Verdorbene Jugend. Horst Riemenschneider

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Verdorbene Jugend - Horst Riemenschneider

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anzuhören bekam ich eine Ohrfeige, die nicht von schlechten Eltern war. Ich solle mich an einen anderen Tisch setzen, wenn ich derartige Schreibarbeiten zu erledigen hätte. Ich dachte, der macht Spaß. Doch davon war er weit entfernt. Eine Entschuldigung akzeptierte er nicht. Das Heft musste ich von vorn wieder neu beginnen. Alle Wochennotizen und die Skizzen dazu noch einmal ausführen. Ich ärgerte mich doppelt. Das neue Heft hatte nicht mehr so gutes Papier, es war schon Kriegswahre, wo die Schreibfeder oft in das Papier einhakte. Ich überstand das auch. Das Heft war zum gesetzten Termin fertig. Heute würde ich sagen, es ist sogar noch einigermaßen geworden.

      Ich war gerade so schön dabei, den Systemmachergrundlehrgang zu absolvieren, da holte mich der Technische Zeichner-Lehrling wieder ein. Da die Unterschrift von meinem Vater noch nicht vorlag, wurde ich noch unter der alten Berufsbezeichnung geführt. Meine Ausbildung an der Drehmaschine war fällig. Die hätte ich als Systemmacherlehrling auch absolvieren müssen, aber nicht so zeitig.

      Ich kam an die Drehmaschine in Lehrwerkstatt I, blieb also unter der Fuchtel von Meister Dietz und Lehrausbilder Hücker. Das Drehen fand ich interessant, nur mit der Wechselräderberechnung kam ich nicht zurecht. Vielleicht hatte Hücker es mir auch nicht richtig erklärt. Zum Gewinde drehen bin ich deshalb nicht mehr gekommen, aber es gelang mir, einen Ballengriff herzustellen, wobei mit Handmeißeln gearbeitet wurde, so ähnlich, wie es ein Drechsler macht. Und bei einem Drechsler in Bürgel war ich eine Zeit lang Laufjunge. Da hatte ich schon Versuche mit einem Handstahl absolviert.

      Nach dem Weihnachtsurlaub konnte ich die Unterschrift meines Vaters zum Berufswechsel vorlegen. Ich musste aber in dem Maschinenturnus bleiben, weil sonst zu viel Verschiebungen notwendig geworden wären. So war ich dann über ein halbes Jahr früher an den Maschinen, als meine neuen Gruppenmitglieder.

      Am 8. Januar 1941 kam ich in den Werkzeugbau, zur Fräserei. Der Fräsergeselle dem ich nun die nächsten vier Wochen unterstellt war, hieß Ley. Zeitweise war noch ein zweijähriger Lehrling bei ihm. Er hatte mehrere Maschinen zu bedienen, wobei wir Lehrlinge ihm zur Seite standen. Ich erinnere mich, dass an einer größeren Fräsmaschine große Drallbohrer, die man gewöhnlich und falsch als Spiralbohrer bezeichnet, gefräst wurden. An einer anderen Maschine wurde einmal von einem Lehrling der Anschlag zum Ausschalten des Vorschubs nicht ordentlich festgezogen und der Fräser fräste ein Stück weiter in den Reitstock. Größerer Schaden wurde aber vermieden. Ich fräste an einer kleineren Maschine Reibahlen, an der der Vorschub mit einem Handhebel und mit Gefühl erfolgte. Die Reibahlen hatten am Schneidenteil um die sechs bis acht Millimeter Durchmesser.

      Meine nächste Ausbildung sollte in der Hobelei stattfinden. Andere Lehrlinge meinten, ich möge bloß zusehen, dass ich nicht zu dem Gabriel komme. Dort würde es schrecklich sein. Ich kam zu dem Gabriel. Die erste Woche durfte ich nur zusehen. Ich bekam nichts erklärt. Ein zweijähriger Lehrling war auch noch dort beschäftigt. Der erklärte mir auch nichts. „Das muss der Lehrgeselle machen,“ sagte der Zweijährige, der aus Berlin stammte. Als der Geselle, also Gabriel einmal nicht anwesend war, zeigte er mir, wie der Vorschub eingeschaltet wird. Das war alles.

      Der Zweijährige hatte seine Zeit dort bald herum und ich war allein bei Gabriel. Der erklärte mir nun auch noch einmal das Einschalten des Vorschubs und gab mir zur Aufgabe, zwei schon bearbeitete Teile auf die geforderte Länge zu hobeln. Das Einspannen von Werkstücken in einen Maschinenschraubstock erlernte ich schon in der Fräserei. Um die Parallelität von gegenüberliegenden Flächen zu gewährleisten, wurden zwei Parallelleisten untergelegt, auf die das Werkstück gesetzt wurde. Mit einem etwa 1000-Gramm-Hammer wurde ein schon gespanntes Werkstück auf die Parallelleisten getrieben, sodass diese an keiner Seite mehr zu bewegen waren. War das der Fall, hatte man die Gewähr, dass die nun zu bearbeitende Fläche parallel zu der bereits bestehenden wurde. Man spannte beim nach unten Treiben den Schraubstock ab und zu noch einmal nach.

      Meine Freude war groß, als ich nun die Maschine allein in Gang setzen durfte und probieren konnte, wie viel mein Hobelmeißel in der Zustellung schaffte. Von den beiden Werkstücken sollte eins 90 Millimeter lang werden und das andere 60 Millimeter. Ich dummes Luder habe nun zuerst das eine Werkstück auf 60 Millimeter herunter gehobelt und wollte dann das 90 Millimeter lange beginnen. Beim ersten hatte ich so richtig Spaß, wie die Späne davon flogen.

      Dann packte mich das Grausen. Gabriel war noch nicht zugegen, da er in eine andere Werkstatt zum Hobelmeißelschleifen gegangen war. – Ich hatte das längere Werkstück zu dem kurzen gemacht und somit Ausschuss produziert. Gerade als ich nun so bedrückt meinen Ausschuss betrachtete, kam Gabriel. Ich zeigte ihm meinen Murks, er nahm das zu kurze Stück in die Hand und warf es mir vor den Bauch. Ich drehte mich ab, sodass der Eisenklotz zwar noch an meinen Bauch gelangte, aber nicht mit voller Wucht aufkam. Währen der Eisenklotz zwischen die Maschine des nächsten Hoblers flog, bekam ich von Gabriel einen Tritt in den Hintern, den ich ihm durch mein Abdrehen darbot. Gabriel sagte nichts. Ich musste nun wieder neben den Kurzhobelmaschinen stehen und zusehen.

      Am nächsten Tag stand ich nicht mehr. Davor rettete mich ein Sturz mit den Ski meines Onkel Fritz.

      Als wir in die Weihnachtsferien fuhren, wurden wir vorher im Heim informiert, dass wir nach den Ferien, wenn vorhanden, Skier mitbringen sollten, weil eine Fahrt nach Oberhof geplant sei. Ich setzte mich mit meinem Onkel Fritz in Verbindung, der damals gerade als HIGA, also Hilfsgrenzassistent, an der Schweizer Grenze zum Einsatz kam und bat um seine Skier. Der war einverstanden. Auf der Rückfahrt nach Suhl bekam der Zug mehr und mehr Verspätung, da der Schnee Richtung Oberhof immer höher wurde. Statt am Nachmittag kam ich abends gegen 21 Uhr ans Ziel.

      An einem darauf folgenden Sonntag sollte es wie angekündigt nach Oberhof gehen. Die Bretter von Onkel Fritz waren ja noch ganz gut. Die Bindungen dagegen äußerst schlecht. Das Leder war brüchig, um nicht morsch zu sagen. Schon bei einem Anschnalltest riss mir ein Längsriemen und Hüsing meinte, dass ich kaum damit auf diese Tour gehen könnte. Gerade noch rechtzeitig kam mir ein etwa fünf Zentimeter langer Nagel in die Finger. Ich überbrückte den gerissenen Riemen damit und bog ihn auf der Außenseite um. So hielt der Riemen erst einmal zusammen und ich konnte die Skier anschnallen. Ich war erleichtert, sonst hätte ich ohne Gerät mit nach Oberhof fahren und um eine Mitfahrt auf einem Rodelschlitten betteln müssen.

      Gegen halb acht fuhren wir mit dem Personenzug von Suhl nach Oberhof. Dort angekommen mussten wir nun erst ein Stück zu Fuß gehen, bevor wir in den Ort und an die Wintersportstätten gelangten. Über den Brandleitetunnel ging es zur Straße, die halbwegs von Schnee befreit war. Man erkannte dadurch, dass der Schnee mindestens einen Meter hoch war. Das freute uns und mich besonders, hatte ich doch noch nie so hohen Schnee erlebt. Bei solch hohem Schnee war ein Sturz mit den Skiern halb so schlimm.

      Wir gingen an der Golfwiese, an die sich der Idiotenhang anschloss vorbei in den Ort. Im Ort erklärte uns Erhard Haider, wo die Sportstätten liegen und wo er zu finden sei, wenn etwas passieren sollte. Dann kehrten wir in eine Gaststätte ein, um bei einem Tee unser Frühstück einzunehmen. Vom Frühstück sollten wir uns eine Reserve lassen, damit wir im Notfall etwas zur Stärkung hätten. Nun war es so weit, dass wir auf den Schnee losgelassen wurden.

      Zuerst ging es zur Golfwiese und zum Idiotenhang. Dort machte ich einige Abfahrten, die beim Abbiegen bis an die Eisbahn führten. Das war eigentlich nur ein kleiner Teich auf dessen Eis wir durch Fichtengestrüpp aufgefahren sind. Von da aus strebten wir der Bobbahn zu. Nun ging es gleich weiter zu den Sprungschanzen, von denen die große Schanze Hindenburg-Schanze genannt wurde, was auch am Schanzentisch zu lesen war. Uns kribbelte es im Bauch, als wir den Aufsprunghang vom Platz unter dem Schanzentisch aus hinunter blickten. Neben der großen Schanze befand sich eine kleinere, die man Jugendschanze nannte. Auf dieser Schanze trainierte ein junger Mann. Wir wunderten uns, dass er immer stürzte. Doch er meinte, da müsse er nicht jedes mal den ganzen Hang hinaufklettern.

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