Lindenstadt und sächsischer Kleinkram. Jens Rübner

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Lindenstadt und sächsischer Kleinkram - Jens Rübner

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der Marke wurde.

      Nach all diesen Informationen drängt sich die Frage auf, ob es Underberg im Osten, sprich auch in der DDR gab. Und wenn ja, ab wann und wo?

      Bereits 1968 hatte Emil II. erste Kontakte mit den DDR-Oberen geknüpft. Das Unternehmen möchte, dass ihr Magenbitter auch im Dienste des Wohlbefindens sozialistische Mägen beruhigt. Trotz der Hartnäckigkeit des konservativen Katholiken vom Niederrhein sollten drei weitere Jahre ins Land gehen, ehe 1971 ein Ost-Berliner Spirituosenbetrieb im Rahmen eines Gestattungsvertrages – dem ersten seiner Art – die Underberg-Abfüll- und Verpackungslinie unter Qualitätskontrolle des West-Berliner Betriebs in Gang setzt. „Es war Herrn Underberg wichtig, als Familienunternehmer fair mit einem anderen Familienbetrieb umzugehen”, sagt Herr Barwinski – Prokurist und Mitglied der Underberg-Geschäftsleitung in Rheinberg. Was war passiert? Familie Meinel, Gastronomen aus dem Hotel Fichtelberghaus in Oberwiesenthal, hatten im Jahr 2002 einen hauseigenen Hausschnaps Oberberg, kreiert. In starker Anlehnung an die Marke Underberg. Tatsächlich aber schützt der schon 1846 gegründete Magenbitterproduzent Underberg auf dem Markt der Kräuterschnäpse fast alles, was auf Namen wie „Unter” und „Berg” hört. Seit 1894 gab es dazu Eintragungen beim Kaiserlichen Patentamt und darauffolgend beim Deutschen Patent- und Markenamt. Der entschiedene Kampf um den Markennamen gehört dabei zur Unternehmensgeschichte wie das weiß-bräunliche Wickelpapier: „Die früheren Generationen der Gesellschafter haben in den vergangenen 163 Jahren die Marke permanent gegen Nachahmungen verteidigen müssen”, erzählt Barwinski, weiter. In mehr als 1.200 Fällen musste sich Underberg gegen Plagiatsversuche von Flaschenform, Verpackung, Etikett und Namen wehren. Die „Oberberg”-Familie bildet da eine glückliche Ausnahme! (Quelle: LVZ, April 2009, Sven Heitkamp – freier Journalist)

      Letztendlich konnte man sich gütig einigen, weil es für das Unternehmen eine Frage der Solidarität zwischen West und Ost war. Underberg hatte ja schon 1973 als erstes westdeutsches Unternehmen seinen Original-Magenbitter beim Berliner VEB Bärensiegel produzieren lassen, sicherlich auch, um neue Absatzmärkte zu schaffen. Fortan können ausländische Besucher und Besitzer von harten Devisen Underberg in den Intershops kaufen, kurze Zeit später ist er auch in der gehobenen Gastronomie zu haben. Mir ist in Erinnerung, dass man diese Marke auch in meiner Stadt erwerben konnte. Abgesehen von den Intershops und am Flughafen im Duty Free Shop gab es diesen „Verdauerli“ auch im Hotel (später Interhotel) „Astoria“, dem ersten Grand-Hotel der Stadt, dem einst nobelsten Wahrzeichen Leipzigs gleich neben dem Hauptbahnhof. Nur leider erinnert heute (März 2013) sehr wenig an den Glanz dieses Gebäudekomplexes, in dem über mehr als 80 Jahre die Elite aus Politik, Wirtschaft und Kultur zur Nachtruhe gebettet wurde. Seit 1997 steht es leer und ist dem Verfall preisgegeben. Des Weiteren war der gleichnamige Magenbitter, das bekannteste Produkt von Underberg, auch im Gästehaus des Ministerrates und Politbüros der DDR in der Leipziger Schwägrichenstraße zu bekommen. Somit ist die Marke Underberg eine der ersten Westmarken, die es auch jenseits der Mauer gab.

      Im Jahr 1975 schafften die besonderen Flaschen gar den Sprung in einen Krimi fürs Volk. Für die Polizeiruf 110 Folge – Der Spezialist ratterten die Kameras unter anderem auch in Leipzig-Paunsdorf, auf dem damaligen Gelände des VEB IMO Leipzig, Industriemontagen in der Riesaer Straße. Weitere Außendekorationen fand man am Palmengarten in Lindenau und in Wiederitzsch am Sandberg. Mit Hilfe der heutigen Technik ist auch ein Motiv einer Leipziger Tanzbar auszumachen. Das Angebot im Film reichte vom Underberg bis zum Cinzano. Es lässt vermuten, dass es sich hier um ein Lokal handelte, in welchem höchstwahrscheinlich auch regelmäßig internationale Gäste zu den Leipziger Messen verkehrten. Ansonsten wäre die Marke Underberg zu tiefsten DDR-Zeiten wohl nicht im Angebot gewesen.

      Mein erstes Gaumen- und Magenerlebnis mit diesem speziellen Portionsfläschchen hatte ich 1986. Katrin, meine damalige Freundin, heutige Frau überraschte mich eines Tages mit etwas Besonderem, einer Packung Underberg aus einem bedeutenden, geschichtsträchtigen und in der Bevölkerung nicht gerade beliebten Hause – dem Gästehaus des Ministerrates in Leipzig, in dem sie als Kellnerin tätig war. Hin und wieder war es gestattet, dass das Personal auch mal etwas Außergewöhnliches im Personalverkauf für DDR-Mark erwerben durfte. Ich war so neugierig, dass ich die Packung im wahrsten Sinne des Wortes wie ein „Westpaket“ aufriss und mir ein Fläschchen sofort genehmigte. Mein erster UNDERBERG. Er roch stark nach Alkohol und einem undefinierbaren Aroma aus Kräutern, der Abgang war rauchig und sehr scharf. Ich schüttelte mich heftig und währenddessen umkam meinen Magen ein sehr warm aufsteigendes Gefühl, was ich als sehr angenehm empfand. Trotz alledem beließ ich es vorsichtshalber bei dem einen ersten Schluck, denn im Geschmack war der Trunk wirklich grässlich. Oder sollte ich besser sagen, ungewöhnlich, außergewöhnlich, anders als alle bisherige gekannten Kräuter- und Magenbitter.

      Heute greife ich besonders gern nach einer sehr kräftigen Mahlzeit zu diesem „altbewährten“ Mittel, dem aromatischen Magenbitter in der kleinen ummantelten Portionsflasche aus Strohpapier, um mich von Magendruck oder Völlegefühl zu befreien.

      Dass die Underberg-Freunde nicht nur treu, sondern auch ein bisschen verrückt sind, sollen folgende Zeilen belegen: „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst!“ Mit diesem Motto von Schiller halten es ebenso einige Underberg-Freunde, die sich von der Marke inspirieren lassen und gar eigene Kunstwerke schaffen. Aber auch freiberufliche Künstler finden Gefallen am Kunstobjekt „Portionsflasche“. So gestalten die Leipziger Harald Bauer und Günter Huniat aus Underberg Packmaterialien wahre Kunstwerke. In diesem Sinne „Kommen doch auch Sie mit auf den Underberg …“ und entdecken bei einem Wiedersehen mit einer der größten Flaschen des Jahrhunderts die Botschaft – nach einem guten Essen hilft Underberg über den Berg.

      Am letzten Kalendertag des Monats Mai 1969 verschwinden „Winni“ und „Shatti“, zwei Jungen im Alter von neun Jahren, und ein unvorstellbares Drama braut sich zusammen. Es ist der bis dahin spektakulärste Fall der DDR-Kriminalgeschichte. Angeblich habe der Film, Es geschah am hellichten Tag, aus dem Jahr 1959 Erwin Hagedorn zu den Taten angeregt.

      „Niemand weiß, woher das Böse kommt, und wann es wieder geht“; „Was gedacht werden kann, wird auch zur Tat“ oder „Einmal Monster, immer Monster?“ Aussagen, die von Kriminalpsychologen und forensischen Psychiatern stammen und die nachdenklich machen sollten. Was um Himmels Willen sind denn forensische Psychiater? Das sind Sachverständige, die oft den Volkszorn auf sich ziehen – nämlich immer dann, wenn sie mit ihren Gutachten Straftäter zu kranken Menschen erklären, die von der Öffentlichkeit als Bestien angesehen werden, aber den Straftäter und auch seine Tat zu begreifen ist Teil ihrer Aufgabe, gerichtlichen Entscheidungen eine rationale Grundlage zu geben. Wie schwierig das sein kann, zeigt der Fall Hagedorn: Ein Fall, der in die Kriminalgeschichte einging, von der es drei Varianten gibt: die wahre und die beiden Filmfassungen (Im Alter von … DDR, 1974 & Mord in Eberswalde – BRD, 2013) eines Kindermörders, wovon keine von dreien in der DDR existieren durfte. „Wir haben ganz sicher keinen pädophilen, homosexuellen Sadisten in Eberswalde.“ – Auszug aus einem Dialog im Film Mord in Eberswalde (WDR-Produktion). „Es gibt solche Subjekte im Sozialismus nicht!“ geht der Dialog weiter und er endet mit dem Satz: „Das ist übrigens die Haltung der Partei."

      Doch zuerst die Fakten: Leipzig, 15. September 1972 – in den Vormittagsstunden wird der „Kinderschlitzer von Eberswalde“, Erwin Hagedorn, einer der grausamsten Sexualmörder in der DDR-Kriminalgeschichte, in der Strafvollzugseinrichtung Leipzig vom Henker Hermann Lorenz durch einen gezielten Nahschuss mit der Pistole in den Hinterkopf hingerichtet.

      Unauffällige Transporter fahren in den Hinterhof des Gefängniskomplexes, der mitten in einem belebten Leipziger Wohnviertel gelegen ist. Dass es sich hierbei um die Einfahrt zum Todestrakt handelt, ahnen weder die Bevölkerung noch die Gefangenen selbst. Zum Tode Verurteilte erfahren erst kurz vor ihrer

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