Meine Antwort auf Ihr Buch, Herr Sarrazin. Evelyn Kreißig

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und haben den Touch der Abwertung der „Hartz-IV-Menü-Verbraucher“. Auch wenn ihnen die Unterschichtzugehörigkeit nicht auf der Stirn geschrieben steht, so ist es ihnen wenigstens auf den Leib geschrieben, so dass wir sie leicht erkennen und sie belehren können. Die Bedürftigen sind ja nach den neusten Beschlüssen der Bundesregierung auch Nutznießer eines Bildungspaketes, so dass die Unterschicht-Eltern ihre Sprösslinge endlich mit Bezugsscheinen auch in Sportvereinen anmelden können. Doch der Run auf die Formulare ist bisher ausgeblieben und mit Stand vom 21.04.11 haben in den großen Städten nur zwei Prozent der in Frage kommenden Personen einen Antrag auf entsprechende Leistungen gestellt. Mangelnde Information und Bürokratismus seien der Grund für das schleppende Szenario der Bearbeitung. Auf stern.de vom 21.04.11 wird zum Beispiel darauf hingewiesen, dass die Eltern oft nicht wüssten, wo sie den Antrag stellen müssen. Hartz-IV-Empfänger müssen zum Jobcenter, Wohngeldempfänger zur Wohngeldstelle, Asylanten zum Sozialamt. Außerdem ist für jeden Zweck wie Zuschüsse für ein warmes Mittagessen, Nachhilfe, Vereinsbeiträge, Musikunterricht, Schulausflüge oder Fahrtkosten zu weiterführenden Schulen ein separater Antrag zu stellen. Ich kann mir vorstellen, dass manche Eltern finanzielle Unterstützung für alle diese Bereiche gebrauchen können. Aber Bargeldauszahlungen widersprechen wahrscheinlich dem Vertrauen der Regierung in die richtige Verwendung dieser Gelder durch die Eltern. Lieber nimmt man einen erhöhten Aufwand an Bürokratie in Kauf und rechnet vielleicht sogar mit Einsparungen durch Nichtinanspruchnahme der Leistungen. Immerhin haben in Deutschland 2,5 Millionen Kinder einen Anspruch darauf, bei einer Zahl von 10,3 Millionen Kindern unter 14 Jahren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes von 2010 sind das ungefähr ein Viertel. Ich wage lieber keine Prophezeiung in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kinder ein ähnliches Schicksal erleben wie ihre Eltern. Sie, Herr Sarrazin, befürworten ja eher die Sanktionierung von Sozialleistungen bei „Zuwiderhandlungen“ wie zum Beispiel Schulbummelei. Was machen „wir“ aber jetzt mit Kindern, die zwar im Sportverein angemeldet sind, aber nicht regelmäßig hingehen, oder trotz Kostenfreiheit kein warmes Mittagsessen einnehmen und damit nicht ausreichend für eine gesunde Lebensweise sorgen? Es ist ein Teufelskreis, aus dem unsere Gesellschaft nicht so schnell wieder herauskommt. Im Gegenteil, die Schere zwischen den „Reichen“ und „Armen“ öffnet sich immer mehr durch solche Maßnahmen wie die Senkung des Spitzensteuersatzes und anderer steuerlicher Vergünstigungen wie zum Beispiel die Reduzierung der Erbschaftssteuer und auf der anderen Seite durch die Einführung von Hartz IV.

      Im Gegensatz zu meiner Mutter, meiner Freundin M. und meiner Tochter Anett gehöre ich nicht zu den Menschen, die häufig und leidenschaftlich gern kochen. Aber das muss ja kein Hinderungsgrund für eine gesunde Ernährung sein, an die ich mich in der Regel halte und die in keinem Widerspruch dazu steht. Von den Menschen, mit denen ich beruflich viel zu tun habe, kenne ich viele, die gut und gern kochen. Unter ihnen sind es vor allem Arabischstämmige mit einem Duldungsstatus oder laufendem Asylverfahren. Sie leben in der Regel im Asylbewerberheim und haben den ganzen Tag Zeit, weil sie nicht arbeiten und sich damit nicht integrieren dürfen, unabhängig davon, ob sie wollen oder nicht.

      „Wer einen guten Braten macht, hat auch ein gutes Herz.“

      (Wilhelm Busch)

      Integration und Integrationskurse

      In der Sauna habe ich in der Spiegelausgabe vom 20. Dezember 2010/Nr. 51 einen interessanten Artikel von Christoph Scheuermann über eine Podiumsdiskussion von Michel Friedman gefunden und die Seite gleich ausgerissen, um sie mit nach Hause zu nehmen. An einer Stelle heißt es von dem PR-Mann Imran Ayata, dass die Migranten in den sechziger Jahren Gastarbeiter, in den Siebzigern Ausländer, in den Achtziger Asylanten oder Flüchtlinge hießen. Er meint damit, dass man an der Art, wie sich die Worte verformen, die Einstellung der Mehrheit zu den Minderheiten ablesen könne.

      Ich finde, er hat damit Recht. Provokativ stellt Friedman in der Diskussion die Frage: „Wenn ich jetzt sagen würde, es gibt keinen rassistischeren, diskriminierenderen Begriff als Integration, hätte ich dann Unrecht?“ Und er beantwortet die Frage selbst, indem er das I-Wort als „unheilvolles Konstrukt“ sieht, das dazu diene, Individuen dem Willen einer grauen Mehrheit zu unterjochen. Und er habe sich noch nie integrieren wollen, nicht bei seinen Eltern, nicht bei Helmut Kohl und nicht bei Gerhard Schröder. Er sagt, er wolle im Prinzip nur er selber sein.

      Nachdem die Nullerjahre nun vorbei sind, könnte man ja wieder mal auf einen neuen Begriff nach dem Wort Migranten kommen. Wie wäre es mit Integranten? Das Problem wäre vielleicht nur, dass man es mit dem Wort Intriganten verwechseln könnte. Diese neue Wortschöpfung hätte vielleicht sogar die Chance, zum Wort oder Unwort des Jahres 2011 gewählt zu werden.

      Said ist aus Syrien und lebt seit neun Jahren in Deutschland. Er ist mit einer deutschen Frau verheiratet und arbeitet als Selbstständiger in einem Dönerimbiss in Freiberg, den er gemietet hat. In seinem Ausweis steht der Status „Aufenthaltserlaubnis“, er braucht aber für seine Integration in Deutschland eine „Niederlassungserlaubnis“, die er jedoch nicht so leicht bekommt, obwohl er seinen Lebensunterhalt selbst verdient, also nicht vom Staat lebt. Die deutsche Sprache hat er sich hauptsächlich selbst angeeignet, das heißt, er hat einen großen Wortschatz, kann aber kaum lesen und schreiben. Ich übe mit ihm das Alphabet und lasse ihn einfache Texte lesen. Im Rahmen meines Unterrichts nutze ich auch die Schulküche, um den Sprachunterricht mit der Alltagspraxis zu verbinden, denn die meisten meiner Schüler kochen selbst und das zum Teil hervorragend.

      Said ist ein sehr guter Koch und hat für uns verschiedene Gerichte zubereitet, so zum Beispiel Lachs mit Reis und Salat, Pizza oder Hähnchen mit Reis. Beim Zubereiten der Mahlzeiten haben wir immer viel Spaß, denn Said ist ein Mensch, der viel Humor hat und uns deshalb oft zum Lachen bringt. Er ist Moslem, der jedoch anderen Religionen und Anschauungen gegenüber aufgeschlossen ist.

      Cristiane ist neugierig und fragt Said ein bisschen aus: „Wie ist es bei euch mit den Frauen? Darfst du als Moslem wirklich vier Frauen heiraten?“ – „Ja“, meint er, „wenn meine Frau damit einverstanden ist. Aber ich will nur eine.“ Das freut uns für seine Frau, eine Deutsche, mit der er einen sechsjährigen Jungen hat. Das Christentum erlaubt nur eine Frau und verpflichtet die Ehepartner zur ewigen Treue. Für Katholiken gilt sogar die Devise: „Bis dass der Tod euch scheidet.“ Das ist die Theorie und was der Bibeltext verlangt, doch die Praxis sieht oft anders aus, denn ich weiß von einem Katholiken aus meinem Bekanntenkreis, dass er seine Frau schon mehrmals betrogen hat. Auch sonst nehmen es die Deutschen, nicht nur Männer, mit dem Eheversprechen nicht so genau. Bei einem meiner wöchentlichen Besuche traf ich auf Khaled, der im vorigen Schuljahr in meinem Unterricht war, ihn aber aus persönlichen Gründen abgebrochen hatte. Er fragte mich, ob er wieder in die Klasse kommen könnte, denn er braucht unbedingt den B1-Abschluss, das ist ein Zeugnis, das die dritte Stufe des Europäischen Referenzrahmens und der Nachweis für das Erlernen der deutschen Sprache sind. Ich will ihm helfen und verspreche ihm, mich für ihn in der Sächsischen Bildungsagentur einzusetzen. Von der zuständigen Mitarbeiterin erfahre ich, dass er leider nicht an der Prüfung teilnehmen darf, weil er in diesem Schuljahr nicht angemeldet war. Er sieht es gelassen und meint, dass er ja aufgrund seines laufenden Asylverfahrens noch genügend Zeit dazu hätte.

      Die Politiker des Landes sind sich einig, dass das Erlernen der deutschen Sprache für Menschen mit einer anderen Muttersprache, die in unserem Land leben wollen, an erster Stelle steht. Doch längst nicht alle haben die Pflicht, geschweige denn das Recht dazu. Das sind vor allem die Migranten mit einem Duldungsstatus bzw. die mit einem laufenden Asylverfahren. Auf Befragung der Ausländerbehörde erhielt ich die Antwort, dass die betreffenden Personen nicht gefördert werden dürfen, so dass es ihnen überlassen bleibt, was sie mit ihrer endlosen Freizeit anfangen. Die Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis werden dagegen verpflichtet, einen Integrationskurs zu besuchen. Es ist ein Paradoxon, dass ihnen die Zeit, oft sind es Monate, die sie in der Vorbereitungsklasse mit berufsbildenden Aspekten Deutsch gelernt haben, nicht angerechnet werden. Außerdem verwehrt ihnen der Wechsel zu einem Integrationskurs, der vom Bundesamt für Migration

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