Ideologie, Kultur, Rassismus. Stuart Hall
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Was diesen Text so fatal verführerisch macht, das ist sein vereinfachender revolutionärer Schwung – sein Elan und die zuversichtliche Gewissheit, mitten in der heranrollenden unaufhaltbaren Welle revolutionären Kampfes und proletarischen Sieges zu sein, und vor allem sein ungebrochener Glaube an die historische Zwangsläufigkeit. Diese Äußerungen reiben sich mit unserem inzwischen geläuterten Wissen über die unendlich »lange Verzögerung« der Revolution – und unserem Wissen, um wie viel komplexer und ungewisser ihr Ausgang geworden ist. Damit verbunden ist die Ablehnung einer der zentralen Thesen, die diese Vorstellung der Entwicklung-durch-Revolution offenbar befördert und stützt: die fortschreitende Vereinfachung der Klassenantagonismen (entlang eines gradlinig gezeichneten Geschichtsverlaufes) in zwei prinzipiell feindliche Lager – Bourgeoisie und Proletariat, die sich in einem »Auflösungsprozess« von einem »so heftigen, so grellen Charakter« (MEW 4, 471) gegenüber stehen. Die gesamte Logik in diesem Teil des Textes ist durch die historische Konstellation, in der er verfasst wurde, überdeterminiert. Die Klassen werden in diesem Text zweifellos, auf recht simple Weise historisch konstruiert: Auflösung des Feudalismus, revolutionäre Rolle der aufkommenden Bourgeoisie, »freie Konkurrenz« und »freie Arbeitskraft«, bei Marx die beiden Voraussetzungen für die Errichtung der kapitalistischen Produktionsweise auf erweiterter Stufenleiter, gigantische Entwicklung der produktiven Möglichkeiten des Kapitals, dann die Industrie- und Handelskrisen, fortschreitende Verelendung, Klassenpolarisierung, revolutionärer Bruch und Umsturz.
Diese Linearität, dieser unverhüllte historische Evolutionismus, wird wesentlich nur durch das Spiel eines einzigen Widerspruchs unterbrochen oder verschoben: durch den Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und den »fesselnden« Produktionsverhältnissen, in die sie eingebettet sind. Dieser Grundwiderspruch bestimmt die Zuspitzung des Klassenkampfes in der kapitalistischen Produktionsweise. Sein Verlauf ist natürlich auch Verzögerungen unterworfen, aber seine Haupttendenz strebt vorwärts – zum Zusammenstoß. Das liegt daran, dass die beiden Ebenen zusammengespannt werden – der Klassenkampf »reift« in dem Maße, wie der Kapitalismus sich »entwickelt«. Ja, Letzterer entwickelt und vollendet den Ersteren: der Kapitalismus ist sein eigener Totengräber. Der Kapitalismus produziert also seine eigene »Negation«: die unterdrückten Klassen, deren aufstrebende Kämpfe diese Phase zu ihrer Vollendung und die Gesellschaft vorwärts in das nächste Stadium ihrer Entwicklung treiben. Da die Konstellation Bourgeoisie versus Proletariat als die »allgemeinste« Form des Klassenkampfes bestimmt wird – das Proletariat als die letzte zu emanzipierende Klasse, als die, die »nichts zu verlieren hat als ihre Ketten« –, umfasst die proletarische Revolution zugleich die Emanzipation aller Klassen oder die Abschaffung der Klassengesellschaft an sich.
Die Grundproblematik des Manifests ist klar. Ihre Präsenz scheint durch die Transparenz der Schreibweise hindurch – eine stilistische Transparenz, die wiederholt, wie die Verhältnisse und Zusammenhänge, von denen der Text handelt, aufgefasst und weiterentwickelt werden: Das Manifest behandelt Klassen als »ganze« Subjekte – kollektive Subjekte oder Akteure. Die Übertragung des Klassenkampfes von der ökonomischen auf die politische Ebene wird als völlig problemlos behandelt. Beide Ebenen sind austauschbar: die eine führt unweigerlich auf die andere. Ihr Zusammenhang stellt sich über das her, was Althusser die »transitive Kausalität« genannt hat. In ihr wird die Geschichte als eine sich entfaltende Abfolge von Kämpfen gefasst – eingeteilt in Epochen, zugespitzt durch den Klassenkampf, der ihr Motor ist. Sie fasst die kapitalistische Gesellschaftsstruktur als eine ihrem Wesen nach einfache Struktur: Ihre unmittelbaren Formen mögen zwar komplexer Art sein, ihre Dynamik und Gliederung werden jedoch als einfach und essenzialistisch begriffen. Ihre Gliederung ist grundsätzlich durch einen einzigen Widerspruch (Produktivkräfte versus Produktionsverhältnisse) »gegeben«, der sich von der ökonomischen »Basis« aus problemlos, gleichmäßig und unverändert durch alle verschiedenen Ebenen der Gesellschaft hindurch entfaltet. Von daher führt der Bruch auf einer Ebene früher oder später zu einem parallelen Bruch auf anderen Ebenen. Diese Auffassung wurde als »historizistisch« definiert (Althusser 1969), da sie eine gesellschaftliche Formation als eine, wie Althusser es nannte, »expressive Totalität« auffasst. Aber hinter diesem »Historizismus« findet sich noch die Spur einer früheren Problematik – die Auffassung der proletarischen Revolution als Befreiung der ganzen Menschheit, als der »Moment«, in dem die Herrschaft der Vernunft in der Geschichte errichtet wird. Diese Problematik erinnert an die humanistische Stoßrichtung z.B. im Abschnitt »Über den Kommunismus« in den Manuskripten von 1844 mit seinen unverhüllt feuerbachschen und hegelschen Obertönen. Eine heroische, humanistische Vision, die sich aber sowohl in ihren wesentlichen Voraussagen als auch in der Art ihrer Begriffsbildung als brüchig erwiesen hat.
Die klarste und entschiedenste Demontage dieser gesamten Problematik findet man ohne Zweifel in Althussers Aufsatz »Widerspruch und Überdeterminierung« in Für Marx (1986). Das Manifest lässt sich heute nicht mehr anders als im Lichte dieser Intervention lesen. Althusser legt darin, kurz gesagt, dar, dass in der konkreten Analyse eines jeden historisch spezifischen Augenblicks der Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktionsweise – der zwischen den Produktivkräften und den sie »fesselnden« Produktionsverhältnissen – zwar »letztendlich« determinierend ist, dass aber dieser Widerspruch allein nicht ausreicht, um zu erklären, wie die verschiedenen Ebenen des Klassenkampfes zu einem revolutionären Bruch führen. Denn da sich die Ebenen einer Gesellschaftsformation nicht so glatt aneinanderfügen wie das Manifest unterstellt, entfalten sich auch die Widersprüche nicht unmittelbar und unvermittelt von der ökonomischen Basis aus, um einen auf allen Ebenen gleichzeitig stattfindenden Bruch zu initiieren. Ja, wie Lenin zu Recht im Hinblick auf 1917 meinte, die entscheidende Frage ist eher, wie sich »völlig verschiedene Ströme, völlig ungleichartige Klasseninteressen, völlig entgegengesetzte politische und soziale Bestrebungen vereinigten, und zwar bemerkenswert ›einmütig‹ vereinigten« als Resultat »einer außerordentlich originellen historischen Situation« (LW 23, 316). Diese verschiedenen Ströme lassen sich also nicht auf die determinierenden »Gesetze« der ökonomischen Basis reduzieren. »(…) der Widerspruch Kapital-Arbeit (ist) niemals einfach (…), sondern (…) immer durch die Formen und die konkreten historischen Umstände spezifiziert (…), in denen er sich auswirkt. Spezifiziert durch die Formen des Überbaus (…), durch die äußere und innere historische Situation (…), da eine Reihe dieser Phänomene vom ›Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung‹ im leninistischen Sinn abhängen kann.« (Althusser 1986, 72)
Das bedeutet, wir müssen uns verschiedene Widersprüche vorstellen, von denen jeder seine eigene Spezifik hat, sein eigenes Entwicklungstempo, eine eigene innere Geschichte und eigene Existenzbedingungen – zugleich »determiniert und determinierend« ist, womit, kurz gesagt, die Frage nach der relativen Autonomie und der spezifischen Wirksamkeit der verschiedenen Ebenen einer Gesellschaftsformation gestellt ist. Bezogen auf das oberste Prinzip des Marxismus – ohne das er theoretisch nicht von irgendeiner anderen »Soziologie« unterscheidbar wäre –, nämlich der »Determination in letzter Instanz durch die (ökonomische) Produktionsweise«, heißt das: Man kann eine entscheidende Wende im Kräfteverhältnis einer Gesellschaftsformation nicht adäquat als Reduktion aller Nebenwidersprüche auf den Hauptwiderspruch »denken«. Kurz, der Marxismus braucht eine Form der Determination, die nicht gleichzusetzen ist mit einem ökonomischen Reduktionismus. Die »Vereinigung« dieser »heterogenen Ströme«, so Althusser, sollte man sich nicht als Reduktion, sondern als einen komplexen Effekt »denken« – eine Anhäufung aller Instanzen und Wirksamkeiten, eine »Fusion«, ein Bruch – eine »Überdeterminierung«. Daraus folgt, dass eine Gesellschaftsformation keine »Totalität« im essenzialistischen Sinne ist, in der eine einfache »Identität« zwischen ihren verschiedenen Ebenen besteht und die Überbauebenen bloße »Epiphänomene«, bloße Begleiterscheinungen der objektiven Gesetze sind, die »die ökonomische Basis« regieren. Es handelt sich vielmehr um