Er, Sie und Es. Marge Piercy

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Er, Sie und Es - Marge Piercy

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aber sie hatte ihm eine weibliche Stimme gegeben, die sie an das Haus ihrer Großmutter Malkah erinnerte. Die meisten Häuser hatten weibliche Stimmen. »Stell die Verbindung nur auf Audio.«

      »Shira?« Es war Gadis Stimme. »Stell auf Sicht. Ich hasse es, mit einer leeren Wand zu reden. Wenn du nicht angezogen bist – verdammt, glaubst du, ich erinnere mich nicht an deinen Körper?«

      Wie immer, wenn sie seine Stimme ohne Vorwarnung hörte, fiel ihr Herz in sich zusammen wie ein zermalmtes Ei. »An meinen Körper vor zehn Jahren?« Sie versuchte schnippisch zu klingen. Sie schaute in den Spiegel, wollte sich vergewissern, dass sie sich sehen lassen konnte, wollte, es wäre ihr egal, welchen Eindruck sie auf ihn machte. Sie war noch im Morgenmantel aus durchsichtiger schimmernder Seide. Ihr Haar war zerzaust, etwas Goldflimmer von gestern Abend glitzerte im Schwarz. Sie sah etwas zu mädchenhaft aus, ein wenig wie ein verlassenes Kind, wie immer ohne Make-up, aber sie konnte sich nicht überwinden, an einem Sonntagmorgen früh um neun ihr Gesicht anzumalen. Sie sagte: »Sicht an. Guten Morgen. Wo bist du?«

      »Heim in Tikva, besuche Avram. Ach, unsere täglichen Duelle, unsere erfrischenden Gefechte gegenseitiger Beleidigungen. Der neue Stimmie, an dem ich mit Tomas Raffia gearbeitet habe, ist fertig und ich habe Urlaub. Warum kommst du nicht auf einen Besuch nach Hause?« Gadi war fast wie sie gekleidet, in einen durchsichtigen Mantel aus Seide – von diesen mutierten Raupen, der letzte Schrei. Seiner war viel schöner als ihrer, in Farben, die unter ihren Blicken changierten. Sein Gesicht war hager, aber so hübsch wie immer. Er hatte sein Haar silbergrau gefärbt, seinen Augen nicht unähnlich. Nur junge Leute hatten heutzutage graues Haar. Die meisten sahen damit furchtbar aus, aber sein braun gefärbtes Gesicht wurde dadurch betont. In Tikva, wo alle in Shorts oder Hosen herumliefen, wirkte er bestimmt ein wenig bizarr. Er war eben ein Sendbote des Glamours von Vancouver, dem Zentrum der Stimmie-Branche. Er war berühmt. Man erwartete von ihm, dass er aussah wie ein auf Hochglanz poliertes Kunstprodukt. Als Designer von Atmos für Stimmies war er durchaus selbst ein Star und konnte sich unter seinen Fans bewegen wie keiner der Schauspieler, die durch ihre vernetzten und verfeinerten Sinne zu verletzlich waren.

      »Wie ist er beim Publikum angekommen?«

      »Warst du etwa noch nicht in meinem Stimmie?« Seine Stimme krümmte sich vor ungläubiger Verletztheit. »Er war absolut krass!«

      »Gadi, ich habe mich auf die Gerichtsverhandlung vorbereitet. Ich habe mich in den letzten drei Monaten jeden zweiten Tag mit meinem Anwalt getroffen. Josh hat mir Ari weggenommen. Schick mir doch eine Kristallkopie.« Dann müsste sie es sich geben. Sie nahm sich selten die Zeit, sich in einen Stimmie zu versenken, selbst jetzt, wo sie allein lebte. Sie hatte die Gewohnheit abgelegt, als Ari geboren wurde, denn sie wollte sich nicht von ihm abschotten, indem sie in diese völlige Überflutung von Sinnesreizen eintauchte: die exquisiten Empfindungen irgendeiner Schauspielerin, verfolgt von zwergenwüchsigen Menschenfressern oder im Orbit auf Nuevas Vegas mit vier Liebhabern zugange, durchpumpt von Gefühlen.

      »Computer, letzte Anfrage speichern und ausführen … Wie konnte er dein Kind wegnehmen?«

      »Sie haben hier patriarchales Recht. Der Junge gilt als Eigentum der väterlichen Genlinie – und, Gadi, du weißt, dass ich ihn geheiratet habe. Obendrein hat er einen höheren Technodienstgrad als ich.«

      »Warum hast du auch diesen Blödsinn gemacht?« Gadi zog eine Grimasse. »Ich habe dir gesagt, du sollst diesen Wurm nicht heiraten. Ein-Heirat ist altmodisch und trostlos.«

      »Du hast nie versucht, Josh zu verstehen … Im Moment geht es zwischen uns niederträchtig zu, bösartig. Ich habe ihm entsetzlich wehgetan, Gadi.« Es tat so wohl, mit ihm zu reden. Anfangs schickten sie sich immer Eröffnungssalven und dann diplomatische Botschaften aus ihren gegnerischen Festungen, doch schon nach fünf Minuten tauschten sie Vertraulichkeiten aus. Auf geheimnisvolle, zarte Weise waren sie immer noch miteinander verquickt. Erst gestern Abend hatte sie an ihn denken müssen, während sie mit Malcolm ins Bett stieg, und so würde es wohl bis ans Ende ihres Lebens bleiben. Und jetzt am Morgen saßen sie da und plauderten miteinander. »Gadi, bei Y-S heiraten die meisten. Es wird darauf gedrungen.«

      »Dieser Mann wurde geboren, um verletzt zu werden – eine Motte, die sich wieder in die Larve zurückverwandelt hat, aus der er hervorging.«

      »Josh ist jemand, der mehr erdulden musste, als wir beide auch nur ahnen können. Er hat nicht einen einzigen Menschen mehr, niemanden. Er hat durch Zufall überlebt. Stell dir vor, sein Heimatland ist die Schwarze Zone.« Ein großer Brocken des Nahen Ostens wurde auf Karten in einförmigem Schwarz dargestellt, denn er war unbewohnbar und für alle verboten. Eine verpestete radioaktive Wüste.

      »Du heiratest keinen Mann, weil er dir die Füße vollblutet.«

      Shira zuckte zusammen, Salzgeschmack im Mund. »Ich dachte, ich könnte ihn glücklich machen.«

      Gadi schnaubte verächtlich. »Das versuchen Frauen andauernd mit mir, und was bringt es ihnen? Einen wunden Arsch vom Drauffallen.«

      Sie beschloss, das Thema zu wechseln. »Dein Vater hat mir einen Job angeboten, ist das zu glauben?«

      »Warum dir?« Seine Stirn legte sich in Falten. »Was will Avram mit dir anfangen?«

      »Gadi, ich bin sehr gut auf meinem Gebiet, obwohl Y-S mich nicht zu schätzen weiß.«

      »Für Avram arbeiten kommt überhaupt nicht in Frage, aber ich fände es schön, wenn du in Tikva wärst. Dann würde ich dich immer sehen, wenn ich mich hierher verdrücke.«

      »Bevor nicht über meine Berufung entschieden ist, gehe ich nirgendwohin. Ich werde Ari nicht aufgeben. Ich war schrecklich dumm. Ich habe geheiratet, statt mein Kind meiner Mutter zu geben. Hätte ich es doch nur getan! Ich habe mit unserer Familientradition gebrochen, und jetzt habe ich ihn verloren!«

      »Du hörst dich an, als ob du dich schuldig fühlst, Shira. Warum?«

      »Wenn ich mich nicht in die Ehe mit Josh gestürzt hätte, wenn ich mein Kind meiner Mutter Riva gegeben hätte, wie es von mir erwartet wird, wenn ich doch bloß auf Malkah gehört hätte, dann wäre mein Kind in meiner eigenen Familie. Es ist meine Schuld. Ich habe mich für so klug, so überlegen gehalten.«

      »Durch den Scheiß müssen wir alle durch, Shira. Bist du sicher, dass deine Mutter den Jungen wollte? Ich bin ihr nur ein- oder zweimal in meinem Leben begegnet. Ich kann mich kaum erinnern, wie sie aussieht.«

      »Sie ist für mich eine Fremde. Sie arbeitet für Alhadarek, das ist alles, was ich weiß.«

      »Du mit einem Kind, die Vorstellung fällt mir sowieso schwer, Shira. Für mich bist du selber immer noch ein Kind. Ich glaube, du hast diesen Ari erfunden, er existiert nur in deiner Einbildung.«

      Eine Träne rann ihr aus dem Auge und sie fauchte vor Wut. »Gadi, sei nicht so ein Arsch. Er ist für mich realer als jeder andere Mensch auf der Welt –« Sie merkte plötzlich, dass Malcolm an ihrer Schlafzimmertür stand und lauschte. Jetzt trat er hinter sie, damit sein Bild übertragen wurde.

      Gadi schien amüsiert. »Du hättest mir sagen sollen, dass du Besuch hast. Wir können ein andermal tratschen.«

      Mit Malcolm neben sich konnte sie nicht die Wahrheit sagen: dass sie ihn beim Reden mit Gadi völlig vergessen hatte. Sie beendete die Übertragung und es war rundum peinlich.

      Das Frühstück gestaltete sich schwierig. »Ich wusste nicht, dass du noch einen anderen Mann an der Angel hast«, murrte Malcolm. Er war ebenso groß wie Gadi, aber viel kräftiger gebaut, mit braunem Haarschopf und buschigen,

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