Aufgeklärtes Heidentum. Andreas Mang

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Aufgeklärtes Heidentum - Andreas Mang

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kann. Bevor die Götter die Welt der Menschen schaffen, töten sie Ymir, um aus seinen Überresten Material dafür zu gewinnen. Physikalisch kann durch Kernfusion innerhalb der Sterne maximal Eisen als schwerstes Element entstehen. Kupfer, Silber, Gold und das für menschliche Schilddrüse notwendige Jod gibt es nur, weil frühe Sterngenerationen als Supernovae explodiert sind, wobei die Elemente, die schwerer als Eisen sind, produziert wurden, die nun auch Grundbestandteile der Erde und des Lebens darauf bilden. Das heißt, wie der Tod des Ymir der menschlichen Welt vorausgehen mußte, war im physikalischen Universum der Tod von Sternen notwendig, bevor ein für Menschen geeigneter Planet entstehen konnte.

      Das soll jetzt weder be- noch andeuten, daß unsere Ahnen, die diesen Mythos verfaßt haben, diese Zusammenhänge erkannt oder heutige astronomische Erkenntnisse dahingehend vorausgesehen haben. Sie scheinen aber eine wesentlich besser zu den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen passende Kosmos-Vorstellung gehabt zu haben als so manche religiöse Konkurrenz. Darüber hinaus finde ich es äußerst interessant, welche Möglichkeiten man hat, den Mythos aus moderner Sicht zu interpretieren, auch wenn das nicht unbedingt notwendig ist.

      Der zweite Vorteil ist, daß ein ewiger Gott, der ein endliches Universum schafft, zu ernsthaften gedanklichen, wenn nicht gar logischen Problemen führt. Zur Erläuterung muß man zunächst definieren, was „ewig“ bedeuten soll. Da gibt es zwei Optionen, erstens einen „unendlich langen Zeitraum“ und zweitens „zeitlos“.

      Die meisten aktuellen Kosmologien gehen davon aus, daß die Raumzeit zusammen mit dem Universum entstand [Haw88]. Einen Zeitraum vor dem Urknall kann es somit nicht gegeben haben, wodurch die erste Definition von „ewig“ als „unendlich langer Zeitraum“ physikalisch unsinnig wäre. Allerdings gibt es auch Hypothesen, die auf andere Verhältnisse hindeuten, so daß ein reiner physikalischer Einwand bezüglich der Definitionen nicht unbedingt sinnvoll ist.

      Ein Gott, der unendlich lange existiert hat und dann zu einem bestimmten Zeitpunkt in dieser Ewigkeit das Universum schafft, läßt die Frage aufkommen, wieso er unendlich lange gewartet hat, bevor er den Kosmos schuf und was den tatsächlichen Zeitpunkt der Schöpfung nun so besonders macht, daß er gerade dann schuf und nicht irgendwann unendlich zuvor.

      Dieses Problem war schon vor dem Christentum bekannt; die Epikureer argumentierten schon im ersten vorchristlichen Jahrhundert gegen das platonische Gottesbild, das auch von einem ewigen Schöpfer ausgeht [Cic95]: „An euch […] richte ich die Frage, warum die Baumeister der Welt plötzlich hervorgetreten sind, aber zahllose Jahrhunderte lang geschlafen haben. Denn wenn auch noch keine Welt existierte, so gab es doch die Zeit […]; weswegen also […] war eure Pronoia3 während dieser unermeßlichen Zeitspanne untätig? Scheute sie die Mühe? Aber ein Gott empfindet keine, und es gab auch gar keine, da alle Kräfte der Natur, Himmel, Feuer, Erde und Wasser der göttlichen Macht gehorchten.“

      In einer unendlich langen Zeitspanne einen zeitlich endlichen Kosmos, dessen Dauer gegenüber der Ewigkeit immer so gut wie Null ist, anzunehmen, der von einem oder mehreren Wesen aus dieser Ewigkeit heraus bewußt erschaffen wurde, ergibt wenig bis keinen Sinn.

      Setzt man Ewigkeit mit Zeitlosigkeit gleich, entgeht man zwar dem oben angesprochenen physikalischen Problem, erhält aber einige neue. Ein zeitloser Zustand kann sich nicht ändern; zu einer Veränderung braucht man immer Zeit, so daß an einem Zeitpunkt t 1 ein Zustand, an einem anderen Zeitpunkt t 2 ein anderer Zustand herrscht. Ein zeitloses Wesen, ob Gott oder nicht, könnte weder denken noch planen und somit keinesfalls einen Kosmos erschaffen, denn jede Handlung produziert eine Veränderung und erfordert damit Zeit. Das einzige (Hilfs-)Verb, das keine Zeit benötigt, ist „sein“. Ein zeitloser Gott könnte sein, aber nicht handeln.

      Zudem, wenn es ein ewiges Leben nach dem Tod geben sollte, wäre dieses dann auch zeitlos, d. h. ohne jede Veränderung. „Leben“ kann man das kaum nennen, wenn man sich nicht mehr ändern, nicht mehr handeln, nichts mehr wahrnehmen kann. Von einem endgültigen Tod ohne jedes Jenseits unterschiede sich dieser Zustand nicht.

      Bei diesen gedanklichen und logischen Schwierigkeiten nimmt es nicht Wunder, daß Theologen, die einen zeitlosen Gott als ewigen annehmen, ihm ab und zu zeitliches Eingreifen in die Welt zutrauen. Dies macht meiner Ansicht nach noch schlimmere Probleme als alles andere. Wie soll das physikalisch funktionieren, in einer Zeitlosigkeit von Zeit zu Zeit reale Zeitpunkte zum Handeln zu haben? Das ergibt keinerlei Sinn.

      Die Annahme, daß man Schöpfer für den Kosmos brauche, kommt aus einer philosophischen Sicht, die zum Beispiel Titus Lucretius Carus, genannt Lukrez, wie folgt formulierte [Car12]: De nihilo quoniam fieri nihil posse videmus. = „Denn wir sehen, daß nichts von nichts entstehen kann“, was oft zu Ex nihilo nihil fit = „Von nichts kommt nichts“ verkürzt wird.

      Man geht hier davon aus, daß alles Existierende und besonders etwas, das irgendwie entstanden ist, also nicht immer existiert hat, eine Ursache haben muß. Für den Kosmos, der einen Anfang besitzt, muß es demnach eine Ursache geben, die in einem zuvor oder ewig existierenden Schöpfergott gesehen wird. Gegen diese Sicht gibt es einen logischen und einen physikalisch-philosophischen Einwand, letzterer stammt allerdings erst aus dem frühen 20. Jahrhundert.

      Die Annahme einer ununterbrochenen Ursache-Wirkungs-Kette, die eine Ursache für den Kosmos erfordert, bedingt ebenso, daß es für die Existenz des Schöpfergottes eine Ursache geben muß, womit man in einen infiniten Regreß gelangt, der hier an einer beliebigen Stelle, nämlich dem Schöpfergott, abgebrochen wird, für die es keinerlei logische Begründung gibt. Genausogut könnte man einen „Meta-Gott“ fordern, der den Schöpfergott erschafft, und dort die Kette abbrechen. Oder man bricht die Ursache-Wirkungs-Kette bei der Entstehung des Kosmos selbst ab, so daß philosophisch gar kein Schöpfergott notwendig wäre.

      Nach der Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik, die die Nobelpreisträger Niels Bohr und Werner Heisenberg formuliert haben und die heutzutage von den allermeisten Physikern akzeptiert wird, geschehen in der mikroskopischen Welt permanent indeterministische Vorgänge, auf die eine beständige und für alles geltende Ursache-Wirkungs-Kette nicht anwendbar ist [Hei55]. Dies gilt dann natürlich auch für die Entstehung des Kosmos, die man als ursachenloses Quantenereignis auffassen kann, insbesondere bei einem expandierenden Universum, das zu Beginn Ausmaße hatte, die im subatomaren Bereich liegen. Bei dermaßen kleinen Abständen der Raumzeit ist wegen der Heisenbergschen Unschärferelation [Hei27] energetisch so ziemlich alles möglich, auch die Entstehung eines gigantischen Universums.

      Ein weiteres Problem mit Schöpfergottheiten, die den Kosmos um des Menschen willen hervorgebracht haben, sind die Ausmaße unseres Universums. Unsere Welt macht darin nur einen winzigen Ausschnitt aus, vermutlich gibt es unzählige weitere, auf denen Leben und wohl auch Intelligenz entstanden sein mag. Ein solch gigantisches Gebilde nur zum Zwecke des Menschengeschlechts zu erschaffen, erscheint wenig sinnvoll. In Zeiten eines Weltbildes, das sich aufgrund der limitierten Beobachtungsmöglichkeiten auf das Sonnensystem mit einer abschließenden Fixsternsphäre beschränkte, fiel dieser Umstand nicht auf. Vielleicht mag ein Schöpfergott mit dem Kosmos weit mehr intendiert haben, als uns zugänglich ist oder gar offenbart wurde; einsichtig erscheint mir das aber nicht.

      Eine Mischform zwischen einem Schöpfergott und immanentem Polytheismus zeigen zwei ägyptische Schöpfungsmythen, jene aus Memphis und die Enneade von Heliopolis [Sha91]. Hier entsteigt der eine Gott, der den gesamten Kosmos inklusive aller anderen Götter erschafft, zunächst dem Nun, dem Urmeer. Im Mythos von Memphis ist es Ptah, der Baumeister, in der Enneade Atum, der Selbsterschaffene. Das Nun kann man mit dem Ginnungagap und dem Chaos vergleichen. Das Tohuwabohu im Alten Testament geht in dieselbe Richtung.

      Die ungeordneten Zustände der literarischen Mythen vor dem Kosmos, ob nun Nun, Ginnungagap, Chaos oder Tohuwabohu genannt, lassen sich einigermaßen mit dem kosmologischen Zustand beim Urknall vergleichen, sei es nun ein Nichts oder nach neueren Hypothesen eine Art ewiger Quantenschaum, aus dem Universen

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