Schwein im Glück. Astrid Seehaus

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Schwein im Glück - Astrid Seehaus

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ist, oder? Dieser Damian Winter scheint es aber auch nicht wirklich zu sein, wenn du nicht in ihn verliebt bist. Also was ist es dann?“

      Das war der Moment, Ben zu beichten. Ihm die ganze Wahrheit zu sagen. Die Angst, gekündigt zu werden, weil zu erwarten war, dass das Bilderbuchsegment geschlossen und ich als Aushilfe im Unterhaltungsbereich nicht dauerhaft gebraucht würde. Obwohl ich natürlich auch noch andere Aufgaben im Verlag hatte, aber keine bedeutenden. Meine Angst, ewig bei den Eltern wohnen zu bleiben, weil ich mir keine Wohnung in Hamburg leisten konnte, und dann meine Schulden.

      „Du hast immer noch welche?“, stieß er verblüfft aus. „Ich dachte, Daddy Bastian hat dir die Schulden bezahlt.“

      „Ben, hör mir zu! Du musst mir wirklich noch einen Rest an Ehrgefühl lassen. An Würde, weißt du. Wenn du mir auch noch diese Schulden bezahlst, habe ich ja gar nichts mehr, um …“

      „Carlo hinterherzuheulen? Ist mir klar. Verstehen kann ich es aber trotzdem nicht, dass du auf einen hässlichen Kerl mit Neigung zum Doppelkinn und Wurstfingern abgefahren bist.“

      „Er hatte keine Wurstfinger“, wehrte ich ab.

      „Aha, das Doppelkinn streitest du also nicht ab. Bille, er ist es nicht wert, dass du überhaupt noch einen Gedanken an ihn verschwendest.“

      „Das findet Esme auch“, gab ich kleinlaut zu.

      „Na, siehst du, habe ich dir doch gesagt. Esme und ich sind fast immer einer Meinung.“

      Das wäre mir neu. Esme und Ben konnten sich zu meinem Leidwesen nicht ausstehen. Seitdem Ben Esme so übel angebaggert hatte, dass er mit der verwendeten Energie den Elbe-Seitenkanal allein hätte ausheben können, und Esme ihn hatte abblitzen lassen, sprachen sie nicht mehr miteinander. Ben mied sie, und ich wusste nicht warum. Ebenso wenig blickte ich bei Esme durch. Sie redete nicht darüber, und ich fragte nicht. Ich hatte Angst, das Thema anzusprechen und irgendetwas nicht wieder Gutzumachendes auszulösen, etwas wie einen Erdrutsch. Die Erde bekam man ja nachher auch nicht mehr wieder an die Berghänge gepappt.

      „Was hast du gesagt?“, versuchte ich, wieder in die Gegenwart zurückzufinden, als Ben still geworden war. Ich hatte wieder mal nicht zugehört.

      „Wenn du wirklich glaubst, dass du gekündigt wirst, solltest du dich rechtzeitig nach einer anderen Stelle umsehen. Du könntest auch als meine Assistentin arbeiten.“

      „Ich interessiere mich nicht für Zahlen, Ben, und das weißt du. Ich interessiere mich für Sprache.“

      „Warum bloggst du nicht?“

      Ich dachte für einen kurzen Moment darüber nach. „Die Idee ist gut, aber wenn ich schon den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen habe, und dann am Abend das gleiche tue, habe ich das Gefühl, meine Arbeit würde nie aufhören. Meine Arbeitstage haben schon zwölf Stunden. Ich würde sehr gerne etwas ganz anderes machen.“

      „Was denn?“

      Ratlos zuckte ich die Schultern. „Keine Ahnung.“

      „Guter Plan“, grinste Ben breit. „Und wenn du meine Unterstützung brauchst, sagst du mir Bescheid, okay?“

      Wenn ich jetzt erwartet hätte, er würde sein Scheckheft zücken und mir die restlichen Schulden zahlen, hatte ich mich dieses Mal getäuscht. Ben hatte meine Worte zu meiner Überraschung tatsächlich für bare Münze genommen.

      Er nippte an seinem alkoholfreien Bier und lächelte verträumt vor sich hin. Ich war mir sicher, dass er sich wieder einmal verliebt hatte. Und vielleicht würde auch ich mich irgendwann verlieben. Vielleicht sogar bald.

      Am Abendbrottisch saß ich mit meinen Eltern zusammen, und wir schwiegen uns an. Ben hatte sich bereits verabschiedet, da er einen dringenden Anruf erwartete und zurück in seine Wohnung zu seinen Computern mit den vielen Börsennachrichten musste. Mein Vater war kein sonderlich großer Redner, er war ein guter Mensch, ganz bestimmt, er war aber auch ein Mann, der davon ausging, dass sein Wort Gesetz war.

      „Salz!“, befahl er.

      Ich sprang auf und eilte in die Küche, um ihm das Salz zu holen. Es war ein Automatismus, den ich mir im Haus meiner Eltern nicht erst wieder angewöhnen musste, obwohl ich die Jahre während meines Studiums allein gelebt hatte. Anders ausgedrückt: Ich hatte es mir nie abgewöhnt zu springen, wenn jemand, bildlich gesprochen, mit den Fingern schnippte. Die ersten Tage im Verlag waren ein Spießrutenlaufen der besonderen Art gewesen. Knurrte jemand „Scheiß Papier!“, weil der Drucker wieder einmal streikte und das Papier nicht einzog, war ich diejenige, die angelaufen kam, um zu retten, was noch zu retten war. Wenn die Seifenspender in den Toiletten leer waren, die zu füllen eigentlich Anas Aufgabe war, fühlte ich mich bemüßigt, sofort loszuhetzen und die Dinge in Ordnung zu bringen. Eine Konditionierung ließ sich nicht so schnell abstreifen. Von Weber war daraufhin ein „Man muss im Leben Prioritäten setzen“ zu hören. Was Winter dazu gesagt hätte, wenn er damals schon im Verlag tätig gewesen wäre, konnte ich mir sehr gut vorstellen. Wahrscheinlich ein „Vielleicht haben Sie Ihren Aufgabenbereich nicht genügend verstanden. Toilettenpapier und Seife gehören jedenfalls nicht dazu.“ Ich kannte meinen Aufgabenbereich, und trotzdem begleitete mich eine tiefe Unsicherheit. Ich wollte einfach alles richtig machen.

      Mit lauem Interesse sah ich neben dem Teller meiner Mutter einen Brief. Ich sprach sie nicht darauf an. Die Post meiner Eltern war mir nicht wichtig, abgesehen davon war ich müde. Ich stand auf und wollte den Tisch abräumen, als sie plötzlich mit dem Kuvert vor meiner Nase herumwedelte.

      „Ich habe ihn schon aufgemacht“, erklärte sie. „Den Brieföffner brauchst du nicht mehr, Bille.“

      „Da hätte auch ein Messer gereicht“, fuhr mein Vater dazwischen.

      Ich starrte den Brief überrascht an. Für mich? Wer sollte mir schreiben? Für einen Moment glomm ein Hoffnungsfünkchen auf, dass der Brief vielleicht aus Amerika sei. Es war nur ein sehr kurzer Moment, dann verlosch es auch schon wieder. Nach drei Jahren würde Carlo mir nicht mehr schreiben. Ich hatte zwei Jahre auf ein Lebenszeichen von ihm gewartet. Zwei Jahre, in denen alle meine Mails und Briefe unbeantwortet geblieben waren, und auch die SMS nicht ankamen, weil es die Handynummer nicht mehr gab. Jeden Tag hatte ich gehofft. Mit jedem Tag mehr, wie mir schien. Und nun, nach mehr als einem Jahr, in dem ich mir jede Hoffnung und jeden Gedanken an Carlo verweigert hatte – vielmehr versucht hatte, sie mir zu verweigern –, dachte ich zuallererst an ihn, wenn ich einen Brief sah? Das sagte ja viel über mich aus. Der Brief konnte auch eine Ankündigung der Krankenkasse sein, die ihre Beiträge erhöhen wollte.

      Mir war überhaupt nicht in den Sinn gekommen, meine Mutter darauf aufmerksam zu machen, dass sie dieses Schreiben, wenn es sich um einen Brief an mich handelte, gar nicht hätte öffnen dürfen. Ich war wieder zu einem Kind geworden. Irgendwie wusste ich es, aber wehren konnte ich mich dagegen nicht.

      „Von Dr. Ebertsmann-Meier“, erklärte sie freudestrahlend.

      „Unserem Rechtsanwalt?“ Meine Beine gaben nach, und ich sank auf den Stuhl. War das die Kündigung? Aber dann würde sie nicht so strahlen. „Wenn ihr ihn gelesen habt, warum sagt ihr mir nicht einfach, was da drin steht?“

      „Er ist doch für dich“, entrüstete sie sich.

      „Und warum habt ihr ihn dann geöffnet?“

      „Wir wollten wissen, was da drinsteht“,

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