Meine Antwort auf Ihr Buch, Herr Sarrazin. Evelyn Kreißig

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Meine Antwort auf Ihr Buch, Herr Sarrazin - Evelyn Kreißig

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zum Ausdruck bringt. In meiner eigenen Familie sieht es anders aus. So äußerte eine Verwandte bei einer Familienfeier, bei der auch ihre Schwiegereltern anwesend waren: „Freunde kann man sich aussuchen, die Familie nicht.“ Seitdem, es ist ungefähr zehn Jahre her, haben ihre Schwiegereltern kein Wort mehr mit ihr und ihrem Mann gewechselt und sich nie mehr gesehen. Mein Bruder, der für eine Versicherung arbeitet, hat seit vier Jahren keinen Kontakt mehr zu mir und meinen zwei Schwestern, weil er von der Familie eine Auszeit wollte.

      Den Grund dafür habe ich damals nicht erfahren. Erst bei einem Gespräch mit meinem Bruder, das ich vor ungefähr zwei Jahren mit ihm suchte, schilderte er mir seine Motive. So erzählte er mir, dass er für ein Versicherungsangebot für das Auto seiner Nichte viel Zeit investiert hat, sie dann den Vertrag jedoch nicht abschloss. Außerdem wären ihm die Zusammentreffen der Familie zu häufig. Das klingt sicher für Außenstehende ziemlich lächerlich und ist auch für mich nicht nachvollziehbar.

      Ich will weitere Einzelheiten gar nicht genau ausführen, aber hier bewahrheitet es sich, dass man mit der Familie lieber keine Geschäfte machen sollte. Ich muss dazu sagen, dass mein Bruder meiner Meinung nach zu den „Reichen an Geld“ der Gesellschaft gehört. Das hat mit seiner Cleverness zu tun, die er bei der Ausübung seinen Jobs bei einer Versicherung anwendet. Aber Reichtum beschränkt sich ja bekannterweise nicht nur auf Geld, sondern auch auf menschliche Eigenschaften wie Toleranz, Großzügigkeit und Herzlichkeit.

      Trotz meiner Bemühungen um eine Kontaktaufnahme zu meinem Bruder habe ich keine Beziehungen mehr zu ihm und seiner Familie. Das ist zwar schade und tut weh, aber ich habe dieses Kapitel in meinem Leben jetzt abgehakt.

      Ich habe gerade ein Lied von Udo Jürgens gehört, das er zu Ehren von Udo Lattek sang und die Liedzeile hatte: „Was du bekommst, ist immer das, was du gegeben hast.“ Ich finde, das ist eine große Wahrheit, nach der man leben sollte. Übrigens, Herr Sarrazin, mein Bruder muss einige Gemeinsamkeiten mit Ihnen in Bezug auf sein Verhältnis zu Zahlen haben, das ja bei der Arbeit bei einer Versicherung bzw. im Bundesamt der Finanzen oder als Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank von großer Bedeutung ist.

      „Seit man begonnen hat, die einfachsten Behauptungen zu beweisen, erwiesen sich viele von ihnen als falsch.“

      (Bertrand Russell)

      Berufswahl

      Mein Name ist Evelyn Kreißig und ich bin nur eine einfache Lehrerin und kann Ihnen, Herr Sarrazin, sicher in vieler Hinsicht nicht das Wasser reichen. Sie sind bestimmt ein überdurchschnittlich intelligenter, wortgewandter und belesener Mann und haben viele Erfahrungen in der Arbeit mit Ausländern innerhalb Ihrer Tätigkeit als Fachökonom, Spitzenbeamter und Politiker in Berlin.

      Trotzdem glaube ich, bei dem Thema, das Sie mit Ihrem Buch bearbeiten, mitreden zu können, denn ich arbeite seit zehn Jahren mit Migranten bzw. Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Ich verzichte aber weitgehend auf Zahlen, Tabellen und empirische Erhebungen, denn das haben Sie ja schon in genügendem Umfang getan. Auf dem Abiturzeugnis hatte ich zwar in Mathematik die Note Zwei, habe aber bis heute nicht viel mit Zahlen am Hut, obwohl mein Mann Mathematiker ist. Das heißt, Menschen mit dieser Leidenschaft lehne ich also generell nicht ab, ja, ich konnte sogar mit ihm bis drei zählen, denn wir haben zusammen drei intelligente und hübsche Kinder.

      Als Lehrerin bekomme ich ein gutes Gehalt und kann mir deshalb auch einen relativ hohen Lebensstandard leisten. Reich bin ich allerdings nicht und ich kenne auch keine reichen Lehrer, nur Lehrer, die viel arbeiten und viele Ferien haben. Das Zweite ist zumindest eine häufig gehörte Äußerung von Mitmenschen, die Lehrer oft mit der Gegenfrage kommentieren: „Warum sind Sie oder bist du dann nicht selbst Lehrer geworden?“

      Zugegeben, die Antworten fallen verschieden aus, aber auf mangelnde Intelligenz ihrerseits führen sie das eher weniger zurück. Im Gegenteil, man hört dann auch manchmal die Feststellung: „Mit mehr Intelligenz hätten manche Lehrer auch einen anderen bzw. besser bezahlten Beruf lernen können.“ Aber Geld ist eben auch nicht alles, was man zum Beispiel als Immobilienmakler, Finanzmanager, Banker oder Versicherungsvertreter reichlich verdienen kann. Damit hatte ich nie etwas am Hut, vielleicht, weil man dazu auch Mathematik braucht. Doch der Hauptgrund ist eher der, dass ich lieber Kindern und Jugendlichen etwas geben will (Wissen), anstatt ihren Eltern etwas wegzunehmen (Geld). Ich muss aber auch ehrlich zugeben, dass ich für die oben genannten Berufe ebenfalls kein Talent und keine Ambitionen habe. Natürlich gibt es noch ein paar andere Varianten für Berufsziele, die dazwischenliegen wie Frisörin, Verkäuferin, Bäckerin, Sekretärin oder Krankenschwester. Das wollte ich jedoch auch nie werden, vielleicht weil mir ihr ewig langer Arbeitstag nicht zusagte, aber auf den Köpfen anderer Leute wollte ich zum Beispiel auch nie arbeiten (Frisörin). Lieber wollte ich versuchen, in die Köpfe etwas hineinzubringen. Dafür nahm ich in Kauf, dass meine Schüler mir manchmal auf dem Kopf herumtanzten.

      Ich war schon immer ehrgeizig, habe mir so das Abitur erkämpft und mein späteres Lehrerstudium durchgehalten, was nicht immer einfach war. Finanziell hätte ich mir das nie leisten können, da meine Eltern nicht viel Geld hatten und ich noch drei Geschwister habe. Und Kinder machen ja bekanntlich nicht nur Freude, sondern kosten ihren Eltern auch viel Geld.

      Zum Glück hatte ich aber eine Großmutter, die mir regelmäßig Taschengeld zuschob, so dass ich nur zu lernen brauchte und nicht nebenbei arbeiten musste wie zum Beispiel meine vier Jahre jüngere Schwester, die sich ihr Lehrerstudium durch Kellnern finanzierte. Beinahe hätte ich aber alles hingeschmissen, und zwar, als meine Freundin, mit der ich mein Studium begann, dies tat und sich stattdessen auf die Erziehung ihres Kindes konzentrierte, das ich aber damals noch nicht hatte. Sie hat dann später in einem Energiebetrieb gelernt und gearbeitet und nach der Wende immer mehr Geld verdient als ich, worum ich sie manchmal beneidete. Seit sechs Jahren ist sie nun im Vorruhestand und lässt es sich zu Hause gut gehen, worum ich sie nicht mehr beneide. Für mich wäre dieses Leben einfach (noch) keine Option, da mich meine Arbeit ausfüllt und herausfordert.

      Ich bin Deutsche, was ich erst seit dem vereinten Deutschland sagen darf, bis dahin war ich „nur“ DDR-Bürgerin und glaubte, in einer deutschen demokratischen Republik zu leben. Doch es war eine vermeintliche Volksherrschaft (aus dem Griech.), in der zwar die vom „Volk“ gewählten Vertreter die Herrschaft ausübten, der Wille des Volkes aber oft auf der Strecke blieb. Gleichzeitig war die DDR offiziell eine Diktatur, nämlich die des Proletariats. Wir Ostdeutschen hatten keine Wahl, welcher Partei wir unsere Stimme geben sollten, denn es gab quasi nur eine Partei, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED). Die anderen spielten nur eine untergeordnete Rolle. Unsere „Wahl“ bestand kaum darin, wählen zu gehen oder nicht, denn als „Nichtwähler“ war man so manchen Repressalien ausgesetzt. Das andere Deutschland, die damalige BRD, war für mich und die meisten Ostdeutschen kapitalistisches Ausland und ein unerreichbares Territorium. Die SED und das Ministerium für Staatssicherheit prägten sogar den Begriff des Klassenfeindes für die BRD und die USA. Im Staatsbürgerkundeunterricht haben wir einmal die Frage diskutiert, ob wir es uns vorstellen können, dass es in der Zukunft wieder nur ein Deutschland geben könnte. Es konnte sich keiner ausmalen oder es hat niemand gewagt, diesen Gedanken zu äußern. Mein damaliger Staatsbürgerkundelehrer hatte sicher eine gute Ausbildung in seinem Fach, so dass er uns Schüler sehr gut manipulieren konnte und sich niemand zu einer anderen Meinung hinreißen ließ. Aber mit siebzehn, achtzehn Jahren Leben in der DDR waren wir alle geprägt vom System des vermeintlichen Sozialismus, der sich einmal zum Kommunismus entwickeln sollte.

      Gut, mein Lieblingsfach war Staatsbürgerkunde nicht gerade, trotzdem habe ich es studiert, weil es in Verbindung mit dem Fach Deutsch am Pädagogischen Institut, das während meiner Studienzeit den Status einer Hochschule bekam, in Zwickau angeboten wurde und ich nicht zu weit weg von meinem Wohnort und meinem Freund sein wollte. Einen großen Anteil an meiner Entscheidung für das Studienfach Deutsch hatte mein Deutschlehrer Herr Schellenberg.

      Am

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