Ideologie, Kultur, Rassismus. Stuart Hall

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ideologie, Kultur, Rassismus - Stuart Hall страница 11

Автор:
Серия:
Издательство:
Ideologie, Kultur, Rassismus - Stuart  Hall

Скачать книгу

Fraktionen von sich selbst in der Situation des Mai »dachten«, lässt sich zwar in letzter Instanz auf ihre materielle Existenzgrundlage zurückführen, hatte aber reale und eigenständige Auswirkungen – wie der Achtzehnte Brumaire auf dramatische Weise vorführt. Marx führt für jedes »Moment« der Situation im Brumaire die gleiche Analyse durch: die Bildung komplexer Koalitionen, die auf Klassenfraktionen beruhen, ihre inneren Widersprüche, die »Notwendigkeit« der politischen Positionen, zeitweiligen Programme und ideologischen Formen, in denen jene »Interessen« auftreten.

      Der dritte Punkt bezieht sich auf die Frage, wie diese politischen Fraktionen und Schichten im Verlauf des Kampfes sich politisch darstellen. Die beiden Hauptfraktionen der Großbourgeoisie erscheinen auf der politischen Bühne in ihren jeweiligen royalistischen Gewändern, aber das »Stück«, das dieses Bündnis objektiv auffuhrt, ist nicht die Restauration ihrer jeweiligen Herrschaftshäuser. Ihre Vereinigung zur »Partei der Ordnung« und ihre Repräsentation durch diese Partei wirft die Frage nach der Herrschaft der Klasse »als solcher« auf und nicht die nach der Vorherrschaft einer Fraktion über die andere. Objektiv gesehen macht gerade diese zeitweilige und unheilige Allianz sie zu »Repräsentanten der bürgerlichen Weltordnung«. Marx kehrt immer wieder zu dieser zentralen Frage des »Klasseninhaltes« und seiner politischen Repräsentationsweise zurück. Es geht nicht einfach darum, dass die Repräsentation von Klasseninteressen durch politische Bündnisse und »Parteien« niemals eine geradlinige Sache ist. Das politische Interesse einer Klassenfraktion kann auch durch die Rolle, die eine andere Fraktion auf der politischen und ideologischen Bühne spielt, vertreten werden. Marx’ Darstellung der Koalition zwischen Proletariat und Kleinbürgertum in der »sogenannten sozial-demokratischen Partei« (141) bietet dafür ein hervorragendes Beispiel. Diese »Partei« handelt zunächst unmittelbar im Interesse derjenigen, die durch die erzwungene Umgruppierung der bürgerlichen Truppen zu kurz gekommen waren. Ihre innere Struktur ist widersprüchlich: Indem es sich einordnet, wird dem Proletariat »die revolutionäre Spitze« gebrochen und seine sozialen Forderungen erfahren »eine demokratische Wendung«. Die »Sozial-Demokratie« hat auch einen objektivenpolitischen Inhalt, der nicht darin besteht, »Kapital und Lohnarbeit (…) aufzuheben, sondern (…) ihren Gegensatz abzuschwächen und in Harmonie zu verwandeln« (141). Eine »demokratische« Reform im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft.

      In diesem Zusammenhang warnt Marx uns vor einer allzu reduktiven Auffassung der politischen Repräsentation. Diese zeitweilige »Lösung« ist nicht deshalb kleinbürgerlich, weil sie die engen Interessen dieser Übergangsklasse vertritt. Ihre »Repräsentanten« lassen sich analytisch nicht fassen, wenn man sie auf ihre Klassenzugehörigkeit reduziert – sie sind nicht alle »Krämer«. Dieses Bündnis hat deshalb einen »kleinbürgerlichen« Charakter, weil, zumindest übergangsweise, die allgemeine Lösung der Krise, die sie anstrebt und verkörpert, mit den objektiven Schranken der besonderen materiellen Interessen und der besonderen sozialen Lage des Kleinbürgertums als Klasse korrespondiert. Die politischen Repräsentanten, wer immer sie sind und was immer ihre eigene besondere materielle Bestimmung ist, nehmen in jenem Moment die politische Position des Kleinbürgertums ein; sie spielen eine kleinbürgerliche politische Rolle und tragen kleinbürgerliche politische Lösungen vor. Von verschiedenen Ausgangspunkten aus findet im Rahmen objektiver Schranken ein Zusammentreffen statt, das – so Marx – die Grundlage für die Entzifferung des »Verhältnisses der politischen und literarischen Vertreter einer Klasse zu der Klasse, die sie vertreten«, bildet (142). Obwohl also die sozialen und materiellen Schranken sowie der objektive Klasseninhalt die Bedingungen und den Horizont bestimmen, innerhalb dessen in einer bestimmten Situation eine »kleinbürgerliche Lösung« entstehen kann, so hängt doch alles von den Mitteln und Bedingungen ab, die es einer solchen Lösung erst erlauben, in den Vordergrund zu treten und im Krisentheater ah politische Kraft konkrete Gestalt anzunehmen.

      Dieser Begriff der Repräsentation – die Analyse der Repräsentation objektiver Klasseninhalte einander entgegengesetzter Kräfte und der Mittel und Bedingungen des politischen Kampfes, eines Kampfes mit eigenen Erscheinungsformen und eigener, spezifischer Wirksamkeit –, erlaubte es Marx, eine verblüffende Antwort auf die zentrale Frage des Achtzehnten Brumaire zu geben. Wen repräsentiert Napoleon, wer wird von dieser außergewöhnlichen Form, den Kampf zu beenden (mittels Staatsstreich) repräsentiert? Wir wissen, zu welcher Erklärung sich Marx entschloss: Napoleon »vertritt« den Parzellenbauern – den konservativen, nicht den revolutionären Bauern, den Bauern, der nicht über den Status quo hinausgehen, sondern ihn befestigen will. Wir können hier die Art, wie diese »Lösung« konstruiert wird, nur grob umreißen (vgl. 198ff.). Sie umfasst, erstens, eine Untersuchung der spezifischen bäuerlichen Produktionsweise, die auf der kleinen Parzelle gründet, und der Form des gesellschaftlichen Lebens, das aus ihr hervorgeht: die Isolierung voneinander, die erzwungene Selbstgenügsamkeit, die Struktur der Dorfgemeinschaft, die fehlende Entwicklungsvielfalt, die Armut der gesellschaftlichen Beziehungen. Marx verfolgt die entscheidende Transformation der ökonomischen Rolle der Bauernschaft – vom halbhörigen Bauern zum freien Grundeigentümer – unter der Regentschaft Napoleon I. und ihre unmittelbaren Folgen: die Zersplitterung des bäuerlichen Eigentums, den Durchbruch von freier Konkurrenz und Marktwirtschaft, die Rolle von Wucherern, Hypothek und Schulden in diesem zurückgebliebenen, traditionellen Sektor. Marx zeigt hier detailliert die verheerenden Auswirkungen der durch den kapitalistischen Einbruch auf dem Land hervorgebrachten Desorganisierung der bäuerlichen Gesellschaft. Dieser Vorgang bereitete den Boden für den zunehmenden Antagonismus zwischen Bauernschaft und Bourgeoisie – ein Antagonismus, der Napoleon zu seiner »Unabhängigkeit« verhalf. Die Parzellenbauern werden nicht nur in ein Meer von Schulden gestürzt, die versteckte Steuerlast verbindet ihre Verelendung schicksalhaft mit den erstarkten Armen der Regierung und dem staatlichen Exekutivapparat.

      Im Weiteren stellt Marx auf meisterhafte Weise dar, wie die ideologischen Anschauungen der Bauernschaft in der Ideologie von Louis Napoleon – in den »idées napoléoniennes« – weniger eine Entsprechung als einen ergänzenden Widerhall finden. Ihrem objektiven Gehalt nach sind die »idées napoléoniennes« nichts als »Ideen der unentwickelten, jugendfrischen Parzelle« (203). Es gibt eine »Homologie der Formen« zwischen ihnen. Bedeutet dies nun, dass Napoleons Lösung letztendlich nicht der sich entwickelnden bürgerlichen Produktionsweise in Frankreich entspricht, kein Rettungsanker der Bourgeoisie ist? Tatsache ist, so Marx, dass Napoleon nicht mehr einen bestimmten Teil der Bourgeoisie vertreten kann, denn er ist nur durch die sukzessive Niederlage oder den sukzessiven Rücktritt der einzelnen Hauptfraktionen der Bourgeoisie an die Macht gekommen. Diese fortschreitende Liquidierung bietet nur eine unsichere und widersprüchliche Grandlage für einen Staatsstreich. Das führt Napoleon dazu, seine politischen Ansprüche am Ende auf die Klasse der Parzellenbauern zu stützen, die »sich nicht vertreten (können), sie müssen vertreten werden. Ihr Vertreter muss zugleich als ihr Herr, als eine Autorität über ihnen erscheinen, als eine unumschränkte Regierangsgewalt, die sie vor den anderen Klassen beschützt und ihnen von oben Regen und Sonnenschein schickt« (198f.). An genau dieser Stelle aber – an der eine ganze Klassenfraktion politisch nur durch die politische Ausnahmeform einer Ein-Mann-Diktatur in Erscheinung tritt – vollzieht Marx eine letzte ironische Wendung. Denn durch Napoleon gerät die Parzellenbauernschaft in direkte Abhängigkeit von der Exekutivgewalt – vom Staat.

      Durch diesen Reifeprozess der Staatsmacht, die Schaffung einer aufgeblähten aber »unabhängigen« Staatsmaschinerie, die durch das Napoleonische Regime perfektioniert wird, und gestützt auf die widersprüchliche Basis seiner »Unabhängigkeit« kann Napoleon schließlich nicht dieser oder jener Fraktion der Bourgeoisie, sondern der Entwicklung der kapitalistischen Verhältnisse in Frankreich überhaupt dienen.

      »Aber das materielle Interesse der französischen Bourgeoisie ist gerade auf das innigste mit der Erhaltung jener breiten und vielverzweigten Staatsmaschinerie verwoben. Hier bringt sie ihre überschüssige Bevölkerung unter und ergänzt in der Form von Staatsgehältern, was sie nicht in der Form von Profiten, Zinsen, Renten und Honoraren einstecken kann. Andererseits zwang ihr politisches Interesse sie, die Repression, also die Mittel und das Personal der Staatsgewalt, täglich zu vermehren (…). So war die französische Bourgeoisie durch ihre Klassenstellung gezwungen, einerseits die Lebensbedingungen einer jeden,

Скачать книгу