Meine Antwort auf Ihr Buch, Herr Sarrazin. Evelyn Kreißig

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Dazu muss man wissen, was ein Integrationskurs beinhaltet, der sich nicht wie die Bezeichnung vermuten lässt auf eine umfassende Integration, die alle Bereiche des Lebens umfasst, bezieht. Bestehend aus einem 600 Stunden umfassenden Basissprachkurs und einem 45 Stunden umfassenden Aufbausprachkurs dient der Kurs der Erlangung ausreichender Sprachkenntnisse bis zum Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens. Bei Wikipedia heißt es zur Integration von Menschen mit Migrationshintergrund: „Der Prozess der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund besteht aus Annäherung, gegenseitiger Auseinandersetzung, Kommunikation, Finden von Gemeinsamkeiten, Feststellen von Unterschieden und der Übernahme gemeinschaftlicher Verantwortung zwischen Zugewanderten und der anwesenden Mehrheitsbevölkerung.“ Es besteht also eine offensichtliche Diskrepanz zwischen dem Begriff Integration und seiner Realisierungsmöglichkeit mit Hilfe der so genannten Kurse, da es sich in erster Linie um Sprachkurse handelt. Ich verbinde in meinem Unterricht den Spracherwerb mit vielfältiger praktischer Tätigkeit. Diese umfasst gemeinsame Sportstunden mit Schülern des BSZ, in denen wir zum Beispiel Volleyball oder Basketball spielen, oder das Kochen von ausländischen und deutschen Gerichten in der Schulküche. Dazu gehören Bowling- und Billardspielen mit Schülern anderer Schulen, Museums- und Kinobesuche oder die Besichtigung von historischen Bauwerken wie dem Freiberger Dom. Wir gehen zusammen ins Freizeitbad nach Marienberg oder besteigen das Besucherbergwerk „Reiche Zeche“ in Freiberg. Mit Jugendlichen, die noch große sprachliche Probleme haben, fahre ich zur Ausländerbehörde, gehe mit ihnen zum Arbeitsamt, zur Sparkasse oder zur Krankenkasse, um ihnen beim Ausfüllen von Formularen zu helfen. Nun kann und will ich keinem Unterrichtenden der Integrationskurse unterstellen, außer der Vermittlung der Sprache die Gelegenheiten zur praktischen Integration nicht zu nutzen. Meine Erfahrung bei der Arbeit mit jugendlichen Migranten und solchen mit Migrationshintergrund führte auf jeden Fall zu der Erkenntnis, dass allein die Unterrichtsstunden zum erfolgreichen Spracherwerb nicht ausreichen. Den zuständigen Behörden schlage ich deshalb vor, den Inhalt der Integrationskurse auf Tätigkeiten im Alltag der betreffenden Menschen zu erweitern. Gegenargumente werden wahrscheinlich fehlende finanzielle Mittel sein, die man meiner Meinung nach jedoch mit dem Einsparen anderer wie zum Beispiel unnötiger Fahrtkosten ausgleichen kann. Warum müssen Migranten, die in Freiberg wohnen, in Chemnitz einen Integrationskurs an der Volkshochschule besuchen, wenn dieser in ihrem Wohnort angeboten wird? Warum werden Kinder vom Asylbewerberheim in Mobendorf mit dem Bus nach Hainichen zur Schule gefahren, wenn sie vom Asylbewerberheim in Freiberg aus zu Fuß zur Schule gehen könnten? Warum wird die Schließung eines zentral gelegenen Asylheims zugunsten eines abgelegenen erwogen?

      Vor drei Jahren hatte ich neben meiner Tätigkeit am BSZ in Freiberg einen Nebenjob an der Volkshochschule in Chemnitz. Dort unterrichtete ich an zwei Tagen in der Woche Migranten in einem Alphabetisierungskurs in einer Gruppe von sechs Personen, von denen ein Mann aus Russland nur am ersten Tag anwesend war. Welche Folgen das für ihn hatte, weiß ich nicht, auf jeden Fall blieb sein Name auf meiner Liste der Teilnehmer. Das interessierte mich natürlich nicht, denn meine Stunden konnte ich ja trotzdem halten, die ausschließlich im Klassenraum stattfanden. Der Alphabetisierungskurs, zu dem ein Sprachkurs und ein Orientierungskurs gehören, ist die erste Stufe eines Integrationskurses. In der Sendung „Report Mainz“ vom 25.07.2011 wurde die Summe von 200 Millionen Euro genannt, die der Staat jedes Jahr für die Finanzierung der Kurse aufbringt. Das sei zunächst mal positiv, doch „Report Mainz“ recherchierte, dass „hinter den Kulissen getrickst und getäuscht“ wird. Und weiter heißt es: „Lehrer von Integrationskursen und Verwaltungsmitarbeiter bei Schulträgern berichten übereinstimmend von gefälschten Anwesenheitslisten und ganzen Kursen, die nur auf dem Papier bestehen. Bei staatlich geförderten Integrationskursen kommt es offenbar zu systematischem Abrechnungsbetrug (www.swr.de). Den Beweis bringt das politische Magazin anhand von Gesprächen mit sieben Informanten, die alle von manipulierten Listen berichten. Diese sind wiederum die Grundlage für die Abrechnung mit dem Bundesamt, von dem es für jeden Teilnehmer 2,35 Euro gibt. „Report Mainz“ weiß, dass zurzeit 90.000 Teilnehmer in einem Integrationskurs lernen und der Schaden von Insidern auf mehr als 100 Millionen Euro geschätzt wird. Ich habe einen Vorschlag, wie man dieses Geld besser verwenden könnte. In den Orientierungskursen geht es zum Beispiel um die Vermittlung von Kenntnissen über die Rechtsordnung, die Gesellschaft und die Geschichte Deutschlands. Warum kann man diese nicht mit Besuchen in einem Gericht oder im Rathaus oder auch in einem Museum verbinden? Das Geld wäre also auf jeden Fall vorhanden und die Bezeichnung Integrationskurs hätte eine größere Berechtigung.

      Gutscheine

      Im Gegensatz zu sehr viel Zeit hat Khaled wie die meisten seiner Freunde wenig Geld. Doch er ist dankbar für die Leistungen, die er vom Staat bekommt und für die er nichts tun muss bzw. tun darf und stellt fest, dass man in seinem Land Libyen nur für Arbeit Geld bekommt.

      Khaled erzählt mir weiter, dass er 170 Euro für Essen und Kleidung und andere persönliche Dinge bekommt und dass er inzwischen 3.000 Euro an seinen Rechtsanwalt gezahlt hat. Diese hat er sich illegal erarbeitet bzw. zum Teil von seinem Onkel, der in Leipzig eine Pension hat, bekommen.

      Seit 2011 gibt es in Freiberg für Lebensmittel und Kleidung keine Gutscheine mehr, das heißt, die Asylbewerber können jetzt selbst entscheiden, wo sie einkaufen gehen bzw. was sie mit ihrem Geld machen. Bis dahin waren sie gezwungen, ihre Gutscheine in bestimmten Supermärkten für Grundnahrungsmittel einzulösen. Zuvor war es noch üblich, dass Händler in das Heim kamen und für überteuerte Preise ihre Produkte verkauften. Ich habe mir einmal eine Liste mit Waren des täglichen Bedarfs und den entsprechenden Preisen zeigen lassen und konnte kaum glauben, wie viel mehr als im Supermarkt die Heimbewohner dafür bezahlen mussten. Vor einiger Zeit brachte das MDR-Nachrichtenmagazin „Exakt“ einen Bericht zu dem Thema „Heimbetreiber kassiert offenbar bei Asylbewerbern ab“.

      Die Zuschauer erfuhren, was ich von früheren Methoden der Ausländerbehörde in Freiberg längst wusste, dass diese Taktik im Landkreis Leipzig noch gang und gäbe ist. Das Magazin deckte auf, dass der Betreiber eines Asylbewerberheims versucht, gleich doppelt an seiner Kundschaft zu verdienen. Die Recherchen ergaben, „dass der Betreiber des Heims in Threna mehrere Läden besitzt, in denen die Asylbewerber für einfache Grundnahrungsmittel horrende Preise zahlen müssen. Alternativen gibt es nicht, denn die Läden sind nach einem Beschluss des Kreistags die einzige Einkaufsmöglichkeit für die Asylbewerber von gleich drei Heimen im Leipziger Umland.“ Man kann sich ausrechnen, wie viel den Asylbewerbern bei diesem Verteuerungsfaktor von 50 Prozent bei ihnen zur Verfügung stehenden 130 Euro tatsächlich für die eigene Versorgung übrigbleibt. Für mich ist es unverständlich, warum gerade bei den Hilfsbedürftigsten wie den Asylbewerbern die Sucht der Geschäftsleute an einer Bereicherung am größten ist. Vermutlich deshalb, weil ihre Hilf- und Wehrlosigkeit ebenfalls am größten ist. So ergab ein Test eines MDR-Reporters, dass der Einkauf von vergleichbaren Lebensmitteln in einem nahegelegenen Discounter um die Hälfte billiger ausfallen würde. Was soll man von der Antwort der Behörde auf die MDR-Anfrage halten? Der logische Zusammenhang der Begründung für die Vorgehensweise bleibt mir jedenfalls verschlossen.

      Khaled kam vor zwei Jahren aus Libyen nach Deutschland und er sagte mir, dass er wie viele andere gekommen ist, weil es in seinem Land keine Freiheit, Demokratie und schlechte Lebensverhältnisse gibt. Aber hier in Deutschland würde er jetzt wie in einem Gefängnis leben, er darf nicht arbeiten, seinen Kreis nur mit einem Urlaubsschein verlassen, den er aber erst beantragen muss, und er darf auch keine Ausbildung machen. Seine einzige Chance ist die Teilnahme an einem Deutschkurs, der aber noch lange keine Garantie für eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland ist. Er will aber trotzdem Deutsch lernen, weil er weiß, dass das sehr wichtig für ihn ist. Ich frage ihn, ob er seine Freundin, die in Wiesbaden lebt, noch hat. „Ja, natürlich“, antwortet er, „und ich will sie auch irgendwann heiraten. Doch ich muss erst lernen, das ist das Wichtigste.“ Leider kommt er sehr unregelmäßig zum Unterricht, bis ich ihn eines Tages beim Italiener an der Ecke treffe und er mir andeutet, dass er zurzeit große gesundheitliche Probleme hat, über die er jetzt aber nicht

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