Highcliffe Moon - Seelenflüsterer. Susanne Stelzner

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Highcliffe Moon - Seelenflüsterer - Susanne Stelzner

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kam ich an diesem Tag über die Runden, auch, weil mein Rugby spielender Mitschüler Paul, mit dem Desiree seit etwa drei Monaten liiert war, mir in Mathe und Physik sein breites Kreuz als Deckung anbot und ich glücklicherweise nicht aufgerufen wurde. Dann endlich ertönte das erlösende Läuten der letzten Stunde. Ben verkündete, er wolle sich noch ein Buch aus der Bibliothek besorgen und dann gleich nachkommen, also verließ ich das Gebäude allein.

      Auf dem großen Parkplatz, wo die meisten Fahrzeuge bereits die Ausfahrt verstopften, hielt ich Ausschau nach Charlie. Sie war noch nicht da, also war noch Zeit für ein kleines Sonnenbad. Ich lehnte mich an die von der Nachmittagssonne aufgewärmte Begrenzungssteinmauer, die mir bis zu den Schulterblättern reichte, und versuchte, beschallt von aufbrüllenden Motoren einiger betagter Transportmittel, mit geschlossenen Augen die unerwarteten Strahlen zur Vitamin D-Gewinnung zu nutzen, während ich ohne Ungeduld auf Charlie und Ben wartete.

      Ein kleiner Lufthauch streifte mich am Hals und ich dachte für eine Sekunde, Ben habe sich angeschlichen, um mir in den Nacken zu pusten, wie er es früher manchmal getan hatte. Blitzschnell schlug ich mit dem Handrücken wie nach einer lästigen Fliege nach hinten, traf aber auf keinen Widerstand. Lachend drehte ich mich um, weil ich dachte, er hätte sich reaktionsschnell weggeduckt, doch zu meiner Überraschung war niemand auch nur in der Nähe. Nur zwei Mädchen, die ihre Bücher in gleicher Weise eng vor der Brust trugen, gingen, eifrig in ein Gespräch vertieft, in einiger Entfernung zu einem der letzten Fahrzeuge auf dem Gelände. Ich hätte schwören können, dass jemand direkt hinter mir gestanden hatte. Es war sehr eigenartig. Eine Weile folgte ich irritiert und mit leerem Blick dem davonfahrenden Wagen, dann drehte ich mich zögernd wieder zur Sonne und schloss meine Augen, aber nur halb.

      Ein paar Minuten später hörte ich schnelle Schritte auf mich zukommen. »Ist sie noch nicht da?«, keuchte Ben. »Ich hab mich extra beeilt. Ich dachte, ihr wartet schon sehnsüchtig auf mich.«

      Ich schenkte ihm ein müdes Grinsen.

      Er hievte sich und seinen Rucksack auf die Mauer. »Dann kann ich ja noch schnell mein Sandwich verputzen«, meinte er und öffnete geräuschvoll den Reißverschluss einer Seitentasche. »Charlie hasst es ja, wenn man in ihrem Wagen isst. Ach, wenn man vom Teufel spricht …«

      Charlies Mini kam um die Ecke geheizt und der Sand knirschte unter den Rädern, als sie ihn kurz vor uns zum Stehen brachte. Sie sprang aus dem Wagen und kam unternehmungslustig auf uns zu. »Was für ein toller Tag. Es ist warm geworden, oder?« Sie zog die Jacke aus und baute sich nun im kurzärmeligen T-Shirt vor uns auf, wobei sie mir zur Hälfte die Sonne nahm.

      »Sag mal«, ich blinzelte sie träge mit einem Auge an, »hast du überhaupt keinen Jetlag mehr?«, fragte ich sie, etwas verwundert über ihre Power.

      »Nö, eigentlich nicht.«

      »Na, wenigstens eine, die heute hellwach ist«, meinte Ben mit einem vorwurfsvollen Blick auf mich Schlaffi. »Und, was machen wir nun heute Abend?«, fragte er, sein Eiersandwich mampfend. »Kino oder doch lieber Sport?« Ein Tropfen Mayonnaise drohte sich von seiner Lippe abzuseilen, aber mit chamäleonartiger Zunge angelte er ihn blitzschnell wieder in den Mund.

      »Oje, eigentlich müsste ich ja dringend zum Sport«, meinte Charlie mit einem skeptischen Blick auf ihre Hüften. »Ach, scheiß drauf, lieber Kino«, entschied sie mit heftigem Kopfnicken. Sie biss die Lippen zusammen, streckte die Arme etwas aus und fing an, ganz schnell mit den Füßen abwechselnd auf der Stelle zu treten, wobei ihre Hüftregion ordentlich ins Vibrieren kam. Ich fragte mich erneut, woher sie diese Energie nahm.

      »Jaaa, mach uns die Shakira«, feuerte Ben sie an.

      Charlie hatte ein zwiespältiges Verhältnis zu ihrer Figur. Manchmal kokettierte sie mit ihren weiblichen Rundungen und erheiterte uns mit spontanen Latino-Tanzeinlagen, manchmal haderte sie mit der Kilobande, die sich ungefragt ihrer Hüften bemächtigt hatte, wie sie es nannte. Es war nur der übertriebene Schlankheitswahn, den ihre Mutter ihr eingepflanzt hatte, denn sie sah sehr gut aus. Auch Ben war dieser Meinung, hätte es ihr aber nie gesagt. Stattdessen zog er sie gern mit den vermeintlichen Pfunden auf. Wie die meisten Jungs, die ich kannte, konnte auch er sich dem Reiz, in der Wunde herumzubohren, nicht entziehen.

      »Gehen wir doch vorher noch ins Chillhouse auf einen Burger«, schlug Ben vor und sah Charlie mit hochgezogenen Augenbrauen gespannt an.

      »Genau, ich muss ja meine Fettdepots wieder auffüllen, nicht?«, schnaubte Charlie mit gespielter Entrüstung, da sie offenbar eine Provokation hinter diesem Vorschlag vermutete.

      »Ach, Charlie, du isst doch sowieso wieder nur Kaninchenfutter.« Ben sog die Unterlippe ein und bewegte die Oberlippe wie ein Karnickel über die vorderen Zähne.

      »Ach, wir werden wieder drollig«, meinte sie schmallippig und verschränkte die Arme. »Weißt du eigentlich, wie schwer mir das fällt, euch reinhauen zu sehen, während ich auf einem Salatblatt herumkaue?«

      »Und wenn es dann noch nicht mal was bringt«, legte Ben nach und setzte ein mitleidiges Gesicht auf.

      Charlies Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. »Sehr charmant«, presste sie hervor und ich hatte den Eindruck, dass es ihr alle Beherrschung abrang, ihn nicht von der Mauer zu stoßen. »Im Übrigen solltest du auch mal mehr Vitamine zu dir nehmen, mein Lieber«, schnappte sie stattdessen zurück.

      »Ich weiß schon, was mein Körper braucht, Charlie«, sagte Ben mit einem selbstgefälligen Ton und dehnte seinen Oberkörper, als wollte er sich strecken, wobei die Konturen seiner in letzter Zeit beachtlich gewachsenen Oberkörpermuskeln noch deutlicher unter seinem engen, weißen T-Shirt hervortraten.

      »Ich meinte keine Steroide.« Sie machte eine abwertende Handbewegung, Marke »beeindruckt mich gar nicht«.

      Ben erwiderte mit einer gelangweilten Gähn-Geste.

      Ich hielt mich aus den Kabbeleien der beiden, wie meistens, geflissentlich heraus. Ich fand es viel amüsanter, zuzuhören. Es war kein Geheimnis, dass sie einander eigentlich mochten, aber die Wortgefechte waren ein liebgewonnenes Ritual geworden, wenn sie sich trafen. Mein Verdacht war, dass Ben damit versuchte, die zwei Jahre Altersunterschied zu kompensieren. Charlie schlug bei ihm oft den Ton einer älteren, belehrenden Schwester an und das nahm er schon seit einem guten Jahr nicht mehr kampflos hin. Irgendwann war er auf Kollisionskurs gegangen.

      »Okay, was essen und dann Kino, alles klar!«, sagte ich und ging, um den Schlagabtausch zu beenden, demonstrativ zu Charlies Wagen.

      »Aber schlaf im Kino bloß nicht ein«, verlangte Ben. »Das wäre echt peinlich, wenn du da rumschnarchst.«

      »Also, wenn ich bei einem Horrorfilm einschlafe, dann muss er wirklich scheiße sein«, gab ich schnippisch zurück.

      »Horrorfilm? Na klasse«, wiederholte Charlie mäßig begeistert und ging um ihr Auto herum zur Fahrertür. »Dann lasst uns mal los, Mädels.«

      Ben bedachte diese Betitelung mit einem aufgesetzt verächtlichen Grinsen in ihre Richtung und ließ sich gemächlich von der Mauer rutschen.

      Als er vor seinem Haus ausgestiegen war, meinte Charlie: »Wir holen dich gegen fünf wieder ab. Ach, und zieh doch zur Abwechslung mal ein enges T-Shirt an.« Dann gab sie schnell Gas, damit er nicht kontern konnte, und lachte glucksend. Im Rückspiegel sah ich, wie Ben mit der imaginären Kurbel den Mittelfinger anhob und schmunzelte.

      Charlies Elternhaus war in Somerford, keine fünf Fahrminuten von uns entfernt. Sie hatte aber keine Lust, die Zeit dort zu überbrücken, sondern schmiss sich auf mein

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