Aufgeklärtes Heidentum. Andreas Mang
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Abbildung 4: Aufbau einer primären Religion
Im Heidentum sieht das deutlich anders aus. Es mag zwar noch mehr geben, aber ich persönlich kenne nur eine einzige heidnische Religionsgemeinschaft, die ein offizielles Glaubensbekenntnis besitzt, nämlich die dänische Forn Siðr = „die alte Sitte“. Sie selbst bezeichnen das sogenannte trosbekendelse als „poetische Definition des Glaubens und der Weltanschauung“ [For12], und soweit ich informiert bin, ist es nur deshalb entstanden, weil es in Dänemark für die staatliche Anerkennung einer Religionsgemeinschaft notwendig ist. Da spielen vermutlich die Ansichten der evangelisch-lutherischen Staatskirche mit.
Es gibt also definitiv Religionen, bei denen kein Glaubensbekenntnis, also auch kein vor- oder niedergeschriebener Glauben, existiert, und der Glaube als solcher nicht die Wichtigkeit besitzt, wie das von den meisten Menschen in der westlichen Welt für alle Religionen angenommen wird. Leider ist es unglaublich schwer, diesen Menschen zu erklären, wie man Götter verehren kann, ohne an sie im herkömmlichen, also hierzulande christlichen Sinne zu glauben. Für sie ist Glaube Voraussetzung für Verehrung, letztere ginge angeblich nicht ohne ersteren.
Ein fest vorgegebenes Bekenntnis über den eigenen Glauben hängt meines Erachtens auch mit der möglichen Anzahl gleichzeitig ausgeübter Religionen zusammen, etwas, das im vorhergehenden Kapitel schon angesprochen wurde. Ein fest umrissener und genau definierter Glaube, dem zudem noch ein absoluter Wahrheitsgehalt zugesprochen wird, führt beinahe automatisch dazu, daß man neben seiner eigenen über diesen Glauben definierten Religion keine andere mehr akzeptieren kann.
Fehlt eine solche Verbindung von absoluter Wahrheit und dogmatischen Glaubensaussagen, ist es kein Problem, mehreren und sogar vorgeblich widersprüchlichen Religionen wie Buddhismus und Shintoismus anzugehören und sie zu befolgen.
Damit eng zusammen hängt die heutzutage oft geäußerte Ansicht, die Römer hätten die Christen aufgrund ihres „falschen“ Glaubens verfolgt. Wenn man den Glauben an eine Gottesvorstellung für den Kernpunkt der Wahrheit hält, meint man schnell, daß seine Gegner gerade deswegen gegen einen eingestellt sind. Wie man aber an der bisher aufgezeigten antiken Religionsdefinition, dem Nichtvorhandensein von Glaubensbekenntnissen im Heidentum und dem Praktizieren vieler nichtrömischer Religionen im alten Rom sehen kann, kann der Glaube kaum der Grund für die Verfolgung gewesen sein.
Das heidnische römische Reich pflegte angesichts der vielen praktizierten Religionen also im Gegensatz zu dem späteren christlichen, in dem tatsächlich jede andere Religion mit Ausnahme des Christentums – und mit Einschränkungen noch des Judentums – aufgrund angeblich falschen oder fehlenden Glaubens verboten wurde, eine gewisse Religionsfreiheit, die allerdings nicht so freizügig wie unsere heutige war. Verbots- oder Verfolgungsgründe waren entweder politisch motiviert oder entstammten dem Mißtrauen gegenüber im Geheimen vollzogenen Kulten. Der Dionysos- und der Isis-Kult sind mehrfach vom Senat verboten worden [Klo06], ersterer wurde sogar im Jahre 186 v. Chr. nach dem sogenannten „Bacchanten-Skandal“ äußerst brutal mit schätzungsweise 7.000 Todesopfern verfolgt.
Ein politischer Grund für die Verfolgung einer Religion war die Ablehnung des Staatskultes und später des Kaiserkultes, da die Ausübung dieser beiden Kulte als staatstreue Handlung galt, die die politische Verbundenheit mit dem römischen Reich ausdrückte. Christen lehnten beides aus Glaubensgründen ab, was sie in Rom politisch verdächtig machte. Inwieweit noch Gerüchte über seltsame, womöglich im Geheimen ausgeführte Riten da mitspielten, ist schwer zu sagen, ich halte es aber für möglich und wahrscheinlich, daß so mancher Römer Berichte über die christliche Eucharistiefeier, bei der das Fleisch eines Meisters gegessen und sein Blut getrunken wird, falsch und daher als ethisch anstößig aufgenommen hat, was zu vielen Verdächtigungen geführt haben mag.
Aufgrund der fehlenden Empirie bei Gottesvorstellungen ist es meines Erachtens ohnehin sinnlos, von einer allgemeinen oder gar absoluten Wahrheit in der Religion zu sprechen, wie es die abrahamitischen Monotheismen üblicherweise tun.
Eine sehr passende Aussage zu Glauben und Wahrheit im Bereich der Religion, der ich vorbehaltlos zustimme, stammt von Siddhartha Gautama, dem Begründer des Buddhismus [Gau93]: „Glauben Sie an nichts, nur weil Sie es gehört haben. Glauben Sie nicht einfach an Traditionen, weil sie von Generationen akzeptiert wurden. Glauben Sie an nichts nur auf Grund der Verbreitung durch Gerüchte. Glauben Sie nie etwas, nur weil es in Heiligen Schriften steht. Glauben Sie an nichts nur wegen der Autorität der Lehrer oder älterer Menschen. Aber wenn Sie selber erkennen, daß etwas heilsam ist und daß es dem Einzelnen und Allen zugute kommt und förderlich ist, dann mögen Sie es annehmen und stets danach leben.“
Was ist ein Mythos?
„Mythen sind Geschichten von Göttern“, schrieb der Philologe Jan de Vries [Vri61]. Das ist zwar korrekt, trifft aber keineswegs den vollen Umfang der Mythologie, wie auch der Germanist und Skandinavist Rudolf Simek in seinem Lexikon der germanischen Mythologie anmerkt [Sim06b]. In Mythen tauchen auch oft „nur“ Halbgötter, andere mythologische Wesen wie solche der sogenannten „niederen Mythologie“, Helden und gewöhnliche Menschen auf.
Heutzutage werden Mythen gewöhnlich mit Märchen gleichgesetzt, eine Einschätzung, die bezogen auf (hauptsächlich primäre) Religionen, die eine reiche Auswahl an Mythen besitzen und bei denen diese in der religiösen Praxis äußerst wichtig sind, grundfalsch ist und meiner Meinung nach aus den christlichen Glaubensansichten stammt.
Christen, die die gesamte Bibel wörtlich nehmen, sehen sie komplett als historischen Tatsachenbericht an. Viele Christen nehmen natürlich nicht alle Bibelstellen wörtlich sondern erkennen in vielen durchaus einen Mythos, besonders im Alten Testament wie z. B. der Schöpfungsgeschichte oder der weltumspannenden Sintflut. Beim Neuen Testament, speziell den Evangelien, sieht das dann wieder anders aus, die Lebensgeschichte Jesu und vor allem seine Auferstehung werden meistens als Historie angesehen. Von dieser Gegenüberstellung einer Historizität der religiösen Texte gegenüber von Menschen erdichteten Mythen rührt die Ansicht her, Mythen seien wie Märchen und damit keine Grundlage für ein religiöses System oder für die Lebensführung förderliche Lehren.
Das Alte Testament enthält allerdings tatsächlich recht wenig reale Historie. Der Ägyptologe Jan Assmann hält den Exodus, also den Auszug der Israeliten aus Ägypten für komplett unhistorisch und betrachtet ihn als kulturhistorischen Mythos, der die Wandlung des Judentums vom Polytheismus zum Monotheismus beschreibt [Ass03]. Gleiches gilt für die Landnahme Kanaans, laut Assmann beschreibt auch diese die genannte Wandlung, während die Israeliten bereits in Kanaan lebten. Dies wird von aktuellen Forschungen israelischer und US-amerikanischer Archäologen unterstützt, die keinerlei archäologische Befunde für Exodus und Landnahme sowie andere alttestamentarische Ereignisse finden konnten [Fin04]. Darüber hinaus zeigt allein die vierzigjährige Wanderung des Volkes Israel für eine Strecke, die professionelle Karawanen in wenigen Wochen, ein ganzes Volk vielleicht in einigen Monaten schafft, daß es sich hier um einen Mythos handelt, ist doch die Zahl 40 in der Bibel ein Kode für längere Zeiträume, deren tatsächliche Länge man nicht kennt oder deren Geschichte selbst komplett mythologisch ist. Man vergleiche damit die Versuchung Jesu durch den Satan in der Wüste, die genau 40 Tage andauerte (Mt 4,1 - 11).
Auch die Evangelien sind meines Erachtens reine Mythen, die Apostelgeschichte eine Gründungslegende mit vielen mythologischen Elementen. Es ist nicht auszuschließen, daß Jesus ein historisches Vorbild gehabt haben mag; was jedoch in den Evangelien über sein Leben erzählt wird, hat allenfalls marginal mit diesem Vorbild zu tun. Ich halte es auch für möglich, daß es die Person Jesus