Schwein im Glück. Astrid Seehaus

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Schwein im Glück - Astrid Seehaus

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ich mich gegen diese Spezies zu immunisieren. Das war mir bisher auch ganz gut gelungen. Aber dieser Mann vor mir, dieser Wolf im Schafspelz, der sich mir nun besorgt näherte, brachte mich durcheinander. Und das war nicht gut.

      „Ich …“, fing ich an und wurde von Nesrin unterbrochen, die instinktiv im richtigen Moment ins Zimmer stürmte.

      Meine Dankbarkeit kannte keine Grenzen. Ich wüsste nicht, was ich laut ausgesprochen hätte, bar jeden Verstandes. Vielleicht so etwas wie Rauben Sie mir sofort meine Unschuld auf dem Schreibtisch.

      Black Mambo hatte ganze Arbeit an mir geleistet. Ich war unzurechnungsfähig, hormonell dysfunktional, geradezu gefährlich blöd. Noch so ein Manuskript von Webers Nichte, und ich würde Winter zuvorkommen und kündigen müssen.

      Nesrins Auftauchen war meine Rettung. Sie zirpte mit ihrer Singsang-Stimme, und Winter wandte sich ihr zu. Die Gelegenheit nutzend griff ich nach meiner Handtasche. Während Nesrin unseren Chef mit Blicken verschlang, nahm ich, wie meine Heldin, Reißaus, froh, dass keine Kutsche im Weg stand.

      Ungeduldig saß ich im Café Prüsse an der Außenalster und wartete auf Esme, meine Freundin. Esmeralda Lehmann. Natürlich war ihr Vorname seltsam, mindestens ebenso wie meiner. Wir hatten schon endlose Diskussionen darüber geführt, was unsere Mütter mit diesen Namen verbunden hatten, als sie sie uns gaben und waren zu keiner Erklärung gekommen außer der der Postnatalen Depression.

      Esme war so alt wie ich, einunddreißig. Sie war selbstbewusst, reich, schön, unabhängig, auch wenn sie erst mit zweiundvierzig über das ganze Erbe ihrer Großmutter verfügen dürfte und damit dann wirkliche Unabhängigkeit erlangt hätte. Bis dahin hatte sie eine Tante am Hals, die nicht nur unglaublich exzentrisch war (sie sammelte alte Autos wie die Guggenheim Kunstobjekte), sondern auch als Nachlassverwalterin fungierte. Trotz dieser unglücklichen Konstellation beneidete ich Esme.

      Ich hatte einen Master in Literaturwissenschaft. Mein Studium hatte ich mehrmals unterbrechen müssen, um Geld zu verdienen, unter anderem auch als Aushilfe in dem Verlagshaus, für das ich arbeitete. Das war im Rahmen des Üblichen, wenn man studierte. Man sollte nur am Schluss seines Studiums nicht komplett verblödet sein. Ich hatte einen Fehler gemacht, und den bereute ich wieder und wieder. Da hatte es auch einen Damian Winter gegeben, einen Mann, der Herzen brechen konnte. Nur hieß er Carlo und war abgehauen. Er der Dozent, ich die Studentin. Wir hatten alle Klischees erfüllt. Er war ein guter Redner, und ich himmelte ihn an, wie die fünfzig anderen Studentinnen auch. Aber er erhörte mich. Später erfuhr ich, nicht nur mich hatte er geliebt, auch die anderen fünfzig. „Er hat Schlag bei den Frauen“, hätte mein Opa gesagt, und ich hatte einen Schlag in der Birne, so sah es Jette, meine Mutter.

      Ich schlug die Ratschläge meiner Eltern in den Wind. Liebe machte wirklich blind. Mein Erspartes war weg, mein Traum, mit Carlo in den USA zu leben, ebenso, und ich zahlte immer noch die Schulden ab. Meine Eltern waren mir entgegengekommen und hatten einen Teil übernommen, was mir ein schlechtes Gewissen bereitete, zumal sie nicht reich waren. Nicht, dass meine Eltern darüber sprachen, das brauchten sie auch nicht. Meine Mutter rieb es mir jeden Tag filetiert unter die Nase, indem sie mir demonstrativ, über Gebühr und sich wiederholend wie das Fernsehprogramm zeigte, wie wenig sie mir zutraute. Es fehlte nicht mehr viel, und sie würde von mir erwarten, dass ich wieder vor zehn Uhr abends nach Hause käme. Ich hatte zu meinem großen Leidwesen meine Wohnung aufgeben müssen und lebte wieder bei meinen Eltern. In meinem Kinderzimmer. Wo die Poster vergangener Teenieträume immer noch an den Wänden hingen.

      Ich sah Esmeralda schnaufend auf mich zukommen. Sie war wie immer eine Augenweide, ohne Make-up, ohne raffinierte Frisurenexperimente, und das schaffte sie allein dadurch, dass sie Fahrrad fuhr. Esme war so etwas wie ein Enfant terrible, eine Naturgewalt mit leichtem Hang zur Dramatik. Ich liebte sie wie meinen Zwillingsbruder Ben.

      „Du siehst …“ Ihr Blick blieb an meiner Bluse hängen, „ungewöhnlich aus.“

      Ich erhob mich und umarmte sie. „Wie schön, dass du gleich Zeit hattest.“

      „Klar doch, ich hatte heute ohnehin nichts vor, außer zu shoppen.“ Sie grinste mich an. Esme liebte Schuhe, Flohmärkte, sinnlosen Krimskrams und ihren Hund Floh (ich weiß, ein unglücklicher Name).

      „Wo ist Floh?“

      „Den hat die Tante. Sie liebt ihn, auch wenn sie ihn Oliver Cromwell nennt. Floh kommt ihr nicht über die Lippen. Sie kann froh sein, dass ich ihn nicht Schnaps genannt habe. Oder Viagra.“ Mit einem Rumms fläzte sie sich auf den Stuhl gegenüber.

      Ich kicherte. Keine Frau konnte weniger eitel sein als Esme. Bei ihr war alles groß: großer Busen, großer Po, großer Bauch, großes Herz. Solange ich sie kannte, und ich kannte sie seit Kindergartentagen, hatte sie noch niemals eine Diät angefangen. Und die Männer gaben ihr Recht, indem sie sie umschwärmten, denn Esme besaß neben ihren körperlichen Vorzügen auch eine Menge natürlichen Charme.

      „Was ist, Schätzchen? Wieder der Mann mit den stechenden Augen?“, fragte sie unverblümt.

      „Ich hasse ihn“, grunzte ich und bestellte zwei Latte macchiato für uns.

      „Das ist aber ein sehr großes Wort so früh am Tag.“

      Es war elf. Und ich brauchte einen Drink. Irgendwo auf der Welt war es bereits Abend. Was sollte ich so lange warten? Der Tag würde nicht besser werden. Fuchtelnd winkte ich die Bedienung herbei, bestellte einen Batida Chérie, eine Mischung aus Batida de Coco, Sekt und Sauerkirschsaft, und erzählte Esme von den Anrufen meiner Mutter, meinem schlechten Gewissen und dem Gefühl, in der Falle zu sitzen.

      „Sie lieben dich doch nur“, entgegnete Esme und fixierte das Getränk, das mir gebracht wurde.

      „Auch einen?“, fragte ich sie und hob das Glas.

      „Nee, ich muss noch fahren.“

      „Sie lieben mich, weil ich manipulierbar bin“, sagte ich und schlürfte das Zeug wie Wasser. „Abhängig. Sprechen wir es doch aus: Ich bin die Tochter, die es nicht geschafft hat, mit einem Bruder –“, ich erhob den Finger, so wie es meine Mutter oft tat, „einem Zwillingsbruder wohlgemerkt, der alles schafft, indem er uns vormacht, wie man die Dinge richtig anpackt.“

      „Dabei geht es aber bei ihm immer nur um Geld“, konterte Esme.

      „Ja“, sagte ich. „Bei Börsenmaklern geht es hauptsächlich um Geld. Aber das ist eben das, was man unter dem Strich sieht.“ Ich betrachtete das Glas, das ich halbleer getrunken hatte und musste feststellen, dass ich dem Angriff der Prozente auf meine Synapsen nicht gewachsen war. Den Rest ließ ich stehen.

      „Das reicht aber doch nicht“, wollte Esme mich davon abhalten, mich wieder mal in Selbstmitleid zu suhlen.

      „Geld kann man sehen und riechen, man kann sich gut damit fühlen und sicher, und man kann damit Schulden bezahlen“, klagte ich. „Meine Eltern haben mich quasi zurückgekauft. Sie können mit mir machen, was sie wollen. Ich bin deren Sklave.“

      „Übertreib nicht so schamlos. Sie wollen doch nur, dass du glücklich bist.“

      „Ja, klar“, murrte ich. „Sie wollen, dass ich heirate. In welchem Jahrtausend leben wir denn? Ich will doch nicht heiraten.“

      Esme grinste breit.

      Ich wusste, was sie dachte, und winkte ab. „Bei Carlo ist es etwas anderes gewesen.

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