Meine Antwort auf Ihr Buch, Herr Sarrazin. Evelyn Kreißig
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Fast am Ende der DDR-Ära bin ich 1989 mit einer Schulklasse als Auszeichnung nach Leningrad, dem heutigen Petersburg, geflogen. Ich erinnere mich, wie viel Bürokratie ich als Klassenleiterin überwinden musste, um diese Reise genehmigt zu bekommen. Das war der einzige Kontakt mit Russen, die damals noch Sowjetbürger hießen, bei dem ich meine mehr oder weniger guten Russischkenntnisse, die ich mir nach zehnjährigem Unterricht angeeignet hatte, anwenden konnte. Bis heute ist leider nicht mehr viel davon übriggeblieben, abgesehen von ein paar „Brocken“, die ich manchmal in Gespräche mit Jugendlichen aus dem russischen Sprachraum einflechte und meine Gesprächspartner aufgrund meiner andersartigen Aussprache zum Schmunzeln bringe. Dann wird mir bewusst, wie schwer es ist, eine andere Sprache zu lernen und dabei die Regeln der Aussprache und Grammatik zu beachten. Die Schwierigkeit des richtigen Schreibens kommt dazu, wenn die Buchstaben nicht dem lateinischen Alphabet entsprechen oder umgekehrt und die Schreibrichtung die entgegengesetzte, wie im Arabischen, ist. Von Timucin, der aus der Inneren Mongolei kommt, erfuhr ich, dass dort die klassische mongolische Schrift heute noch primär von oben nach unten verläuft. Wie einfach erscheint doch unsere deutsche Sprache, wenn man an die chinesische denkt, in der 3000 bis 4000 Schriftzeichen für den allgemeinen Bedarf notwendig sind.
Eine Sprache lernt man am besten, wenn man sie so oft wie möglich anwendet. Zu dieser Erkenntnis komme ich immer wieder bei meiner Arbeit mit den Jugendlichen aus den verschiedensten Sprachräumen. Wer zum Beispiel von den älteren Bewohnern des Asylbewerberheims keine Chance hat, einen Sprachkurs zu besuchen, der spricht logischerweise mit seinen Landsleuten in seiner Muttersprache. Grundlage für ein Leben in einem anderen Staat als dem Herkunftsland ist aber nun mal das Beherrschen der Landessprache in Verbindung mit der Amtssprache, erst recht, wenn man die entsprechende Staatsbürgerschaft annehmen will. Bei den Lernern meiner Gruppe spielt häufig auch der sächsische Dialekt eine Rolle beim Kommunizieren mit Einheimischen, denn die Hochsprache wird im Alltag von den wenigsten Menschen gesprochen. So geht es natürlich ebenfalls den Migranten, die sich zum Beispiel mit dem bayrischen, hessischen oder plattdeutschen Dialekt anfreunden müssen.
Ich kann nachvollziehen, dass die vielen Migranten in Deutschland ihre eigene Staatsbürgerschaft behalten wollen oder höchstens eine Doppelstaatsbürgerschaft annehmen wollen. Das weiß ich auch aus meinen Gesprächen mit vielen von ihnen, die sich damit eine mögliche Rückkehr in ihr Land offen halten wollen. Für Ausländer, die jedoch die deutsche Staatsbürgerschaft anstreben, wurde 2008 von der Humboldt-Universität Berlin zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen für die Bundesregierung ein 310 Fragen umfassender Test erarbeitet, den die Einbürgerungswilligen bestehen müssen. Wer 17 von 33 zufällig ausgewählte Fragen richtig beantwortet, besteht den Einbürgerungstest und darf als deutscher Staatbürger alle Rechte in Anspruch nehmen.
Im Rahmen des Tages der offenen Tür am BSZ in Freiberg habe ich die Prüfung mit deutschen Schülern und Erwachsenen gemacht, von denen sie weniger als die Hälfte bestanden haben. Zum Beispiel bei der Frage, wo man seinen Hund anmelden muss, kamen viele ins Grübeln. Ich selbst wäre auch nie auf das Einwohnermeldeamt gekommen. Aber wer beschäftigt sich schon mit solch einem Problem, bevor er nicht wirklich die Absicht hat, sich des Deutschen liebstes Haustier anzuschaffen. Ich habe die Fragen, die Kenntnisse über die Geschichte, Sprache, Kultur und das Staatswesen des Landes beinhalten, auch in der einen oder anderen Deutschstunde mit Schülern der Förderschule diskutiert und bei vielen Wissenslücken festgestellt. Fragen nach Einstellungen und Gesinnungen werden übrigens nicht gestellt, seit nach dem hessischen Entwurf eine einheitliche Regelung für Deutschland gefunden wurde.
Der aus Syrien stammende Said hat den Einbürgerungstest vor ein paar Wochen bestanden, obwohl er noch immer um seine Niederlassungserlaubnis kämpft, wo ihm andere bürokratische Hürden im Wege stehen.
Interessant ist, dass in den USA, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, nur 10 von 100 Fragen gestellt werden, von denen sechs richtig beantwortet werden müssen. Vorausgesetzt werden allerdings eine permanente Aufenthaltsdauer von fünf Jahren und „ein guter moralischer Charakter“. Wenn man diesen nur immer so leicht erkennen würde!
Terrorismus und Religion
Mein Enkel Moritz ist ein aufgeweckter und intelligenter Junge, der immer gut drauf ist und gern Geschichten erzählt, die er sich zum Teil selbst während des Erzählens ausdenkt und sie darstellerisch vorträgt. Vor kurzem schilderte er mir anschaulich, wie er sich zum Fasching mit einem Tuch verkleidet hatte, das ihm sein Vater aus Afghanistan mitgebracht hatte. Das sollte ursprünglich einen Turban, wie die Inder ihn tragen, bedeuten. Doch die Schüler seiner Schule riefen ihm bei der Party und an den darauffolgenden Tagen zu: „Ein Taliban!“
Was bei Kindern Heiterkeit hervorruft, ist eine islamistische Organisation in Afghanistan, die 1994 im afghanischen Bürgerkrieg erstmals in Erscheinung trat und seit 1998 die Kontrolle über den größten Teil des Landes hat. Ihr Ziel ist es, Afghanistan von ausländischen Besatzern zu befreien. Im Gegensatz dazu ist El Kaida eine transnationale Organisation, die weltweit terroristische Anschläge verübt, um das Herrscherhaus in Saudi Arabien zu stürzen, die USA zu besiegen und Israel zu vernichten. Schon seit längerem ist auch Deutschland ins Visier von El Kaida geraten, was die jüngste Vereitelung eines Anschlags drei mutmaßlicher Terroristen beweist, deren Absicht es war, durch eine Splitterbombe ein Blutbad in einer größeren Menschenmenge anzurichten. Ein anderes Beispiel ist das Auftauchen eines Videos von El Kaida im Januar 2009 im Internet mit der Drohung eines bösen Erwachens, falls Deutschland nach der Wahl im September seine Truppen aus Afghanistan nicht abzieht.
In der Sendung „logo“ des ZDF heißt es allgemein-verständlich: „El Kaida ist eine Gruppe von Terroristen, die es in vielen Ländern gibt. Es ist arabisch und bedeutet so viel wie Basis oder Stützpunkt. Der Gründer von El Kaida war Osama Bin Laden. Dieser wurde am 2. Mai 2011 aufgespürt und getötet, aber seine Anhänger sind überzeugt, dass der Islam die einzig richtige Religion ist und alle Menschen nach den Regeln dieses Glaubens leben sollen.“ Es ist schlimm, wie viel Unrecht, Verfolgung und Krieg im Namen einer Religion verursacht wird. Ich verstehe auch nicht, wie man eine Religion aus einer anderen herausheben will und ihre Angehörigen denken, sie wären bessere Menschen. Aber ich weiß gleichzeitig, dass die Menschheit mit den verschiedenen Religionen noch lange, wenn nicht immer, leben muss. Mit dem Gründer der Sowjetunion Lenin verbinde ich zwei Aussagen, mit dessen Inhalt ich mich identifizieren kann: „Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir.“ und „Religion ist Opium für das Volk.“ Ich persönlich habe wie schon gesagt eher ein distanziertes Verhältnis zur Religion, respektiere aber Menschen, die einen Glauben haben und ihn positiv in ihr Leben einbeziehen, die tolerant sind gegenüber Andersdenkenden und in erster Linie als Mensch und nicht schlechthin als Christ, Moslem, Jude, Buddhist oder Hindu handeln. Meine Familie väterlicherseits ist sehr religiös und ich habe zu einigen sehr gute Beziehungen, wie zu den Cousinen meines Vaters Christa und Helga, die liebenswerte Menschen sind. Als ich zum Beispiel vier Jahre meine Oma pflegte, besuchte sie Christa jede Woche und blieb meistens längere Zeit, um sie zu unterhalten und von ihrer Krankheit abzulenken.
Werte