Ideologie, Kultur, Rassismus. Stuart Hall

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Ideologie, Kultur, Rassismus - Stuart  Hall

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vollständiger entfaltet hätten. (…) Seine neue Perspektive gründete sich auf eine bedeutend reichhaltigere, die Strukturen mehr ins Zentrum rückende Analyse, die dann siebzehn Jahre später im Kapital ihren Höhepunkt erreichen sollte.« (1976, 112)

      Der Unterschied zu den Ausführungen im Manifest – wohl am klarsten ersichtlich in der Analyse, die Marx im Achtzehnten Brumaire bietet – liegt nicht darin, dass nunmehr die »Politik« auf Kosten der »objektiven Bedingungen«, die durch den Entwicklungsstand der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse im Kapitalismus bestimmt sind, hervorgehoben wird. Das Gegenteil ist der Fall. Die objektiven Determinationen und die Schranken dafür, welche Lösungen auf politischer Ebene »möglich« sind und welche nicht, werden in den späteren Arbeiten weitaus rigoroser formuliert, zusammenhängender erfasst und systematischer zur Geltung gebracht als in den früheren Texten. Die Herausarbeitung des »praktischen Begriffs« des Politischen, für die der Achtzehnte Brumaire zu Recht berühmt ist, wird durchgehend strukturiert von der Bedeutung, die Marx der »Determiniertheit« der politischen Entscheidungen durch die objektiven Bedingungen gibt. An dieser Stelle bricht Marx mit der Annahme, die beiden Ebenen würden einander genau entsprechen, so dass die Formen und Inhalte der einen vollständig im Rahmen der Bedingungen und Schranken der anderen gegeben seien. Indem Marx die Formen, die der Klassenkampf bei (wie Gramsci es nannte) »seinem Übergang auf die Ebene des komplexen Überbaus« annimmt, im einzelnen und auf provozierende Weise verfolgte, gebrauchte er zum ersten Mal jene Begriffe, die uns allein dazu befähigen, die Spezifik des Politischen zu »denken«.

      In knappen Worten: Die Krise von 1851 wird, in ihrer Gesamttendenz und ihrem Verlauf, grundlegend und entscheidend durch die objektive Entwicklung des französischen Kapitalismus überdeterminiert. Dieser setzt den äußeren Rahmen, innerhalb dessen die Formen des Politischen entstehen und auftreten. Die französische Gesellschaftsformation befindet sich noch in einem relativ frühen Stadium der kapitalistischen Entwicklung. Das Proletariat steht mit seinen Parolen und Forderungen bereits »auf der Bühne«, aber es kann noch keine entscheidende, vor allem keine autonome Rolle spielen. Die Bourgeoisie hat sich bereits voll herausgebildet und ist in ihren Hauptfraktionen auf der politischen Bühne vertreten, wobei jede Fraktion bald die eine, bald die andere Partei oder Gruppierung gegeneinander ausspielt, bald die eine, bald die andere mögliche Lösung ausprobiert. Sie hat ihre historische Rolle jedoch noch lange nicht erfüllt; vor allem hat sie bis jetzt noch keineswegs jene Klassen, die aus früheren Produktionsweisen hervorgegangen sind, in ihren hegemonialen Bann »geschlagen«. Von daher ist die Bourgeoisie noch nicht in der Lage, von sich aus und auf eigene Faust von der französischen Gesellschaft Besitz zu ergreifen und deren kulturelle und politische Strukturen den Bedürfnissen der sich entwickelnden kapitalistischen Produktionsweise »anzupassen«. So stolpert die Republik von einer instabilen Koalition zur anderen; sie durchläuft das gesamte Repertoire der republikanischen und demokratischen Formen: gesetzgebende Versammlung, parlamentarische Demokratie, bürgerlich-republikanische, republikanisch-sozialistische Demokratie. Jede »Form« ist der Versuch einer der Fraktionen der Bourgeoisie, ihre jeweilige politische Hegemonie – stets im Rahmen eines zeitweiligen Bündnisses – zu sichern. In dem Maße, wie sich die einzelnen Bündnisse erschöpfen oder besiegt werden, verringert sich die soziale Basis für eine mögliche Lösung – das Proletariat ist in jedem dieser Bündnisse entweder ein zweckdienlicher und untergeordneter Partner oder – als sich das Ende nähert – die isolierte Kraft. Und schließlich, nachdem sich alle möglichen Lösungen erschöpft haben, wirkt das labile Gleichgewicht der Kräfte auf der Bühne zugunsten von Napoleon Bonaparte, der »gerne als der patriarchale Wohltäter aller Klassen« auftreten möchte, aber nur weil er sie bereits besiegt hatte: »Frankreich braucht vor allem Ruhe.«

      Wir müssen uns hier auf zwei Aspekte dieser Beweisführung beschränken: auf die Frage der Klassen und ihrer politischen »Erscheinungsformen« sowie auf das Problem der »Determination in letzter Instanz« der Formen und Ergebnisse des politischen Kampfes durch die ökonomische Produktionsweise.

      Zunächst fällt auf: Obwohl die Strukturanalyse der Hauptklassen der kapitalistischen Produktionsweise durchgehend den analytischen Rahmen der gesamten Darstellung bildet – das und nichts anderes verleiht der gesamten, verwirrenden und dramatischen Erzählung ihren logischen Zusammenhang –, treten auf dieser Bühne keine »Klassen als solche« auf. Das Proletariat ist die Klasse, die am häufigsten als »Block« vorgeführt wird, aber selbst hier durchkreuzt die Bestimmung der spezifischen und problematischen Rolle des »Lumpenproletariats« die Tendenz, das Proletariat im Zusammenstoß der Positionen als eine einheitliche Kraft darzustellen. In Bezug auf das Kapital unterscheidet Marx stets dessen vorherrschende Fraktionen: »das große Grundeigentum«, »die große Industrie«, »der große Handel« (MEW 8, 138f.), die »zwei großen Interessen« des Kapitals (ebd.), »Finanzaristokratie«, »industrielle Bourgeoisie« (121) etc. Das Kleinbürgertum – »eine Übergangsklasse, worin die Interessen zweier Klassen sich zugleich abstumpfen« (144) – wird de facto zum Dreh- und Angelpunkt. Und wenn Marx schließlich zur Kennzeichnung der Klassenposition Napoleons kommt, verweist er auf die Präsenz einer Klasse, die eigentlich eine niedergehende historische Kraft war, und schält ihre Hauptfraktion heraus: die »kleinen Parzellbauern«.

      Zweitens muss erwähnt werden, dass keine dieser Fraktionen auf der politischen Bühne jemals isoliert agiert. Der Schlüsselbegriff, der die verschiedenen Klassenfraktionen mit den politischen und konstitutionellen Formen verbindet, ist das Bündnis oder, genauer gesagt, das wechselnde und sich ständig neu zusammensetzende Bündnis oder der Klassenblock. Die erste verfassungsmäßige Form der »Krise« ist die der bürgerlichen Republik. Sie wurde durch den Juni-Aufstand des Pariser Proletariats hervorgerufen, das aber, obwohl es die Hauptlast des Kampfes trug, in dem politischen Bündnis nur eine untergeordnete Rolle spielte. Eine Zeitlang sind die führenden Fraktionen des Bündnisses die Finanzaristokratie und die industrielle Bourgeoisie mit Unterstützung des Kleinbürgertums.

      Auf der politischen Bühne stehen noch andere entscheidende Kräfte, die klassenmäßig nicht eindeutig einzuordnen sind: die Armee, die Presse, Intellektuelle, die Priester, die ländliche Bevölkerung. Gelegentlich deutet Marx den Klasseninhalt dieser unterstützenden Schichten und Cliquen an: So nennt er zum Beispiel die Mobilgarde das »organisierte Lumpenproletariat« (121). Hier taucht das Pariser Proletariat zum letzten Mal als ein bestimmender Faktor auf; danach wird die Sache »hinter dem Rücken der Gesellschaft« geregelt. Das Proletariat befindet sich jedoch bereits in einem Bündnis, dessen führende Fraktion aus einer anderen Klasse herkommt. Die Republik offenbart somit nur »die uneingeschränkte Despotie einer Klasse über andre Klassen« (122). Dennoch hat diese instabile politische Form eine strukturelle und historische Funktion: Sie ist die klassische »politische Umwälzungsform der bürgerlichen Gesellschaft« (ebd.). Ihre »Geschichte« ist zu diesem Zeitpunkt die »Geschichte der Herrschaft und der Auflösung der republikanischen Bourgeoisfraktion« (124). In Opposition zu ihr steht die »Partei der Ordnung«, die sich hinter den alten Parolen von Eigentum, Familie, Religion und Ordnung sammelt. In dieser Situation tritt dieses Bündnis in seiner zweifachen royalistischen Verkleidung auf– als legitimistische Bourbonen und als Orleanisten. Indes hat auch dieser labile Block seine Klassenzusammensetzung: Hinter den »verschiedenen Schattierungen des Royalismus« vereinigen sich die »großen Grundeigentümer« mit ihren Cliquen und Truppen (Pfaffen und Lakaien), »die hohe Finanz, die große Industrie, der große Handel, d.h. das Kapital mit seinem Gefolge von Advokaten, Professoren und Schönrednern« (138f.). Auch hier versteckt sich der Kampf um die Vorherrschaft hinter der notwendigen Einheit angesichts der »Partei der Anarchie«. Was sie grundsätzlich spaltet – und sie dazu trieb, »jedes seine eigne Suprematie und die Unterordnung des anderen zu restaurieren« (139) – waren nicht nur ihre materiellen Existenzbedingungen (»zwei verschiedene Formen des Eigentums«), sondern auch die ideologischen Traditionen, durch die sie jeweils geformt worden waren. Das ist eine von vielen Stellen, an denen Marx die spezifische Wirkung der jeweiligen ideologischen Dimension des Klassenkampfes auf das Politische zeigt, wobei er allerdings noch eine weitere komplexe Ebene hinzugefügt hat: »Auf den verschiedenen Formen des Eigentums, auf den sozialen Existenzbedingungen erhebt sich ein ganzer Überbau verschiedener und eigentümlich gestalteter Empfindungen, Illusionen, Denkweisen und

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