Ideologie, Kultur, Rassismus. Stuart Hall

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Ideologie, Kultur, Rassismus - Stuart  Hall

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seine Aussage auf der objektiven Stellung des Proletariats innerhalb einer Produktionsweise, die auf der Enteignung der Produktionsmittel und der Ausbeutung seiner Arbeitskraft beruht. In diesem Sinne hat der Satz seine Gültigkeit: die revolutionäre Stellung des Proletariats ist durch seine Verortung in einer bestimmten Produktionsweise »gegeben« (spezifiziert). Damit aber lässt sich das Proletariat tendenziell als ein homogenes und undifferenziertes »Klassensubjekt« auffassen – ein Subjekt, das eine Rolle in der Geschichte spielt, aber selbst keine eigene, innere, widersprüchliche Geschichte hat, zumindest nicht in der kapitalistischen Epoche. Diese Prämisse, die von Marx später modifiziert wurde, muss von uns zurückgewiesen werden. Man kann diese Passage freilich auch noch anders lesen, so, als behaupte sie, dass, weil das Proletariat in der ökonomischen Struktur der kapitalistischen Produktion eine objektiv revolutionäre Stellung einnimmt, es deshalb auch und immer empirisch ein revolutionäres politisches Bewusstsein und eine revolutionäre Form politischer Organisation aufweisen muss. Diesen weiteren »Schritt« machte Lukács in Geschichte und Klassenbewusstsein; und wo er anerkennen muss, dass dieses Proletariat sich »empirisch« nicht immer zu der ihm zugewiesenen Bewusstseinsform emporschwingt, behandelt er sie »abstrakt«, als sei sie ein ihm zugeschriebenes Schicksal – sein »potentielles Bewusstsein« –, angesichts dessen die tatsächlichen, konkret historischen Divergenzen bloße zeitweilige Irrtümer sind. Von dieser Position aus lässt sich das für den Marxismus gewaltige historische Problem des »Ökonomismus«, des trade-unionistischen Bewusstseins und des Eingebundenseins der westeuropäischen Arbeiterbewegungen in die Schranken des sozialdemokratischen Reformismus nicht systematisch erklären. Damit kehren wir zu einer der entscheidendsten Schwächen des Manifestes zurück, die in der einen oder anderen Form immer wieder im Text auftaucht, eine Schwäche, die man jetzt zusammenfassend kennzeichnen kann:

      Das Manifest hat recht mit seiner (offenkundig und notwendig schematischen) Behandlung der ökonomischen Konstitution der Klassen im Rahmen der Entwicklungsphasen der Produktionsweise. Aber es hat fatale Mängel, wo die Beziehungen zwischen dem Ökonomischen und dem Politischen systematisch behandelt werden. Hier erhält man entweder nur unbefriedigende Antworten (z.B., Politik und Ökonomie seien mehr oder weniger richtungsgleich, würden sich mehr oder weniger »entsprechen«), oder es bleibt eine Lücke stehen, die dann später immer wieder mit der fehlerhaften Abstraktion eines Lukács’schen Historizismus gefüllt werden kann. Kurz, all das, was notwendig ist, um die Spezifik des politischen Klassenkampfes und seine Beziehung zur ökonomischen Sphäre zu denken – wovon unsere Fähigkeit, »das Ensemble« als ein Ganzes zu erklären, abhängt –, ist zu diesem Zeitpunkt im marxschen Denken als verwendbares begriffliches Instrumentarium noch nicht vorhanden. Die »Entdeckung« dieser Begriffe wurde geradezu erzwungen durch die historische und politische Konstellation, zu deren Erklärung sie benötigt wurde – den Zusammenbruch der 1848er Revolution. Ihre klarste und gehaltvollste Formulierung findet sich denn auch in den Schriften über Frankreich, eher flüchtig (und weniger befriedigend) in den Randbemerkungen zu England – Texte, die, ausgelöst durch die Niederlage der Revolution, in einem Augenblick der theoretischen Reflexion und Klärung geschrieben wurden. Hier befinden wir uns auf dem Boden wirklicher Entdeckungen und eines revolutionären theoretischen Durchbruchs. Dieser Durchbruch findet zwar »im Denken« statt, lässt sich aber wohl kaum angemessen als »epistemologisch« bezeichnen.

      Wir sind jedoch dem Manifest, diesem Text mit seiner blendenden Oberfläche, noch nicht auf den Grund gegangen. Warum und wie haben Marx und Engels sich diese »Klassenvereinfachung« als impliziten Bestandteil der sich entfaltenden kapitalistischen Entwicklung vorgestellt (mit den entsprechend folgenschweren Konsequenzen für die Entzifferung der Bewegungen des Klassenkampfes)?

      II

      Diese »Vereinfachung« wird durch den wachsenden Umfang und die steigende Stufenleiter der kapitalistischen Produktion hervorgerufen. Es ist nützlich, die Umstände, die das Proletariat zunächst hervorbringen, dann entfalten und schließlich alle Mittelschichten in seine wachsenden Reihen treiben, kurz aufzulisten (vgl. MEW 4, 468f.): a) die Formierung einer Klasse ohne Eigentum an den Produktionsmitteln, die nur ihre Arbeitskraft zu verkaufen hat, den »Wechselfällen der Konkurrenz und allen Schwankungen des Marktes« ausgesetzt; b) die Arbeitsteilung als Folge der extensiven Anwendung von Maschinerie, die den Arbeiter »dequalifiziert«, ihn zum bloßen Zubehör der Maschine degradiert; c) die wachsende Ausbeutung der Arbeitskraft, »sei es durch Vermehrung der in einer gegebnen Zeit geforderten Arbeit, beschleunigten Lauf der Maschine usw.«; d) die Zusammenfassung der Arbeiterschaft als »industrielle Armee« in der Fabrik unter dem Kommando von »Unteroffizieren und Offizieren des Kapitals«; e) die Entwertung der Arbeit durch die Senkung des Wertes der Arbeitskraft – die Einstellung von Frauen und Kindern zu niedrigeren Löhnen; f) die Auslieferung der Klasse zur Ausbeutung auf dem Subsistenzmittelmarkt – durch den Hausbesitzer, den Krämer, den Pfandleiher. In diesem Kontext steht g) die These, dass die untere Schicht des Mittelstandes schrittweise »ins Proletariat hinabfällt« – teilweise durch ihren verlorenen Kampf gegen h) das konzentrierte Großkapital. Die Mittelschichten sind das, was Gramsci die »subalternen« Fraktionen der Mittelklassen nennen würde. Sie sind ihrem Wesen nach konservativ und reaktionär, es sind diejenigen, die »suchen das Rad der Geschichte zurückzudrehen«. »Revolutionär« sind oder werden sie nur »im Hinblick auf den ihnen bevorstehenden Übergang ins Proletariat« (MEW 4, 472) – im Hinblick auf ihre »Proletarisierung«.

      Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass alle diese rasch skizzierten Gedanken im 13. Kapitel des ersten Bandes des Kapital, dem Kapitel über »Maschinerie und große Industrie«, wieder auftauchen und dort ausführlich entwickelt werden. Die historische Bildung einer Klasse »freier Lohnarbeiter«, die nichts zu verkaufen hat als ihre Arbeitskraft und aus dem Geflecht der feudalen Beziehungen hervorgegangen ist, ist im Kapital beständiger Bezugspunkt als die »historische Basis« des Kapitals. Die zunehmende Reduktion des Arbeiters auf ein »Zubehör der Maschine« steht im Mittelpunkt der marxschen Beschreibung des Arbeitsprozesses und seiner qualitativen Unterscheidungen zwischen der Phase der »Maschinerie« und der der »großen Industrie«. Die Beschreibung der wachsenden Ausbeutung der Arbeitskraft deutet auf die wichtige Unterscheidung im Kapital zwischen absolutem (Verlängerung des Arbeitstages) und relativem Mehrwert (Zunahme der »toten« im Verhältnis zur »lebendigen« Arbeit) hin. Die Darstellung der zunehmenden Hierarchisierung und des wachsenden »Despotismus« des Kapitals führt dann weiter zur Unterscheidung zwischen »formeller« und »reeller« Subsumtion der Arbeit. Die »Entwertung« der qualifizierten Arbeitskraft und die Bildung einer »Reservearmee« sind zwei entscheidende, dem »tendenziellen Fall der Profitrate« »entgegenwirkende Ursachen«, die beide im ersten Band des Kapital (z.B. in Kapitel 24) diskutiert werden und dann wieder im dritten Band, in dem die wachsenden Konzentrations- und Zentralisationsprozesse des Kapitals ausführlicher dargestellt sind. In diesem Kontext wird auch die Entstehung des »Gesamtarbeiters« beschrieben und zum ersten Mal auf die Ausbreitung der neuen Zwischenschichten als Folge der sich entwickelnden Arbeitsteilung verwiesen, da das alte Kleinbürgertum und seine materielle Basis in »Klein«- und Handelskapital zerfallen. Im Rahmen dieser ausführlichen theoretischen Darstellung wird die Skizze im Manifest, die kaum mehr als einen Hinweis darauf enthält, wie die kapitalistische Produktion die Grundlage für diese Bildung und Neugruppierung der Klassen bildet, erweitert und transformiert. Wir müssen also wiederum die für die Entwicklung einer Theorie der Klassen notwendigen Kontinuitäten und Brüche beachten.

      Die von Marx im Kapital verwandten Formulierungen, dort, wo er die allgemeine Tendenz der ganzen Entwicklung – in konzentrierter Form – darstellen will, sind denen, die er im Manifest anwendet, auffallend ähnlich. Man braucht sich nur dem zusammenfassenden Überblick in dem kurzen Abschnitt über die »Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation« im 24. Kapitel des ersten Bandes zuzuwenden, um die vertrauten Sätze erneut zu hören:

      »Auf einem gewissen Höhegrad bringt sie die materiellen Mittel ihrer eignen Vernichtung zur Welt. Von diesem Augenblick regen sich Kräfte und Leidenschaften im Gesellschaftsschoße, welche sich von ihr gefesselt fühlen. (…) Sobald dieser Umwandlungsprozess nach Tiefe und Umfang die alte Gesellschaft hinreichend zersetzt hat, sobald die Arbeiter in Proletarier, ihre Arbeitsbedingungen

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