Er, Sie und Es. Marge Piercy

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Er, Sie und Es - Marge Piercy

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ist das nicht. Er ist ein alter Freund. Wir sind zusammen aufgewachsen.«

      »Du hast immer wieder gelacht, als du mit ihm geredet hast. Er hörte sich nicht an wie jemand, der nur ein Freund ist.«

      »Ich denke von Freunden nie als ›nur‹. Freunde sind kostbar.«

      »Das richtige Wort für ihn. Sieht gut aus, wenn man solche Schmuckstücke mag.«

      »Er entwirft Atmos für Uni-Par.«

      »Ich tauche nie in diese Dinger«, sagte Malcolm. Das war die offizielle Devise bei Y-S, außer, es handelte sich um ein konzerninternes Programm. Dennoch senkten sich seine Mundwinkel. »Ich besitze nicht mal einen Helm, um vollständig reinzugehen. Ich benutze bloß poplige alte Elektroden … Das war doch nicht etwa Gadi Stein?«

      Sie spürte, wie sie sich ärgerte, und versuchte, es höflich zu überspielen, indem sie ihn nach seinem Sandsegeln fragte. Das war ein Nachtsport, aber trotzdem gefährlich. Wie viel angenehmer wäre es gewesen, weiter mit Gadi zu quatschen. Sie hatte nicht die Zeit gehabt, ihn nach seinem Vater Avram zu fragen, nach all ihren alten Freunden, nach den komplizierten Beziehungen in Tikva, nach dem letzten Politskandal, den neuesten Trends. Es war unanstrengend, mit Gadi zu reden, und mühselig, in öder, schrittchenweiser Kleinarbeit diesen Mann kennenzulernen, der von Minute zu Minute unsympathischer wirkte. Er war offensichtlich eingeschnappt und peitschte mit einem Löffel, der wie ein Mast aus der Tasse ragte, seinen Kaffee im Kreis, als wolle er ihn dafür bestrafen, dass sie ihn enttäuscht hatte. Sie wollte sich nicht mit ihm überwerfen – sie konnte keine weitere Fehde am Arbeitsplatz gebrauchen –, also würde sie einfach das Frühstück hinter sich bringen und ihn hinauskomplimentieren. Sie selbst war das Problem.

      »Ich dachte, du wärst … weicher. Manchmal hast du einen Gesichtsausdruck wie ein kleines Kind, so unschuldig«, sagte Malcolm, als sei das eine Anklage. Sein Kinn reckte sich ihr entgegen, seine Brauen sträubten sich drohend.

      Sie hätte ihm am liebsten gesagt, dass das am Kindchenschema lag: Große dunkle Augen in einem schmalen Gesicht riefen bei Säugern einschließlich Menschen die angeborene Reaktion auf Neugeborene hervor – das Rehkitz, das Kätzchen, das Hundebaby und die Shira. Während des Studiums hatte sie oft die Stirn gerunzelt, um ihre Umgebung zu zwingen, sie ernst zu nehmen. Sie war nicht mädchenhaft, scheu, unschuldig, unbekümmert, und sie wünschte sich häufig, nicht diese Fassade zu bieten, die offenbar nur Männer anlockte, die eine Kindfrau wollten. Sie war rauer, dorniger. Und die Wahrheit war, die Anstrengungen, ihren Sohn zurückzugewinnen, nahmen sie viel zu sehr in Anspruch, um sich noch um irgendeinen Mann bemühen zu können. Sie hätte sich am liebsten bei Malcolm dafür entschuldigt, dass sie seine Zeit verschwendete. Sie war eine Fata Morgana.

      Heute würde sie Josh treffen, auch ein Grund, warum sie glaubte, vorgeben zu müssen, dass sie eine ernst zu nehmende neue Beziehung hatte. Sie musste sich einfach Josh stellen und versuchen, vernünftig mit ihm zu reden. Dann würde sie Ari ganze zwanzig Stunden für sich haben, von mittags bis acht Uhr früh am nächsten Morgen.

      Sobald Malcolm gegangen war, bereitete sie sich in Kleidung und Benehmen psychologisch auf die kommende Schlacht vor. Josh hatte voll gemeiner Spiele gesteckt, seit sie ihn verlassen hatte, doch sie wusste, dass dies nur Ausdruck seines Schmerzes war. Es war nicht so, dass Josh sie leidenschaftlich geliebt hatte, obwohl er das bestimmt behauptet hätte. Er hatte vielmehr eine konventionelle Anhänglichkeit entwickelt, jedoch eine, die für sein Überleben von zentraler Bedeutung war. Er verließ sich einfach darauf, dass sie da war.

      Keine weiteren Obduktionen. Ihr größter Wunsch war, Ari einen vollkommenen Tag zu bereiten. Hoffentlich mochte er immer noch luftige Omeletts, bei denen das Eiweiß getrennt geschlagen wurde. Sie hatte es geschafft, drei echte Eier aufzutreiben. Sie würde ihn fragen, ob er Lust hatte, eine Wolke zu essen. Leider war der Tag dunkel, das künstliche Licht schmutzig orange. Wahrscheinlich tobte außerhalb des Kuppeldoms ein Sandsturm. Sie plante, mit ihm in den Park zu gehen. Ein wenig Spielzeug hatte sie zwar, aber da sie ihren ganzen Kredit für Gerichtskosten ausgab, konnte sie sich nicht viel leisten.

      Sie eilte durch die gepflegte, stets neue und stets saubere City der Enklave. Über den gezackten Reihen der Silos für Unterschichttechnos dehnte sich der silberne Kuppeldom. Dreihunderttausend Menschen lebten hier; noch einmal so viele wurden täglich aus dem Glop herein- und wieder hinausgeschleust. Unter dem Kuppeldom herrschte Frühling, und das Klima war so eingestellt, wie es hier vor fünfzig Jahren gewesen sein mochte, aber die Straßenbeleuchtung brannte.

      In Zweierreihen marschierten Kinder in ihren blauen Sonntagsuniformen mit dem Y-S-Logo vorbei. Sie erkannte, dass es Kinder von Leitenden und nicht von Technos waren, denn sie hatten schon chirurgische Eingriffe hinter sich, um sie dem Y-S-Ideal in Gesicht und Körper anzupassen. Sie sangen eine der Konzernhymnen, ein Sicherheitsaffe führte sie an, ein zweiter bildete den Abschluss. Die Affen bewegten sich schwerfällig wie Roboter, obwohl es seit den Cyberkrawallen verboten war, Robotern menschliche Gestalt zu geben. Affen waren einfach chemisch und chirurgisch veränderte Menschen mit besonderen Implantaten für übermenschliche Kräfte und Schnelligkeit. Die Oberschichtkinder wurden durch das Einkaufsviertel der Mittelschichttechnos wohl zu einer Sonderveranstaltung geleitet. Denn normalerweise wagten sie sich nicht aus dem Paradiespark, einer Enklave innerhalb der Enklave hinter hohen Mauern um einen Teich mit richtigem Wasser. Eine hochgewachsene, elegante Frau auf einem Pferdobil – einem goldglänzenden Pferderoboter, der in zierlicher Gangart jeden Kobalthuf hoch in die Luft hob – ritt neben ihnen. Lehrerin? In Anbetracht des Pferdobils – das ein Vermögen kostete – und ihres Haars, in das Juwelen geflochten waren, wohl eher eine der Mütter.

      Sie dachte an ihre eigene Mutter, Riva, wie sie es seit Jahren nicht getan hatte. Sie war Riva selten begegnet. Beim letzten Mal war sie siebzehn gewesen und hatte kurz vor der Abreise zur Universität gestanden. Ihre Mutter war eine unscheinbare, vorzeitig in die Jahre gekommene Frau, eine typische Bürokratin oder Mittelschichtsanalytikerin – Shira hatte nie ganz kapiert, was ihre Mutter tat, aber offensichtlich nichts Wichtiges. Die Begabung, die Malkah weltweite Anerkennung als Genie gebracht und die bis vor kurzem noch Shira die Auswahl ihrer Schulen und Projekte ermöglicht hatte, schien Riva übersprungen zu haben. Hatte Riva sie jemals so vermisst, wie sie Ari jetzt schon vermisste? Sie bezweifelte es. Soweit Shira sie sich ins Gedächtnis zu rufen vermochte, sah sie eine hektische Frau, die sich nervös die Hände rieb. Riva hatte sie mit offenkundiger Erleichterung Malkah übergeben, Malkah hatte sie großgezogen, und alle waren glücklich. Nein, Shira hatte die Familientradition, ihr Kind der Mutter zu übergeben, gar nicht ernst nehmen können. Riva wäre schon mit der Aufzucht einer Springmaus überfordert gewesen.

      Shira war mit Katzen und Vögeln aufgewachsen, aber hier waren richtige Tiere nur Oberschichttechnos und Leitenden erlaubt. Alle anderen behalfen sich mit Robotern, aber die guten waren für sie viel zu teuer. Aris kleiner Koala war das Äußerste, was sie und Josh sich leisten konnten. Ari war ganz verrückt danach, seinem Wawabär, aber Josh hatte verboten, dass Ari ihn mit zu ihr nahm, er sei viel zu teuer, um ihn durch die Gegend zu schleifen.

      Ihre Straße war wie hundert andere, ihr Haus einer von den vier Prototypen für Joshs Dienstgrad. Shira zog ein Gesicht, sie stand vor der Tür, die sich auf ihre Berührung nicht mehr auftat. Der Hauscomputer war neu programmiert, sie zu behandeln wie eine Fremde. In letzter Zeit wartete sie draußen, wenn sie Ari abholte. Als sie das Haus, das einmal ihr gemeinsames gewesen war, zuletzt betreten hatte, fand sie Wohnzimmer und Küche demonstrativ verdreckt, überall Essensbehälter und schmutziges Geschirr. Das Haus schrie ihr entgegen: Da, sieh, was du uns angetan hast! Josh hätte nur den Reinigungsroboter an die Arbeit zu lassen brauchen. Aber er hatte es vorgezogen, mit dem Dreck zu sagen: Dazu bin ich verkümmert. Seine Verbitterung stank ihr entgegen. Sie hatte den Vorfall in ihrer letzten Eingabe beschrieben und die Atmosphäre in seinem Haushalt als unzuträglich und ungesund für ein Kleinkind bezeichnet. Vergammeltes Essen konnten zwei als Waffe benutzen.

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