Verdorbene Jugend. Horst Riemenschneider
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Nachdem man Frankreich niedergerungen hatte, Holland und Belgien auch, konnte es passieren, dass er einen jungen Belgier anschnauzte, denn von denen hatte man vor allem Fachkräfte als Fremdarbeiter hereingeholt, die dann entsprechende Abzeichen tragen mussten. So gab es im Betrieb mehrere Nationalitäten.
Im Lehrlingsheim hatten wir regelmäßig Appelle, bei denen verschiedene Sachen, wie Schuhe, Wäsche und andere Bekleidung sowie die Spinde, kontrolliert wurden. Eines Tages hieß es, dass Direktor Lange uns besuchen und auch Appelle durchführen werde. So kam er in unsere Stube. Robert Kleingünter war noch da. Lange betrachtete die Betten und wollte dann Hüsings Spind sehen. An Hüsings Spindordnung fand er nichts, was er bemängeln konnte. So griff er nach der Zahnbürste, die aus dem Zahnputzglas oben herausragte. In einer Hand hatte er den Stiel der Zahnbürste erfasst und mit dem Daumen der anderen Hand fuhr er über die Borsten. „Die Bürste ist doch ganz trocken. Wann haben sie sich das letzte Mal die Zähne geputzt?“ fragte er. „Gestern Abend“, antwortete Hüsing. – „Das stimmt nicht.“ – „Doch“, erwiderte Hüsing. So ging der Streit ein paar mal hin und her. Schließlich beharrte Lange darauf, dass das Zähneputzen am Morgen das wichtigste sei. Das verneinte aber Hüsing und so ging der Streit hin und her. Lange blickte Haider an und wollte von ihm die Bestätigung seiner Ansicht erfahren. Doch Haider sagte: „Da irren sie sich, Herr Direktor. Was der Lehrling sagt, stimmt.“ Da ging Lange auf die Palme. Nun wurde der Streit zwischen Haider und Lange fortgesetzt, während sie unsere Stube verließen.
Ich glaube, dass dieses Vorkommnis dem Haider die Stellung gekostet hat. Er wurde später, etwa im Februar 1941, abgelöst. Aber Lange schleppte weiter seinen Fettwanst über den Betriebshof. Haider berichtete uns danach, dass Lange nicht zu überzeugen war und auch nicht eingesehen hätte, dass er eine unhygienische Handlung mit seinem Daumen vollführt hätte. Der rechthaberische Lange trieb weiter sein Unwesen.
Das Schulungslager
Am 2. September 1940 ging es in das Schulungslager nach Dreißigacker bei Meiningen. Da waren alle Lehrjahre des Lehrlingsheimes dabei. Wir waren in einem großen Gebäude untergebracht, was wohl als Schloss galt. Dort war der Herr Janz unser oberster Chef. Die Lehrausbilder waren natürlich auch da.
Gleich am ersten Abend beim Essen gab es von Herrn Janz für alle einen Anpfiff. Es war kurze Zeit nach Beginn des Essens, da erhob sich Janz, vor dem ich große Achtung hatte, und sagte laut: „Herhören! Da gibt es doch tatsächlich unter euch welche, die machen beim Umdrehen der Speisen im Mund den Mund auf und erzeugen ein unappetitliches Geräusch. Ab sofort möchte ich das nicht mehr hören. – Weitermachen!“ Im Lehrlingsheim hatte man uns schon einige Tischsitten beigebracht, doch hier waren nun alle vertreten, die im ersten Lehrjahr waren. Ich kann mich noch an das laute Schmatzen erinnern, bevor Janz das Thema angesprochen hatte. Ab sofort war das Schmatzen dann vorbei.
Im Lager hatten wir Schulunterricht und meist anschließend militärische Grundausbildung. Das Wetter bescherte uns oft Nebel oder Nieselregen. Es war insgesamt unfreundlich. Herr Janz blieb nicht die gesamte Zeit bei uns, waren doch im Betrieb noch die zwei- und dreijährigen Lehrlinge. Ebenso etwa 20 bis 30 der Vierjährigen. Später wurde ihre Anzahl immer geringer, weil sie dann ins Alter zum Kriegmachen herangereift waren. Sogar dreijährige Lehrlinge mussten ihre Prüfung nach zweieinhalb Jahren ablegen, weil sie jahrgangsmäßig schon an die Einberufung zum Wehrdienst herankamen.
Hier im Schulungslager erhielten wir nun endlich die angekündigten Werkstatthefte und wurden über die Eintragungen darin belehrt. Nun kamen neben den gewöhnlichen Hausaufgaben für die Berufsschule noch die wöchentlichen Eintragungen in dieses Heft dazu, was man deshalb auch Berichtsheft nannte. Von dem Merkheft, in das wir täglich unsere Tätigkeiten eintragen und vom Lehrausbilder bestätigen lassen mussten, wurden die wöchentlichen Tätigkeiten auf ein Wochenblatt im Werkstattheft übernommen und im hinteren Teil dieses Buches eine Zeichnung dazu angefertigt, die mit den Tätigkeiten der betreffenden Woche im Zusammenhang stehen sollte. Im Kopf des Wochenblattes waren einige Zeilen angelegt, wo dann noch die Wochenlosung eingetragen wurde, die man jeden Montag beim Wochenanfangsappell bekannt gab.
Das Schulungslager sollte eigentlich drei oder vier Wochen lang stattfinden, es waren zu unserem Glück nur 14 Tage, denn im Lehrlingsheim wohnte es sich besser. Zum Abschluss hatte man einen „Kameradschaftsabend“ angeordnet, bei dem jeder, der etwas lustiges konnte, dies vortragen sollte.
Der Lehrausbilder Peschke, der von der dritten oder vierten Gruppe der zweite Ausbilder war, hatte sich einen Lehrling aus Sachsen vorgenommen, der uns die Sächsische Lorelei vorsingen sollte. Heinze, so hieß dieser Lehrling, war erst kurze Zeit bei uns. Er stammte aus Löbau, wo seine Familie ein Waffengeschäft führte. Lehrjahresmäßig gehörte er eigentlich ins zweite Lehrjahr, doch das hätte er nicht durchgestanden. Er war schon über eineinhalbe Jahre bei einem Büchsenmacher in Sachsen in der Lehre, bei dem er einen Schraubstock nur zum Putzen kennen gelernt hatte. Seine übrige Tätigkeit bestand aus Straße kehren, Wohnung säubern, Einkaufen für die Meisterin und alles was in einem Haushalt noch so zu erledigen war. Sogar beim Waschen der Wäsche musste er jedes Mal helfen. Heinze hatte nun viel nachzuholen, wenn er mit uns gleichziehen wollte. Er besaß den festen Willen dazu und erklärte uns, wie gut doch unsere Ausbildung sei.
Ehrhard, so hieß er mit Vornamen, musste nun einen Tag vor dem Kameradschaftsabend mit Peschke die Sächsische Lorelei lernen, obwohl er nicht singen konnte, wie er immer wieder betonte. Das stimmte nicht ganz. Er hatte nur eine dunkle und kratzige Stimme. So trug er dann auch das Lied vor. Auch ohne so einen Vortrag war Erhard Heinze schon sehr nervös. Wo er auch seinen Blick hinwendete, drehte sich sein Kopf alle drei bis vier Sekunden leicht hin und her. Doch Heinze stand das Lied durch und ich kann es heute noch.
Werkstattheft von Horst Riemenschneider aus dem 1. Lehrjahr 1940
Wieder im Betrieb und im Heim
Nach dem Schulungslager arbeitete ich noch einige Tage an dem Schraubstock, an dem ich seit dem ersten Arbeitstag stand und verschiedene Arbeitstechniken erlernte. Ende September erfolgte nun die Zuordnung zu den Berufen.
Ich war noch unter „Technischer Zeichner“ geführt worden und musste langsam alle Hebel in Bewegung setzen, dem nun neu von mir angepeilten Beruf zugeordnet zu werden. Als neuen Beruf hatte ich mir Büchsenmacher ausgewählt. Inzwischen gab es aber die Information, dass keine Büchsenmacher im Betrieb mehr in die Ausbildung kommen, sondern nur noch Systemmacher. Wer Büchsenmacher werden wolle, müsse daran anschließend zur neu gegründeten Reichsbüchsenmacherschule in Suhl gehen. Dort würde man ein halbes Jahr zusätzlich lernen müssen, wobei vormittags Schulunterricht sei und nachmittags in einer Büchsenmacherwerkstatt ein viertel Jahr das Schäften und dann ein viertel Jahr die Fernrohrmontage zu erlernen seien. Ich wurde also in die Systemmachergruppe eingereiht, die nun in einer Reihe an der Fensterfront in Richtung des Sportplatzes versetzt wurde. Ebenso auch die Werkzeugmacher und Maschinenbauer, die dann auf der Bahnhofseite zwei große Gruppen bildeten. Die anderen Lehrberufe kamen teilweise schon in den Betrieb oder in die Lehrwerkstatt II, die unter uns lag. Dort landeten auch die Frankenhainer, die „Anlerndreher“ in ihren Ausbildungsverträgen stehen hatten. Die Lehrwerkstatt II war voller Maschinen. Unter dem Speisesaal war die große Werkzeugausgabe, in die jeder eine Woche lang zum Kennenlernen eingesetzt wurde, so auch ich.
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