brumaire und den Klassenkämpfen in Frankreich von 1850 und 1852 andererseits herausarbeitet.

      »Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedes Mal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen.« (MEW 4, 462)

      »(…) mit der Entwicklung der Industrie vermehrt sich nicht nur das Proletariat; es wird in größeren Massen zusammengedrängt, seine Kraft wächst, und es fühlt sie mehr. Die Interessen, die Lebenslagen innerhalb des Proletariats gleichen sich immer mehr aus, indem die Maschinerie mehr und mehr die Unterschiede der Arbeit verwischt und den Lohn fast überall auf ein gleich niedriges Niveau herabdrückt. Die wachsende Konkurrenz der Bourgeois (…) machen den Lohn der Arbeiter immer schwankender; die immer rascher sich entwickelnde, unaufhörliche Verbesserung der Maschinerie macht ihre ganze Lebensstellung immer unsicherer; immer mehr nehmen die Kollisionen

Скачать книгу