Die 50 bekanntesten archäologischen Stätten an der Türkischen Riviera. Jörg Wagner
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Oinoanda – Die epikureische Philosophie des Diogenes von Oinoanda
Lykien
Oinoanda gehörte im 2. Jh. v. Chr. mit Boubon und Balboura zu einer Tetrapolis unter der Führung von Kibyra, doch währte die gemeinsame Geschichte nur bis zum Jahre 84 v. Chr., in dem dieser Städtebund im 1. Mithradatischen Krieg von Murena aufgelöst wurde: Kibyra kam zur Provinz Asia, Boubon, Balboura und Oinoanda wurden Mitglieder des Lykischen Bundes und gingen 43 n. Chr. in der Provinz Lycia auf. In der Kaiserzeit wurden in Oinoanda, das offensichtlich sehr gut von Ackerbau, Holz- und Viehwirtschaft lebte, zahlreiche öffentliche Bauten errichtet, denen die Byzantiner drei Kirchen hinzufügten, bis die Stadt im 9. Jh. aufgegeben wurde. Erdbeben hinterließen ihre Spuren und die Natur holte sich das Stadtgebiet zurück, was heute dessen Reiz ausmacht, den Archäologen aber große Probleme bereitet.
Im antiken Stadtgebiet
Der steile Aufstieg nach Oinoanda führt durch einen Kiefernwald, vorbei an einem Aquädukt und Sarkophagen mit liegenden Löwen auf den Deckeln, zum von Türmen flankierten Südtor der hellenistischen Mauer, die aus polygonalen Blöcken besteht. Etwa 300 m später folgt eine Mauer des 3. Jhs. n. Chr., eine Neubefestigung nach einer Siedlungsverengung, mit der die Bürger auf die sich abzeichnende Gotengefahr reagierten. Diese Rückzugsmauer, in die ältere Bauten integriert wurden, umgibt das Stadtzentrum mit der Agora und zwei Thermen, im Norden ausgeschlossen bleiben das Theater und eine von zwei Säulenhallen gesäumte, als „Esplanade“ bezeichnete weitläufige Platzanlage. Dort wurde auf der Rückwand einer Stoa im 1. Drittel des 2. Jhs. n. Chr. die berühmte Inschrift mit Abhandlungen des epikureischen Philosophen Diogenes von Oinoanda angebracht, mit der sich die Wissenschaft seit den ersten Inschriftfunden des Jahres 1884 beschäftigt. Dieses „Lesebuch“ der Philosophie wurde wohl schon beim Erdbeben des Jahres 141 n. Chr. zerstört, zahlreiche Inschriftblöcke fanden beim Wiederaufbau der Agora eine neue Verwendung, andere wurden in der späteren Rückzugsmauer verbaut.
Die Philosophie des Diogenes
Glaubte man in den 60er Jahren noch, mit 50 beschrifteten Blöcken ein Drittel der gesamten Inschrift zu kennen, so hat sich das Bild inzwischen erheblich gewandelt. Martin Ferguson Smith konnte ab 1968 den Bestand an Inschriftblöcken um 38 Neufunde erweitern, seit 1974 hat ein britisches Surveyteam unter Alan Hall weitere 72 Fragmente gefunden und festgestellt, dass diese Inschrift erheblich umfangreicher ist, als in den kühnsten Träumen angenommen werden konnte. Bis heute ist die Zahl der Inschriftfunde durch ein im Jahre 2007 begonnenes Forschungsprojekt des Deutschen Archäologischen Institutes (DAI), das sich zugleich eine Dokumentation der ganzen Stadtanlage zum Ziel gesetzt hat, auf 299 angewachsen (Abb. 12), im Depotgebäude lagert die beeindruckende Zahl von 177 Fragmenten. Aber noch immer nimmt man an, erst ein Drittel der Inschrift zu kennen. Rekonstruktionsversuche haben ergeben, dass der in 3 cm hohen Buchstaben gesetzte Text etwa 3,60 m hoch und 60 – 80 m lang war. Wer konnte so kleine Buchstaben in einer Höhe von über 3 m lesen? War die Säulenhalle vielleicht zweistöckig – das ist nur eine von vielen offenen Fragen.
In den erhaltenen Texten erweist sich Diogenes von Oinoanda als begeisterter Anhänger der Lehre Epikurs, der im hohen Alter diese Philosophie möglichst vielen Menschen bekannt machen will. So stellt diese Inschrift, deren Kosten Diogenes selbst getragen hat, einen großartigen Versuch dar, in Zeiten, in denen Bücher nur für eine kleine Oberschicht erschwinglich waren, die Philosophie für alle zugänglich zu machen, wobei er auch an fremde Besucher, die zukünftigen Generationen und seinen Nachruhm denkt. Das wird in den einleitenden Worten deutlich, in denen er seine Hinwendung zur epikureischen Philosophie und seine Gründe für die Anbringung der Inschrift erläutert: „Außerdem ist es richtig und gerecht, an die Menschen zu denken, die nach uns kommen (denn obwohl noch nicht geboren, gehören doch auch sie zu uns) und zuletzt fordert die Menschlichkeit, auch den Fremden zu helfen, die unsere Stadt besuchen. Und weil diese Hilfe, die die Inschrift geben soll, eine recht große Zahl von Menschen betrifft, habe ich mich entschieden, die Heilmittel (der Lehre Epikurs) allen zugänglich zu machen.“
Abb. 12 Oinoanda, Inschriftblock mit einem Passus aus dem philosophischen Werk des Diogenes von Oinoanda.
In jeder Sequenz dieser grandiosen Inschrift spürt man den Stolz des Diogenes auf sein Werk, das als Geschenk für die Menschheit gedacht war und zugleich die Erinnerung an seine eigene Person verewigen sollte. Selbst wenn seine Inschrift vermutlich schon nach einem Vierteljahrhundert zerstört wurde, war er in dieser Hinsicht sehr erfolgreich. Ohne diese Inschrift würden wir nichts, absolut nichts über seine Person wissen.
Den am Projekt des DAI beteiligten Epigraphikern Jürgen Hammerstaedt (Köln) und Martin Ferguson Smith (Durham) verdanken wir eine Rekonstruktion dieser einzigartigen philosophischen Inschrift. Danach boten die oberen drei Steinreihen eine Abhandlung über das Alter, in der Diogenes nachweist, dass ein glückliches Leben und das Alter sich nicht ausschließen. In der vierten Reihe sind Briefe des Diogenes an seine Freunde zusammengestellt, in denen er seine Philosophie erläutert und Kernsätze des epikureischen Denkens verewigt. Die fünfte Reihe handelt von der Physik, also der Vorstellung Epikurs von der Weltentstehung und der unendlichen Zahl der Welten. In der sechsten und letzten Reihe hat er seine Gedanken zur Ethik zusammengestellt; darauf folgt eine Sammlung von Sentenzen, aus denen die Betrachtungsweise des Diogenes deutlich wird, wie „Militärdienst ist hart, auch wenn man andere dabei befehligt“ oder „Der Schlüssel zum Glück ist die körperliche Verfassung, die in unserer eigenen Macht liegt.“
Von der Fortführung der Forschungen in Oinoanda dürfen wir jederzeit Überraschungen erwarten. So ist bereits im Jahre 2008 ein elfzeiliger Neufund auf ganz großes Interesse gestoßen, in dem Diogenes die Weltschöpfungslehre Platons kritisiert, die seinerzeit als philosophisches Dogma galt. Diogenes lobt zwar Platons Ansicht, dass die Welt aus dem Nichts geschaffen wurde, kritisiert ihn aber, weil er daraus nicht die Konsequenz gezogen hat, dass sie auch wieder untergehen würde. Zugleich lehnt er das von Platon postulierte Einwirken eines gottähnlichen Wesens auf die Schöpfung ab, die nach der Lehre Epikurs ein Werk der Natur sei. So gesehen ist es erstaunlich, dass die Bürger von Oinoanda im Herzen ihrer Stadt das Manifest einer Philosophie anbringen ließen, die eine Einflussnahme der Götter auf das Schicksal der Menschheit konsequent leugnete.
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Literatur
P. Scholz, Ein römischer Epikureer in der Provinz. Diogenes von Oinoanda und sein Adressatenkreis, in: K. Piepenbrink (Hrsg.), Philosophie und antike Lebenswelt (2003) 208 – 227; M. F. Smith, The philosophical inscription of Diogenes of Oinoanda, Tituli Asiae Minoris Erg.-Bd. 20 (1996).
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