Gesang der Lerchen. Otto Sindram

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Gesang der Lerchen - Otto Sindram

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Das Mauerwerk an der Außenfront war stark beschädigt. Philipp sah die Spuren der Bombensplitter und der Granateneinschläge. Die Wirtsleute, ein Rentnerehepaar, kamen sofort nach dem Einzug in sein Zimmer, um ihm ihre Verhaltensmaßregeln mitzuteilen. Vor allem dürfe er keine Mädchen mit aufs Zimmer nehmen. Wenn er später mal eine Verlobte haben sollte, na ja, aber auch dann nur bis zehn Uhr abends. Aus Duisburg sei er also, von so weit her. Da müsse er der Mutter aber fleißig schreiben, denn die mache sich sicher große Sorgen. Was denn der Vater mache.

      »Der macht sich auch Sorgen«, sagte Philipp.

      Nein nein, was er arbeite.

      »Er arbeitet in einer Kohlengrube; mein Vater ist Bergarbeiter.«

      Die Gesichter wurden reservierter. So so, und da konnte er es sich leisten, seinen Sohn studieren zu lassen? Philipp erklärte ihnen, dass es mit dem Studieren noch eine Weile hin sei, erst müsse er in zwei Jahren Schule das Abitur nachholen.

      »Und in der Zeit bekomme ich ein Stipendium.«

      »Ach ja! Die Zeiten haben sich geändert«, sagte der Zimmerwirt und seufzte, »viel zu schnell, es geht alles viel zu schnell!« Er erzählte von seiner Zeit als Postbeamter, und wie lange es gedauert habe, bis er von dem anstrengenden Außendienst in den Innendienst gekommen sei. »Und im Krieg, kurz vor der Pensionierung, musste ich dann doch wieder Außendienst machen.«

      Philipp beobachtete während der Zeit einen kleinen, braunen, linsenförmigen Käfer, der über den Tisch gekrochen kam, in einem Sonnenflecken auf der Tischplatte anhielt und sich dort sonnte. Mit einem Fingerschnipser wollte er gerade den Käfer vom Tisch befördern, da schrie der Wirt auf.

      »Halt! Eine Wanze, oh Gott, eine Wanze!« Mit einem Satz war er aus dem Zimmer und sofort wieder zurück mit einer gefüllten Handspritze, sprühte eine übel riechende Flüssigkeit auf den Tisch, auf alle weiteren Möbel und Gegenstände in dem Zimmer, auf Philipp, und besonders auf das Federbett. »Da bringt uns dieser Mensch Wanzen in die Wohnung!«, sagte er mehrere Male und pumpte und pumpte.

      Philipp war erschrocken, fühlte sich schuldig und ließ alles über sich ergehen.

      »Wo bist du untergekommen?«, fragte später Christian leise im Unterricht.

      Philipp antwortete ebenso flüsternd, dass er ein Zimmer im Bezirk Prenzlauer Berg vermittelt bekommen habe.

      »Was, in dieser verwanzten Gegend wohnst du!?« Da musste Philipp laut lachen. »Was ist so komisch an Wanzen?«, wollte Christian wissen und lachte auch.

      »Die Herren dort finden den Unterricht wohl recht amüsant. Hoffen wir, meine Herren, dass es so bleibt, für Unterhaltung werde ich schon sorgen«, meldete sich der Physiklehrer Seiter von der Tafel.

      Die Ertappten verfolgten eine Minute aufmerksam, was sich dort vorne tat. Dann flüsterte Philipp weiter.

      »Ich bin frisch eingesprüht worden und wanzenfrei.«

      »Daher stinkst du so, und ich dachte schon, das ist dein Ruhrpottmief.«

      »Da musst du erst einmal den Duft von meinem Federbett kennen lernen.«

      Nach dem langen Unterrichtstag benutzte Philipp die U-Bahn von der Station Unter den Linden bis Alexanderplatz und von dort die Straßenbahn 74, die über Prenzlauer Berg nach Weißensee fuhr. In den meisten Fensterrahmen der Bahn war das fehlende Glas durch klappernde Blechplatten ersetzt worden.

      Philipp fand es doof, dass er während der Fahrt nicht hinausschauen konnte. Da tippte ihm jemand auf die Schulter. Sophie saß hinter ihm und schrie gegen die lärmenden Blechplatten an.

      »Bist du bis Alex gefahren?«

      »Ja«, schrie er zurück, »mit der U-Bahn.«

      »Zu Fuß ist es genauso schnell.«

      Am nächsten Morgen gingen sie gemeinsam vom Alex quer durch den Lustgarten zur VA und am Nachmittag gemeinsam zurück. Sie sahen die Trümmer zu beiden Seiten der Straßen und dahinter die Ruinen, und sie trafen Frauen mit Kopftüchern beim Steineklopfen. Männer führen Kriege, Frauen räumen auf, dachte Philipp. Ihn bewegte jetzt doch das Ausmaß der Zerstörung, während Sophie davon weniger beeindruckt schien und über Westdeutschland sprechen wollte.

      »Wie ist die revolutionäre Situation im Ruhrgebiet?«, fragte sie.

      Philipp verstand nicht.

      »Aber du bist doch aus einer Proletarierfamilie.«

      Er verstand noch weniger und fand die Bezeichnung Proletarier ganz lustig.

      »Proletarier aller Länder ...«

      »Ist dein Vater in der Partei?«, unterbrach Sophie ihn.

      »Nein, aber ich habe einen Onkel, der war in der Partei.«

      »War in der Partei?«

      »Ja, in der NSDAP.«

      »Stalin schreibt über die ...«, sagte sie mit ernstem Gesicht, ohne auf seinen Scherz einzugehen, machte eine Pause, und dann zu einem entgegenkommenden jungen Mann: »Freundschaft!«

      »Wie, was hast du gerade gesagt?«, fragte Philipp erstaunt.

      »Stalin schreibt über die revolutionäre ...«

      »Nein, nein, was hast du gerade zu dem Burschen da gesagt?«

      »Freundschaft!«

      »Wie, was, Freundschaft, du sagst zu einem wildfremden Menschen so einfach Freundschaft?«

      »Ja, natürlich, er hat ein FDJ-Abzeichen an. Wir grüßen uns so. Ich bin auch in der FDJ, Freie Deutsche Jugend.«

      Sie berichtete, dass sie schon in der Sowjetunion bei den Pionieren und vor der Rückkehr nach Deutschland auch noch beim Komsomol war, der kommunistischen Jugendorganisation.

      »Im vergangenen Jahr haben wir FDJler Uniformen bekommen und eine Fahne, blau mit aufgehender Sonne.«

      »Und wenn es nun eine untergehende Sonne ist, wie willst du das unterscheiden?«

      »Kann es sein, dass du unsere Sache nicht ernst nimmst?«

      Später erzählte Philipp Christian von diesem Gespräch.

      »Die ist völlig verkorkst«, sagte der, »da müsste sich mal jemand finden, der sie tüchtig bearbeitet. Wenn die etwas mehr vorzuweisen hätte, würde ich dir die Arbeit ja gerne abnehmen. Aber das wirst du wohl selber machen müssen.«

      Sophies Mutter, Edda Dahlhaus, war eine geborene Franke und die Tochter einer bekannten, wohlhabenden Familie aus dem Berliner Westen. Ihre beiden Brüder waren im Ersten Weltkrieg gefallen. Vater Karl Franke war Direktor bei Borsig und aus einer Familie, die für ihre Pioniertaten auf dem Gebiet der Industrialisierung bekannt war. Luise Franke, Eddas Mutter, war eine geborene Porten und stammte aus einer Künstlerfamilie. Ihr Vater war Kunstmaler. Der Regisseur Franz Porten, Vater der aus Stummfilmen bekannten Schauspielerin Henny Porten, war ein Vetter ihres Vaters.

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