Aufgeklärtes Heidentum. Andreas Mang

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Aufgeklärtes Heidentum - Andreas Mang

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Griechen und Römern aussah. Selbiges vermute ich auch für Kelten und Slawen, um weitere europäische Ausprägungen des Heidentums zu nennen.

      Ein weiterer interessanter Punkt bei Religion ist, daß viele meinen, man könne nur eine haben. Einer Religion zu folgen, bedeute, daß man alle anderen für falsch halten müsse.

      Daß dies nicht korrekt sein kann, zeigt allein die Tatsache, daß ein Großteil der Japaner zwei Religionen folgt, die so gut wie nichts miteinander zu tun haben, nämlich Buddhismus und Shintoismus. Buddhismus lehrt u. a. die Überwindung des eigenen Egos, des eigenen Individuums, um der andauernden Wiedergeburt zu entgehen und ins Nirwana einzugehen. Shintoismus dagegen ist eine animistische Naturreligion; die Seele eines Toten fährt nach dieser Anschauung in einen Schrein oder einen Teil der Natur. Im Shintoismus werden kami (

) verehrt, was gewöhnlich mit „Götter“ übersetzt wird. Diese Übersetzung geht allerdings nicht weit genug, unter kami versteht man auch Naturgeister oder Seelen von Verstorbenen. Für eine Einführung in den Shintoismus siehe z. B. [Lok01].

      Auch im antiken Heidentum war es üblich, mehrere Religionen parallel zu haben [Kla95], auch wenn man heute eher von „Kulten“ statt von Religionen sprechen würde. Angesichts der oben genannten Definition von Religion seitens Ciceros sehe ich zwischen einer Religion und einem Kult allerdings keinen wesentlichen Unterschied. Wer die Anforderungen zweier religiöser Kulte beachtet, folgt bei großen Unterschieden zwischen den Kulten halt zwei verschiedenen Religionen.

      So hatte ein Römer mindestens die Staats- und die Hausreligion. Bei ersterer wurde das römische Pantheon verehrt, bei letzterer z. B. die Hausgeister, die Laren und Penaten. Nun passen diese beiden Vorstellungen noch gut zusammen und widersprechen sich auch in keiner Weise, so wie es Buddhismus und Shintoismus anscheinend in weiten Teilen tun. In der Antike nahm man allerdings noch häufig an religiösen Vereinen1 teil, zu denen auch die Mysterienkulte gehörten und die sich nach dem Zusammenbruch des griechischen Städtesystems bildeten [Kla95]. Die Gotteswelt des Isis-Kultes z. B. paßt überhaupt nicht mit dem römischen Pantheon zusammen, eine gedankliche Kombination ist hier kaum möglich. Aus politischen und ethischen Gründen, wobei die ethischen Gründe auch religiösen Ursprung haben konnten, schritt der römische Senat öfter gegen diesen ägyptischen Kult und andere ein, verbot sie sogar für kurze Zeiträume. Ihre Praktizierung und Ausbreitung verhindern konnte er nicht [Klo06].

      Auch wenn wir jetzt ein wenig dem Kapitel Was ist ein Gott? vorgreifen, die scheinbaren Widersprüche beim Folgen von Religionen mit inkompatiblen Pantheons lösen sich auf, weil im Heidentum in der Regel ganz andere Gottesvorstellungen als in den Monotheismen vorherrschen. Betrachtet man einen Gott als menschliche Beschreibung für etwas schwer Beschreibbares, das dahinter steht, stellt ein anderes Pantheon einfach eine andere Sichtweise auf das dahinterstehende dar. Die Römer nannten es interpretatio Romana = „römische Deutung“, wenn sie Götter aus anderen Kulturen mit ihren identifizierten.

      Die Eigenschaften und „Aufgabengebiete“ von Göttern verschiedener Pantheons sowie deren Beziehungen untereinander verhindern vielleicht, daß man sie in einem Ritual oder Gebet gleichzeitig ansprechen kann – bei verschiedenen Ritualen sich jedoch auf andere Pantheons zu beziehen, stellt für einen Heiden kein Problem dar, auch wenn er gewöhnlich zu einem Pantheon allein steht.

      Jede andere Religion außer der eigenen, die die absolute Wahrheit darstellen soll, für grundfalsch zu halten, ist eine Eigenschaft der abrahamitischen Monotheismen. Der Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann nennt dies Teil der „Mosaischen Unterscheidung“ und identifiziert ihr Auftreten mit dem Umbruch des Judentums vom Poly- oder Henotheismus zum Monotheismus, siehe [Ass03] oder [Ass07]. Ein allgemein bekanntes Indiz für diese These liefert das erste Gebot im Alten Testament. Dort ist nicht die Rede davon, daß es sich bei „Gott“ um einen verehrungswürdigen Gott handelte oder daß das Anbeten dieses Gottes eine positive Sache sei, dort wird einfach gesagt: „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.“ (2. Mose 20,3). Andere Götter zu haben, sei falsch, beim eigenen Gott liege die Wahrheit, bei allen anderen die Unwahrheit, und das hat direkten Einfluß auf den Wahrheitsgehalt der mit dem Gott oder den Göttern verbundenen Religionen. Heutzutage sehen das zum Glück für andere viele Anhänger der abrahamitischen Religionen weitaus toleranter als in früheren Zeiten. Der Vatikan zum Beispiel bezeichnet die römisch-katholische Kirche (RKK) seit dem 2. Vatikanischen Konzil nicht mehr als alleinige und einzige Quelle der selbst antizipierten Wahrheit, sondern gesteht auch anderen Religionen Teile dieser Wahrheit zu, wenn auch nicht in dem Umfang, wie ihn die RKK besitze [Vat65]. Alle anderen Religionen außer der eigenen für falsch zu halten, schwingt zwar als Grundgedanke immer noch mit, als offensives Argument taucht dieser Gedanke aber meistens nur noch im Fundamentalismus auf.

      Man kann die Gebote allerdings auch als eine Sammlung von Werten und Tugenden sehen, an die man sich hält, wenn man den darin involvierten Gott verehrt. Sie sind dann keine Befehle Gottes, sondern die Verhaltensweisen der Gläubigen, die zur Gottesvorstellung passen. Wer einen monotheistischen Gott verehrt oder an ihn glaubt, hat selbstverständlich keine weiteren Götter, das ergäbe keinen Sinn. Die äußere Form der Gebote lautet dann nicht „du sollst folgendes“, sondern „wenn du an diesen Gott glaubst, dann tust oder unterläßt du folgendes“. Es geht also mehr um Ethik als um Justiz; dazu passen auch die fehlenden Strafmaße im Dekalog [Sch95].

      Selbstverständlich halten auch die Anhänger anderer Religionen als der abrahamitischen ihre eigenen religiösen Ansichten für wahr, sie lehnen die anderer Religionen aber nicht unbedingt kategorisch ab. Ein gutes Beispiel dafür sind die oben schon erwähnten Japaner, die zwei nach westlichen Maßstäben widersprüchliche Religionen haben.

      Viele religiöse Ansichten, insbesondere ethische und solche, die sich auf die Lebensführung beziehen, basieren auf der persönlichen Lebenseinstellung. Die Lebenseinstellung entwickelt sich aufgrund des gesellschaftlichen Umfeldes, der elterlichen Erziehung, persönlichen Erfahrungen und ebenso persönlichen Entscheidungen. Ich denke, es ist offensichtlich, daß eine solche Lebenseinstellung wegen der vielen involvierten Umweltfaktoren sich nicht allgemein naturwissenschaftlich herleiten läßt und ihr somit eine objektive Gültigkeit für alle Menschen abgeht. Eine solche Objektivität muß man aber annehmen beziehungsweise fordern, wenn man eine bestimmte Religion als die allein richtige für alle Menschen hält und propagiert.

      Als Beispiel für eine religiöse Ansicht, die stark mit der Lebenseinstellung korreliert, möchte ich den Umgang mit dem Schicksal nennen. Stoiker z. B. glauben an eine beinahe ultimative Schicksalsabhängigkeit, der man laut Seneca eigentlich nur durch den Freitod entgehen kann [Kla96]. Auch bei vielen Christen, Juden und Moslems kann man einen fortgeschrittenen Fatalismus erkennen, weil sie das Schicksal als Ergebnis der Handlungen und Wünsche eines allmächtigen und allwissenden Gottes halten, an dem man als Mensch keinen Anteil hat. Den Freitod als Alternative akzeptieren diese natürlich nicht.

      Eine gegensätzliche Position besteht darin, ein sich negativ anbahnendes Schicksal zu bekämpfen. Dies ist im germanischen Heidentum oft anzutreffen, weil hier die Götter genauso wie die Menschen im Schicksalsnetz gefangen sind und ebenfalls gegen ein sich schlecht entwickelndes Schicksal ankämpfen, selbst wenn der Kampf aussichtslos sein sollte. Ein gutes Beispiel dafür ist der Ragnarök-Mythos [Jor01]. Obwohl Odin weiß, daß er weder den drohenden Weltuntergang noch seinen Tod abwenden kann, rüstet er gegen dieses Schicksal und versucht, es zu verhindern. Dies kann man als Lehre nehmen, ein sich anbahnendes negatives Schicksal nicht hinzunehmen, sondern dagegen vorzugehen. Nur wenn man es bekämpft, hat man eine Chance, es abzuwenden. Auch im griechischen Heidentum, in dem die Götter im Gegensatz zum germanischen oft Schicksal für die Menschen spielen, sind sie nicht immer vor dem Schicksal selbst gefeit. Der Tod des Sarpedon, eines Sohnes des Zeus, im 16. Gesang der Ilias [Hom09] wird gerne so gedeutet.

      Ein weiterer Fehler, den viele Religiöse, insbesondere Monotheisten, machen, und der ebenso mit einer vorgeblichen

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