Verdorbene Jugend. Horst Riemenschneider

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Verdorbene Jugend - Horst Riemenschneider

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rief uns zusammen und fragte, wer von den Skiläufern wieder mit dem Zug zurückfahren möchte und wer an einer Ski-Tour nach Suhl teilnehmen will. Alle Skiläufer wollten die Tour mitmachen. Auch ich, obwohl ich große Bedenken wegen meiner Bindung hatte. Wir Skiläufer zogen los, während die Rodler noch etwas Zeit bis zur Abfahrt des Zuges hatten, der sie nach Suhl zurückbringen sollte.

      Unser Weg führte uns ein Stück auf dem Rennsteig entlang über den Brandleitetunnel hinweg in südöstliche Richtung. Wir gelangten an einen Wegweiser, der nach Zella-Mehlis wies. Auf dem Weg kamen wir in eine nicht all zu zügige Abfahrt, so, wie ich sie als angenehm bezeichnen würde. Einige der Lehrlinge aus dem Thüringer Wald liefen voraus und die restlichen als Abschluss hinten, damit wir Nicht-Wäldler nicht abhanden kommen konnten. Auf dem Weg war keine Spur und so wechselten die Spitzenläufer häufig, da sie von den Nachfolgenden schnell eingeholt wurden, denn beim ersten Läufer bremste der unbenutzte Schnee noch stark. Unsere Spurmacher wussten aber, wie man das macht, denn der Dritte war auch schneller als der Zweite und der Vierte holte den Dritten ebenfalls noch ein. Sie steuerten auf Anruf dann zur Seite und ließen die Nachfolgenden vorbei. So ging das eine Weile, da landeten wir vor einem Windbruch. Gerade, als der Weg nicht mehr auszumachen war, gab es ein stärkeres Gefälle und vor uns lagen große Fichten, deren Wurzeln auf einer Seite in die Höhe ragten. Wir versuchten, die Spur zu verlassen, um zum Stehen zu kommen. Einem langen Berliner gelang das nicht. Schreiend kam er auf uns zu und machte statt einen Schneepflug nur die Beine breit. Ein hinter ihm laufender kleiner „Wäldler“ ging tief in die Hocke und huschte bei dem langen Berliner zwischen den Beinen hindurch. Er konnte so verhindern, dass der Berliner in die umgestürzten Bäume raste. So lagen beide nur im Schnee.

      Wir umgingen den Windbruch und gelangten an einen Sprunghügel, den wahrscheinlich Zella-Mehlisser aus Schnee errichtet hatten. Den probierten die meisten von uns mehrmals aus und kamen auf Sätze bis etwa elf Meter. Ich hielt mich da ob meiner mürben Bindung zurück. War ich doch schon froh, bis hier her gekommen zu sein.

      Über eine große freie Fläche gelangten wir bei Goldlauter nach Suhl. Ab hier schulterten wir die Ski und gingen zu Fuß zum Heim. Hüsing verabschiedete sich von uns. Seine Verwandten wohnten dort in der Nähe, wo wir in die Stadt gelangten.

      So eine Tour hätten wir gern wiederholt, doch es war wohl die Zeit gekommen, als man Haider ablöste und so wurde nichts daraus. Der Schnee um Suhl war aber ausreichend und wir mussten nur auf den Hang über unserem Heim klettern, um Ski zu laufen. Da meine Bindungen auf der Tour von Oberhof gehalten hatten, war ich waghalsiger geworden. Eine Methode auf das Gelände vom Heim zurückzukommen, war der Satz mit den Skiern über die Zaunspitzen, die noch etwa 20 Zentimeter aus dem Schnee herausragten. Dazu musste man von den Einfamilienhäusern aus, in denen unsere Luftschutzkeller waren, anlaufen, um den Satz über den Zaun zu vollbringen. Der Satz gelang mir. Nur die Landung nicht. Hinter dem Zaun war ein Absatz, weil dort kein Schnee hin geweht war. Das gekonnte Aufsetzen dort gelang nicht recht. Ich wollte einen Sturz verhindern und rutschte trotzdem zur Seite. So kam ich auf den vereisten Weg neben unserer Baracke und schlitterte auf die Treppe zu, die nach unten führte. Vor der Treppe rutschte ich bereits auf dem Hintern. Mit meinem Steißbein stieß ich auf einen Pflock der oberen Stufe, der das senkrechte Brett stützte. Ich maß mit meinem Steiß noch mehrere Stufen und Pflöcke aus. Der blaue Fleck am Steißbein reichte aus, um krankgeschrieben zu werden. Ich zog das soweit hinaus, dass ich mich bei Gabriel nur noch abmelden brauchte. So hatte ich Gabriel überstanden. Wenn wir uns später begegneten, grüßte er immer freundlich.

      Vorerst brauchte ich nicht mehr andere Abteilungen zur Ausbildung aufzusuchen. Zu einem späteren Zeitpunkt würde ich noch in die Werkzeughärterei und in die Lehrschmiede kommen, erfuhr ich. So ging es nun mit dem Anfertigen von Spannerei-Teilen weiter wie Hahn, Spannhebel und Stange. Das war teilweise kompliziert. In den auf die Arbeitsplatte montierten Winkel wurde an einer bestimmten Stelle ein Loch gebohrt und von der äußeren Seite aus mit einer Handreibahle kegelig aufgerieben. In dieses Loch sollte dann der Schlagbolzen des Hahns eingeführt werden. Die Spannerei-Teile wurden gehärtet, wobei dann das Anlassen so erfolgen musste, dass bestimmte Stellen strohgelb wurden und der Rest fast ausgeglüht war. Die Hitze lieferte ein Bunsenbrenner. Um bei dem Glühen die Hitze abzudämmen, wurden über die Stellen, die hart bleiben sollten, Flachzangen angesetzt. Beim Hahn musste man dabei sehr flink sein, weil er drei Stellen besaß, die hart bleiben mussten, man aber nur mit zwei Flachzangen arbeiten konnte, da man nur zwei Hände hatte.

      Als wir alles fertig und montiert hatten, machte es uns Spaß, die Spannerei zu spannen und abzuschießen. Wir hatten uns ausgedacht, vor das Schlagbolzenloch Gegenstände zu halten, die dann mehr oder weniger durch die Gegend schwirrten. Die Originalschlagfeder hatte viel Bumms. So wurden auch Reißnadeln vor das Schlagbolzenloch gehalten, aus dem der Schlagbolzen dann etwa einen Millimeter zum Vorschein kam, wenn man ihn freigegeben hatte. So verschoss ich einmal eine Reißnadel, während Harald Tyrri aus Hamburg, über einen Kopf größer als ich, drei Schraubstöcke neben mir mit dem Rücken zu mir stand. Ich traf ihn in mit der Reißnadelspitze in die linke Pobacke. Da durfte ich ihm einige Tage nicht zu nahe kommen.

      Nach der Spannerei mussten wir einen Schnapper herstellen, der dazu diente, den Vorderschaft am Gewehr zu halten. Dabei lernte ich, dass man auch die eigene Spucke bei der Bearbeitung von Metall gebrauchen kann. Am Schnapper ist eine Kugelpfanne eingebracht, damit man zum Abnehmen des Vorderschaftes einen Finger unter die Klappe des Schnappers führen kann, um sie anzuheben. So kann man dann den Vorderschaft vom Gewehr abnehmen.

      Als ich nach dem Vorbohren an einer großen Bohrmaschine mit einem Kugelsenker die Kugelpfanne aussenkte und die Pfanne grob fertig hatte, sagte der Lehrausbilder zu mir, ich möge nun in die Pfanne spucken. Das glaubte ich erst nicht. Als ich dann spuckte, brachte ich nicht viel Spucke zusammen. Schließlich spuckte der Lehrausbilder hinein und dann wurde die Pfanne bei der Umdrehung des Senkers spiegelblank, während die Spucke zischend verdampfte.

      Eines Tages wurde uns ein neuer Ausbildungsleiter vorgestellt. Er hatte die große Hitlerjugend-Uniform an, wozu er Stiefelhosen trug. Er war mindestens fünfzig Jahre und hieß Dellwig. Er hielt eine schmissige Rede und führte dann einige Dinge ein, die uns nicht gerade begeisterten. Eine Maßnahme war, dass ihm zu jedem Mittagessen ein Lerling gegenübersitzen musste, der sich während des Essens mit ihm zu unterhalten hatte. Laut Dellwig mussten wir nun rote Armbinden tragen, wo ein goldfarbenes „G“ aufgestickt war. Im ersten Lehrjahr war weiter nichts an der Armbinde. Im 2. Lehrjahr war am oberen und am unteren Rand ein goldener Streifen, ganz um den Arm und im dritten und vierten Lehrjahr waren es jeweils zwei Streifen oder Ringe. So konnte man uns nun noch besser als Lehrling erkennen.

      Sprachen wir über Janz mit Hochachtung, war das bei Dellwig gerade das Gegenteil. Von Janz waren keine Nazisprüche zu hören, während sie bei Dellwig nur so herauspurzelten. Vor allem bei den Appellen am Anfang und am Ende der Woche. Herr Janz war sehr streng, aber Dellwig hinterlistig und großkotzig.

      Herr Janz ist dann gestorben. Er muss sehr krank gewesen sein, wie erzählt wurde. Wir bedauerten das sehr. Einige meinten sogar, dass Dellwig eher in den Sarg gepasst hätte.

      Wir bedauerten alle sehr, dass Erhard Haider uns mit seiner Susi verließ. Dieser Abschied erfolgte etwa um die Zeit, als ich mich mit meinem Steißproblem gerade zu Hause in Bürgel herumdrückte. Auch das Klavier im Speisesaal stand nun unbenutzt herum, denn Susi war ja nun nicht mehr da, um darauf zu spielen. Ihr Spiel hatte bei mir den Wunsch aufkommen lassen, das Klavierspielen selbst zu erlernen.

      Als unser Betreuer fungiere vorläufig der Steffel. Er trug fast nur enge Hosen, zu denen er Kniestrümpfe oder auch Trachtenstrümpfe trug. Während Haider mit uns Hitlerjugenddienst abhielt, geschah auf dieser Strecke nun nichts mehr. Auch die Abende,

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