Lindenstadt und sächsischer Kleinkram. Jens Rübner

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Lindenstadt und sächsischer Kleinkram - Jens Rübner

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per „unerwarteten Nahschuss in das Hinterhaupt" getötet. Dabei tritt der Henker unbemerkt von hinten an den Verurteilten heran und schießt. Die Hingerichteten bringt man zur Einäscherung in das Krematorium auf dem Leipziger Südfriedhof, wo ihre Urne dann anonym beigesetzt wird. „Anatomieleiche" oder „Abfall“ – so werden im Totenbuch des Krematoriums auf dem Leipziger Südfriedhof die Menschen bezeichnet, denen in der Hinrichtungsstätte ihr Leben genommen wurde. Erst sehr viel später erfahren die Angehörigen, wo ihr Familienmitglied beigesetzt worden ist. Manche wissen es bis heute nicht.

      Zwischen 1960 und 1981 wird ein Teil der Leipziger Strafvollzugseinrichtung in der Alfred-Kästner-Straße/Arndtstraße als zentrale Hinrichtungsstätte der DDR genutzt. Heutigen Erkenntnissen zufolge wurden hier in dieser Zeit 64 Menschen getötet. (Orte-der-Repression.de/Leipzig-Hinrichtungsstätte, Zugriff am 30.01.2013)

      Erwin Hagedorn ist gerade 20 Jahre jung, als er hingerichtet wurde. Seine Verbrechen ähneln denen des westdeutschen Kindermörders Jürgen Bartsch. Dieser war ein pädosexueller Serienmörder, der in Velbert im Zeitraum von 1962 – 1966 vier Knaben ermordete.

      1969, so die Anklage, habe Hagedorn zwei Jungen im Alter von neun Jahren im Forst bei Eberswalde getötet. Der Täter hatte seinen Opfern den Hals durchgeschnitten. Eine großangelegte, aber streng geheim gehaltene Fahndung blieb vorerst erfolglos.

      Als 1971 erneut ein 12-jähriger Junge ermordet aufgefunden wurde, startete die Polizei eine breite Befragung der Bevölkerung. Anonyme Hinweise brachten die Kripo und Stasi schließlich auf die Spur des Lehrlings/Kochs in der MITROPA-Bahnhofsküche von Eberswalde.

      H A G E D O R N wirkte erleichtert und gesteht sofort. Die psychiatrische Untersuchung ergibt: Hagedorn ist persönlichkeitsgestört, trotz allem aber schuldfähig. Ist er gar ein Sadist? Von Sadismus im medizinischen Sinn spricht man, wenn ein Mensch (sexuelle) Lust oder Befriedigung dadurch erlebt, dass er andere Menschen demütigen, unterdrücken oder ihnen Schmerzen zuzufügen kann. (Quelle: freie Enzyklopädie – Wikipedia) Gutachter und Rechtsmediziner formulieren es so: Sadisten empfinden beim Quälen Lust. Je wehrloser das Opfer, desto größer die Macht und Kontrolle, die man über es gewinnen kann. Deshalb sind die Opfer oft Kinder. Die Todesangst in den Augen dieser Kinder wird für den Täter zum Quell höchster Lust und Befriedigung.

      Sind solche Menschen krank? Wenn dies so ist, dann wirft das die Frage auf, ob sie überhaupt anders hätten handeln können und wenn ihnen dies nicht möglich ist, sind sie für ihre Taten überhaupt verantwortlich zu machen?

      Leipzig 2013. Nach 41 Jahren wird der dreifache Kindermörder aus Brandenburg (erneut) zum Film-Thema: Die ARD zeigt am 30. Januar 2013 die WDR-Produktion Mord in Eberswalde. Die Zuschauer bekommen Sadomaso-Fesselsex zu sehen, ein Abschiedsbrief wird verfasst, im Wald wird ein grausiger Leichenfund gemacht. Damit beginnt die TV-Verfilmung. Einen solchen Einstieg nennt man wohl suggestiv. Die Handlung des ARD-Films fußt auf dem oben beschriebenen realen Fall des Kindermörders Erwin Hagedorn, der zwischen 1969 und 1971 in der brandenburgischen Stadt Eberswalde drei Jungen missbraucht und getötet hatte - und erst nach langwieriger Fahndung gefasst werden konnte.

      Im Alter von … ein 1974 über den Fall gedrehter „Polizeiruf 110" wurde noch vor der Ausstrahlung im DDR-Fernsehen gestoppt, das Material teilweise vernichtet. Man fürchtete wohl internationalen Druck und die globale Kritik aufgrund des Todesurteils, zumal der Täter bei den ersten beiden Morden noch m i n d e r j ä h r i g gewesen war. Erst 2011 strahlte der MDR eine rekonstruierte Fassung des 1974 entstandenen „Polizeirufs 110“ aus.

      Zurück zum wahren deutschen Sexualstraftäter und mehrfachen Kindermörder Hans Erwin Hagedorn (* 30. Januar 1952 in Eberswalde; † 15. September 1972 in Leipzig). Das Absurde, Paranoide, Schizophrene, was dem Ganzen noch die Krone aufsetzt ist, dass die Staatssicherheit/Kriminalpolizei irgendwann doch tatsächlich auf die Idee kommt, die Ermordung der Kinder für einen Lehrfilm nachstellen zu lassen – mit Kindern von Ministeriumskollegen und dem echten Hagedorn, den zum Tode verurteilten Strafgefangenen in der „Hauptrolle“. In einem Protokoll-Vermerk heißt es: „Hagedorn ist mit vollem Eifer bei der Sache. Er steht (endlich mal) im Mittelpunkt und genießt es.“

      Der sehr aufwändig gedrehte Rekonstruktionsfilm aus dem Jahre 1972 von der Kriminalpolizei der DDR in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit verschwand kurze Zeit später sang- und klanglos im Archiv. Hagedorns Hinrichtung 1972 war zwar die letzte zivile Exekution in der DDR-Geschichte, aber das letzte Todesurteil wurde 1981 in der Leipziger Hinrichtungsstätte an dem MfS-Offizier Dr. Werner Teske vollstreckt. Danach fanden nach bisherigen Erkenntnissen keine Hinrichtungen mehr statt, wenngleich die Todesstrafe offiziell erst 1987 abgeschafft wurde. Dies stand im Zusammenhang mit Erich Honeckers Kurzbesuch in Bonn bei Helmut Kohl im September gleichen Jahres. Honecker wollte dieses erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen nutzen, um die internationale Anerkennung der DDR als eigenständigem Staat weiter auszubauen und hätte schlechte Karten gehabt, wenn er als Oberhaupt eines sich als demokratisch-sozialistisch bezeichneten Staates hätte zugeben müssen, dass in diesem/seinem Staat die Todesstrafe nach wie vor gesetzlich verankert ist.

      Das wohl beliebteste Spiel einer ganzen Generation. Ob meine Mutter es gespielt hat, vermag ich mich nicht zu erinnern, ganz sicher aber wäre es niemals von meiner Großmutter gespielt worden, die häufig zu sagen pflegte: „Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr“, und dabei Wert darauf legte, dass der ironische, ja oft vorwurfsvolle Unterton, den sie vor allem uns Kindern gegenüber anschlug, nicht zu überhören war.

      Mir hätte sie diesen Spruch am liebsten ins Poesie-Album geschrieben. Sie meinte nämlich, unter uns vier Geschwistern sei ich der einzige, der sich immer das größte Stück Fleisch oder das dickste Kuchenstück zu angeln versuchte.

      Daran wurde ich erinnert, als ich jüngst die Kolumne einer Kinderärztin in einer Fernseh-Programmzeitschrift las, worin sie unter Verweis auf dieses „grammatikalisch provokante und inhaltlich höchst zweideutige“ Sprichwort darauf hinweist, dass schließlich „in jedem von uns ein kleiner Egoist stecke“ und „Verzicht auf die eigenen Bedürfnisse“ keinesfalls immer die bessere Verhaltensweise sei. Natürlich seien Bescheidenheit und Rücksichtnahme „hohe Ziele“ und „für das Zusammenleben unverzichtbar“, aber wer sich immer „als letzter in der Schlange“ erlebt und dann meist leer ausgeht, läuft Gefahr, „zum notorischen Miesepeter“ zu werden und würde damit der Gemeinschaft letztendlich gar keinen Gefallen tun.

      Den „Egoisten in uns einmal ‚rauslassen‘ dürften wir gern“, meint die Kinderärztin in ihrer Kolumne, „Hauptsache wir behalten ihn an der Leine“.

      Genau in diesem Spannungsverhältnis zwischen „unseren Egoismus an der Leine halten“ und „den eigenen Hals nicht voll bekommen“, also zwischen einer gesunden Portion Eigennutz und einem „unsolidarischen“ Verhalten der Gemeinschaft gegenüber fanden sich in den 1970er Jahren im Raum Leipzig die „Spielernaturen“, auch „Zocker“ genannt, wieder.

      Alle Welt wusste damals: „Im Sozialismus reich werden, das kannst du vergessen!“ Dennoch mag es heute manch einen verwundern, dass es durchaus möglich war, im Sozialismus reich zu werden. Und dies völlig legal. Hier sei nur an das Spiel „Tele-Lotto“ erinnert, das jeden Sonntag um 19 Uhr Millionen Menschen vor den Bildschirm versammelte, erwartungsvoll der Ziehung der Zahlen folgend, immer hoffend, bei den 5 Richtigen einmal selbst dabei zu sein.

      Nicht weniger waren Pferdewetten beliebt. Besonders reizvoll und wirklich große Gewinne verheißend waren Wetten, die schon vor dem Start, zum Beispiel eines Pferderennens, abgeschlossen wurden. Diese etwas am Rande der Legalität sich bewegende Art von „Glücksspiel“, wie auch rein privat organisierte Würfelspiele,

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