Wenn ich das geahnt hätte. Anne Christina Mess

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Wenn ich das geahnt hätte - Anne Christina Mess

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8,3 Portugal 1998 8,7 2,7 5,7 Griechenland 1998 6,1 1,7 3,9

      Quelle: www.who.int (Weltgesundheitsorganisation, letzte Änderung: 28. 09. 2002)

      Millionen von Einzelschicksalen verbergen sich hinter diesen Zahlen: Da ist der erfolgreiche Manager, der sich das Leben nahm, der Familienvater, der sich nach der Scheidung erschoss, die Mutter von zwei erwachsenen Kindern, die sich mit einem Föhn in der Badewanne umbrachte. Diese Menschen haben gemeinsam mit allen anderen, die vorsätzlich aus dem Leben scheiden, dass sie sich höchstwahrscheinlich in einer Lebenskrise befanden, in einer Zeit des Umbruchs und Einbruchs, die sie zu überfordern schien. Der Begriff »Krise« leitet sich vom griechischen Wort »Krisis« ab und bedeutet Entscheidung, Sichtung und Klemme.

      Letzteres weist darauf hin, dass der sich selbst tötende Mensch keinen anderen Ausweg aus seiner Klemme sieht, in der er sich erlebt. Sein Blickwinkel verengt sich auf die vermeintliche Unlösbarkeit seiner Probleme, die Geschehnisse überschlagen sich und lösen Ängste, Panik und/​oder Depressionen aus. Dabei schwinden Lebensmut, Willensstärke, Kraft und Handlungsmöglichkeiten zusehends.

      Philosophen von der Antike bis zur Gegenwart sowie Forscher aus den Bereichen der Medizin, Soziologie, Biologie, Psychologie usw. haben sich immer wieder diesem existenziellen Thema zugewandt. Als Außenstehender ist es manchmal gar nicht nachvollziehbar, warum jemand nicht mehr leben möchte. Vielleicht denkt man dann: »Merkwürdig, er hat doch alles, ist gesund und kennt so viele nette Leute.« Schauen wir uns daher das Zusammenspiel verschiedener Faktoren beim Suizid näher an.

      Man kann vier Entstehungstheorien von suizidalem Verhalten voneinander abgrenzen:

       Biologische Theorien

       Soziale oder soziologische Theorien

       Psychologische Theorien

       Religiöse Theorien

      J.E.D. Esquirol, der Pionier der biologischen Suizidforschung, legte die Wurzeln für die wichtigste biologische Theorie von Selbstmorden und Selbstmordversuchen, nämlich die Theorie der Vererbung.

      Der französische Psychiater Esquirol hatte beobachtet, dass es Familien gab, in denen sich Suizide häuften. Aufgrund familiärer Häufungen von Suiziden kamen die Forscher zu verschiedenen Hypothesen: Man überlegte, ob es eine Erbanlage für Suizid oder die vererbbare Disposition für Depressionen geben könnte. Es würde zu weit führen, einzelne Untersuchungsmethoden mit ihren Ergebnissen darzustellen. Als gesichert gilt inzwischen, dass nicht der Suizid als solcher vererbt wird, sondern wohl eine gewisse Unfähigkeit zur Impulskontrolle. In verschiedenen Studien zeigte sich außerdem, dass bestimmte psychische Krankheiten, die das Suizidrisiko erhöhen, auch eine erbliche Disposition haben. Weltweit befassten sich einige Forschergruppen mit der Frage, ob die Suizidalität mit Stoffwechselstörungen im Gehirn einhergehen könnte. Man vermutete bei Schizophrenen und manisch-depressiv sowie depressiv Kranken, die zu den Hochrisikogruppen für Suizid zählen, Veränderungen in den Nervenbotenstoffen des Gehirns. Wenngleich sich verschiedentlich tatsächlich biochemische Abweichungen finden ließen, müssen die Ergebnisse dennoch sehr vorsichtig interpretiert werden und sollen hier nicht näher vorgestellt werden.

      Auch innerhalb der soziologischen Theorien war es ein Franzose, den man als Vorreiter in der Ursachenforschung bezeichnen kann. Der Soziologe Emile Durkheim publizierte sein Werk »Le Suicide« als epochales Werk innerhalb der Epidemiologie des Selbstmords bereits 1897. Vor nunmehr über hundert Jahren sammelte er als Erster die Todesursachen-Statistiken verschiedener Länder. Er legte für die Hypothesen seiner soziologischen Theorien die unterschiedliche Verteilung der Todesursachen und damit auch der Selbstmorde zugrunde. Zusammenfassend soll es im Hinblick auf die Praxisorientiertheit dieses Buchs genügen, Durkheims Einteilung der Suizide zu benennen: Er vermutete, dass es aufgrund der nicht geglückten Anpassung des Individuums an die jeweilige Gesellschaft zu Selbstmord kommen kann. Er meinte ferner, dass die Individuation eines Menschen weder zu schwach noch zu stark sein darf, damit die Anpassung des Individuums an die Gesellschaft gelingt. So könne es dann zu altruistischen Suiziden einerseits oder aber egoistischen Selbstmorden andererseits kommen. Seine Einteilung umfasst zudem die fatalistischen Suizide, die aufgrund zu enger Normen begünstigt würden, und die anomischen Selbstmorde als Folge zu weiter oder unbestimmter Normen. (Kritiker dieser hier nur kurz angeschnittenen Theorien weisen allerdings zahlreiche Gegenbeispiele nach.)

      Die Überlegung Durkheims, dass auch soziale Faktoren bei der Entstehung der Suizidalität eine Rolle spielen, ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen. In diesem Zusammenhang werden auch heute noch soziale und soziologische Faktoren erforscht wie: Völker oder Staaten, rassische, religiöse oder örtliche Gegebenheiten usw. Last but not least ist auch die Familie als kleinste soziologische und soziale Einheit ein wichtiges Mosaiksteinchen im Gesamtgefüge der Erklärungsansätze für Suizid. Es ist hierbei z. B. keinesfalls unerheblich, ob ein Mensch in einer gewalttätigen Familie aufwächst oder einen konstruktiven Umgang mit Aggressionen lernt.

      Zu den soziologischen Theorien gehört auch die Imitationshypothese, die unter leicht variierenden Namen von verschiedenen Forschern untersucht wurde:

      Kreitman et al. (1969) sowie Welz (1979) stellten fest, dass Suizidversuche gehäuft im Freundes- und Bekanntenkreis betroffener Familien sowie in bestimmten Straßenzügen zu finden seien, und prägten den Begriff der Imitationshypothese. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Schmidtke und Häfner (1986). Welz (1979) vertritt die Ansteckungshypothese und Philips (1974) formuliert die Suggestionshypothese. Allen drei Hypothesen ist gemeinsam, dass das suizidale Verhalten eines Modells (Vorbilds) nachgeahmt wird. Das imitierende Individuum bringt dabei bestimmte Voraussetzungen mit: seine (präsuizidale) Persönlichkeit, unzureichende Problemlösefertigkeiten in Lebenskrisen sowie länger andauernde soziale Belastungen und eine hohe Suggestibilität, also eine starke soziale Beeinflussbarkeit. Es sind folglich bestimmte Persönlichkeitsanteile und Verhaltensweisen, die ein Mensch mitbringen muss, um sich von einem Vorbild zur Nachahmung des Selbstmords anstecken zu lassen.

      Beispiele für dieses Lernen am Modell, d. h. am Vorbild, finden sich nach der Veröffentlichung von Goethes Werk »Die Leiden des jungen Werther« und nach der Ausstrahlung der TV-Sendung »Tod eines Schülers« in acht Folgen im Jahre 1981. In beiden Fällen folgte eine Suizidwelle unter der jeweiligen Bevölkerung. Forschungen in Bezug auf die Fernsehserie kamen zu interessanten Ergebnissen:

      Die Suizidrate stieg insbesondere bei den Menschen an, die dem Hauptdarsteller, der sich in suizidaler Absicht vor einen Zug geworfen hatte, am stärksten ähnelten. Es gab somit eine vorübergehende Zunahme der Suizide bei männlichen Jugendlichen im Alter von 15 – 19 Jahren, und auch die Wahl der Selbstmordmethode während und nach dem Sendezeitraum wurde deutlich stärker zugunsten des Springens vor einen Zug gefällt. Es liegt nahe anzunehmen, dass der durch die Fernsehsendung ausgelöste Suizidanstieg niedriger ausgefallen wäre, wenn sie andere Auswege für den Schüler aufgezeigt hätte und

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