Highcliffe Moon - Seelenflüsterer. Susanne Stelzner
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Highcliffe Moon - Seelenflüsterer - Susanne Stelzner страница 19
Kurz vor fünf saßen wir schon wieder in Charlies Auto. Ben stand wie verabredet vor dem Haus. Er trug eine lässige, etwas zu große Jeans und ein schwarzes, bedrucktes T-Shirt mit relativ kurzen Ärmeln, unter denen sich seine Bizepse hervorschoben. In der Hand hielt er eine Jacke. Wortlos stieg er ein. Erst, als er sicher auf seinem Platz saß, meinte er: »Fotos kannst du später machen, Charlie.«
Ich blickte mich zu ihm um und biss auf meine Lippen, um nicht zu lachen.
Charlie grinste zu mir herüber und meinte dann, in den Rückspiegel schauend: »Nur, wenn du dich noch einölst.« Dann trat sie unsanft das Gaspedal durch.
Unser Ziel war die Stadt Bournemouth, eine knappe halbe Autostunde entfernt in westlicher Richtung. Dort pulsierte, zumindest im Sommer, das Leben, wenn junge Sprachstudenten aus aller Welt kamen und die Stadt für ein paar Wochen aus ihrem Winterschlaf erwachte. Die Strände waren dann heillos überfüllt und Tausende blau-weiß und rot-weiß gestreifte Liegestühle entlang der kilometerlangen Küste beherrschten das Bild, bis sie am Abend unter lautem Geklapper von den Beachboys wieder eingesammelt und aufeinandergestapelt wurden. Auf den Rasenflächen der Gardens saßen chillende Studenten in kleinen Grüppchen, es wurde Gitarre gespielt, bis in die lauen Nächte hinein, und manchmal, besonders im August zu den Candlelight Nights, mischten wir uns unter sie. Wenn der Sommer sich dem Ende zuneigte, so wie jetzt, kehrte an den Stränden langsam Ruhe ein und das Wasser gehörte wieder hauptsächlich den Surfern.
In Rekordzeit erreichten wir Boscombe und ich bat Charlie im letzten Moment, den East Overcliff Drive entlangzufahren, weil ich den Ausblick so sehr mochte. Sie bog, ein tuckerndes Fahrzeug schneidend, rasant von der Hauptstraße ab in Richtung Küste. Träumerisch sah ich aus dem Seitenfenster, während Charlie Bens neckende Kommentare zu ihrer Fahrweise schließlich mit dem Angebot beendete, sie könne ihn jederzeit gern an einer Bushaltestelle oder auch mitten auf der Autobahn absetzen.
Verträumt blickte ich runter zum Strand, wo die letzten Strandbesucher in der Abendsonne lange Schatten erzeugten. In der Nähe des weit ins Wasser ragenden Bournemouth Piers badeten sogar noch einige im Meer. Ein Mann spielte mit einem kleinen Jungen an der Wasserkante Fußball.
Charlie lenkte den Wagen auf den Parkplatz am Pavillon und ergatterte den letzten freien Platz. »Na bitte, wer sagt’s denn!«, meinte sie triumphierend.
Nachdem wir unter Bens Protest noch ein Schuhgeschäft aufgesucht und danach unter dem unaufhörlichen Zirpen der Zikaden im Garten des Chillhouse zweimal Burger und einmal Salat verdrückt hatten, wurde es Zeit, sich in die Schlange am Kino einzureihen. Ich schlang schnell meine zweite Cola herunter, während Charlie sich beim Aufstehen die letzten Pommes frites von meinem Teller angelte.
Vor dem Kinosaal Nummer eins trafen wir Nic und Keira und ich machte ihnen mit gespielt ernster Miene klar, dass wir nur auf ihre Empfehlung hier seien und dass ich mich bitter bei ihnen beschweren würde, wenn der Film Schrott sei, worauf Charlie mich kichernd in die Seite knuffte.
Beim Rausgehen standen wir wieder in einer Schlange. Natürlich hatten sich alle gleichzeitig erhoben, um zum Ausgang zu gelangen. Nic und Keira sahen wir nicht mehr. »Die haben sich wohl schnell verdrückt«, sagte ich grinsend, »dabei fand ich den Film gar nicht mal sooo übel.«
»War ganz okay. Er war ja eher mystisch. Ich hasse es, wenn Blut spritzt«, meinte Charlie. Sie zog eine angewiderte Grimasse und deutete mit ihren Händen das spritzende Blut an: »Pschhh, pschhhh.«
»Ihh.« Ich wehrte die imaginäre Fontäne mit erhobenen Händen ab und machte meinerseits eine Geste, als säuberte ich mir die Schultern.
Lachend gingen wir durchs Foyer. Ben traf einen Jungen aus seinem Computerclub. Er hieß Gary Wong. Ich kannte ihn vom Chemiekurs im letzten Jahr. Ein ziemlich intelligenter, netter Typ. Wir nickten uns freundlich zu und Ben sagte: »Geht ruhig schon mal vor, ich komme gleich nach.«
Es war etwas kühler geworden, daher zog ich meine Wolljacke über, als wir auf die Straße traten.
»Oh nein, shit«, rief Charlie, »ich habe meine Jacke liegen lassen. Bin gleich wieder da.« Sie sprintete wieder zurück ins Kino und ließ mich allein auf dem Bürgersteig zurück.
Ich postierte mich direkt vor dem großen mit Preview-Kinoplakaten dekorierten Schaufenster und wippte auf meinen Sneakers auf und ab. Als ein Luftzug mich streifte, zog ich meine Wolljacke enger über der Brust zusammen, um mich noch mehr einzukuscheln. Ich war müde, fror und wollte nur noch ins Bett. Der Strom der hinausgehenden Kinobesucher hatte sich relativ schnell aufgelöst und so stand ich nun allein vor dem erleuchteten Fenster. Herzhaft gähnend sah ich, ohne etwas zu fokussieren, geradeaus in Richtung der hohen Hecke an den Parkanlagen. Auf einmal glaubte ich, eine deutliche Bewegung, die ich nicht einordnen konnte, wahrzunehmen, und stellte meinen Blick scharf. Die Blätter des üppigen Rhododendronbusches am windgeschützten Eingang zu den Gardens bewegten sich kaum. Die Bewegung musste also von etwas anderem herrühren. Leider fiel wenig Licht dorthin. Um alles andere auszublenden und noch besser sehen zu können, verengte ich meine Augen zu kleinen Schlitzen. Alles war reglos. Doch dann hatte ich plötzlich das Gefühl, dass ich direkt aus dem Blattwerk heraus angesehen wurde. Für einen kurzen Moment glaubte ich sogar, ein Paar dunkle Augen zu sehen. Du spinnst jetzt total, dachte ich bei mir. Aber da war es wieder. Erst das Augenpaar, dann, ich blinzelte ungläubig, schien sich aus dem Dunkeln eine Gestalt zu schälen. Sie war nicht klar zu erkennen, eher diffus. Ich bekam eine Gänsehaut. Bildete ich mir das nur ein? Nun glaubte ich, die Umrisse eines Gesichtes zu erkennen, einer Schulter, aber es wurde nicht deutlicher. Die Erscheinung schien nicht weiter aus der Deckung hervortreten zu wollen oder zu können. Ich schluckte. Was passierte hier gerade? Zögernd, die Augen immer noch eng zusammengekniffen, machte ich einen Schritt nach vorn. Dann noch einen. Ich bewegte meinen Kopf hin und her, um einen anderen Blickwinkel zu bekommen, eine Reflektion auszuschließen. Auf einmal löste sich die Gestalt wieder komplett auf.
Als ich meine Augen wieder zur normalen Größe öffnete, fühlte ich mich wie aus einer Trance erwachend und bemerkte, wie ich die Büsche anglotzte. Und es gab definitiv nichts anderes zu sehen als einen Haufen Blätter. Ich war geneigt, zu glauben, dass es eine Art Halluzination war, hervorgerufen durch an Bewusstlosigkeit grenzende Müdigkeit und zu viel Konsum von Horrorfilmen. »Jetzt drehst du völlig ab«, murmelte ich kopfschüttelnd vor mich hin.
»Wer dreht ab?«, fragte Ben, der lautlos von hinten an mich herangetreten war.
»Ich. Ich hab schon Wahnvorstellungen vor lauter Müdigkeit. Ich muss ins Bett.« Zum Glück ging er nicht näher darauf ein. Ich hatte auch nicht die geringste Lust darauf, dass er mich für durchgeknallt hielt.
»Wo ist Charlie?«, fragte er stattdessen, sich nach links und rechts umblickend.
»Sie holt noch ihre Jacke. Ah, da ist sie ja.«
Charlie kam eilenden Schrittes in ihrer kurzen, schwarzen Blazerjacke auf uns zu und verkündete krächzend: »Zum Glück war sie noch da. Ich hatte sie irgendwie in den Spalt zwischen Lehne und Sitz gedrückt.«
»Kein Wunder, bei dem Ausleger«, murmelte Ben grinsend.
»Du fängst dir gleich eine«, zischte sie Ben an und drohte mit ihrer geballten Faust. Er tat, als fürchtete er sich und suchte Schutz hinter meinem Rücken.
»Oh bitte, nicht schon wieder.« Das letzte Wort dehnte ich genervt. Wie ein Zombie stapfte ich in Richtung Auto voraus. Ich war wirklich hundemüde.