Highcliffe Moon - Seelenflüsterer. Susanne Stelzner
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Highcliffe Moon - Seelenflüsterer - Susanne Stelzner страница 5
Geräuschvoll wurde die Badezimmertür aufgestoßen. »Bad ist frei!«, trällerte Charlie. Ganz in ein riesiges, weißes Handtuch gewickelt, ließ sie sich auf den Stuhl vor dem Spiegel plumpsen und fing an ihre Schminkutensilien auszubreiten. Mit ihrem schwarzen Haarreif schob sie streng die Mähne nach hinten und als sich unsere Blicke im Spiegel begegneten, drehte sie sich zu mir um. »Und es macht dir wirklich nichts aus, Val?«, fragte sie mit ihrem Dackelblick, den sie normalerweise gern einsetzte, um mich zu irgendetwas zu überreden.
Tobey brauchte von Boston nur eine gute Flugstunde hierher und wollte gegen zehn Uhr bei uns im Hotel sein.
»Nein wirklich, überhaupt nicht. Mach dir keinen Kopf. Das geht voll in Ordnung. Ich gebe mir heute die volle Dröhnung Kultur. Aber wir sollten es vielleicht nicht unbedingt meiner Mom erzählen, dass ich solo unterwegs war.«
Es war für mich total verständlich und so abgesprochen, dass sie mit Tobey ungestört etwas Zeit verbringen wollte. Aber die korrekte Charlie hatte einen Anflug von schlechtem Gewissen, dass sie mich heute stundenlang allein lassen würde.
»Auf keinen Fall, von mir erfährt sie es ganz sicher nicht. Danke, Val, du bist so ein Schatz.« Sie wandte sich erleichtert wieder ihrem Spiegelbild zu, um gleich darauf unzufrieden zu stöhnen. »Oje, wie sehe ich denn aus? Ist das Licht hier anders als im Bad?« Hektisch betastete sie ihre Unterlider. »Ich hab ja Augenringe. Scheiße.« So dicht es ging, ohne schielen zu müssen, beugte sie sich zum Spiegel vor und betrachtete fluchend die leichten Augenschatten.
»Du spinnst doch, du siehst gut aus. Etwas Concealer unter die Augen und dann läuft’s.«
»Du hast gut reden. Warum sieht man dir eigentlich nichts an?«
»Charlie«, raunte ich gedehnt, »ich hatte ein halbes Bier.«
»Ja, ja«, winkte sie ab. Sie stöhnte eigentlich immer, das war nichts Neues. Wahrscheinlich hätte sie noch mehr Grund zur Klage gehabt, wenn ich ihr gestern Nacht nicht den letzten, fast vollen Drink aus der Hand gefischt hätte, als ihr Kopf nach hinten gekippt und sie vor Müdigkeit mit offenem Mund in den riesigen Loungekissen gelandet war. Als sie sich im nächsten Augenblick auf die Seite gedreht und die Beine in Embryostellung angezogen hatte, war das für mich ein untrügliches Signal gewesen, schnellstens ein Taxi zu organisieren.
Hoffnungsvoll suchte ich in meiner Kleiderauswahl nach den restlichen, möglicherweise brauchbaren Klamotten, als es an der Tür klopfte. Überrascht sahen wir uns an. »Gehst du mal hin?«, bat Charlie mit fragendem Blick, während sie ihre Haare mit ihrer überdimensionalen Bürste bearbeitete.
»Klar.«
Verhalten öffnete ich die Tür.
»Letzte Gelegenheit für eure One-Night-Stands, sich durchs Fenster abzuseilen«, flachste Tobey mit breitem Grinsen.
»Hey, Tobey!« Überschwänglich flog ich ihm in die Arme, denn ich hatte ihn schon sehr lange nicht gesehen. »Du bist schon hier! Das ist ja eine Überraschung!«
»Ja, allerdings. Wolltest du nicht erst um zehn Uhr hier sein?«, raunzte Charlie ihn an, da sie nicht annähernd fertig war.
Innerlich rollte ich mit den Augen. Anstatt sich zu freuen … Genau diese unbedacht ausgestoßenen Zickereien verringerten meiner Meinung nach die Chance auf ein Happy End.
»Ich habe eine Maschine eher genommen. Weil ich solche Sehnsucht hatte … Schatz«, fügte er leicht bissig hinzu, deutlich enttäuscht von Charlies Begrüßung.
Vielleicht hatte sie meinen tadelnden Blick gesehen, jedenfalls entschied sie sich nun doch noch zu einem freudigen Gesichtsausdruck und sprang ihm entgegen. »Wenigstens konnte ich noch meine Zähne putzen«, maulte sie nach einer verspäteten, leidenschaftlichen Umarmung. »Ich wollte noch die Spuren der Nacht verschwinden lassen, bevor du kommst. Ich sehe doch so fertig aus.« Sie eilte wieder zum Spiegel und prüfte ihr Äußeres noch genauer als vorher.
»Sorry, ich dachte, du freust dich«, sagte er trocken.
»Tu ich doch auch«, rief sie quengelnd und versuchte, den Kampf mit der Bürste zu gewinnen.
»Übrigens finde ich überhaupt nicht, dass du fertig aussiehst«, meinte er und zauberte damit ein kurzes, erleichtertes Lächeln auf ihr Gesicht. »Was habt ihr denn gestern Abend getrieben?«
»Och, na ja, wir haben ein bisschen abgefeiert in so einer Bar auf der Siebten, wo sie es mit dem Alkoholausschank nicht so genau nehmen. Eine Empfehlung von Keira.« Sie blinzelte mir zu, da dieser Tipp von meiner Schulfreundin kam. »Ich glaube, ich hatte fünf Bier und zwei Kurze«, gab sie zu Protokoll. Sie übertrieb maßlos, um ihr Aussehen zu rechtfertigen, denn sie konnte in Wahrheit kaum zwei Drinks ab, was Tobey mit Sicherheit bekannt war.
»Respekt … Alle Achtung.« Tobey nickte mit gespielter Anerkennung und pfiff durch die Zähne. »Das qualifiziert dich zweifelsohne für jeden Stammtisch.« Er ließ sich schräg in den einzigen Sessel fallen und ein Bein lässig über der Lehne baumeln. Dann strich er sich mit beiden Händen durch seine flachsblonden kurzen Haare und verschränkte sie hinter dem Kopf. Grinsend beobachtete er Charlie, die sich immer noch ihrem Spiegelbild widmete und in Windeseile mit einem Abdeckstift ihre Augenringe zu kaschieren versuchte.
Während er seiner Freundin zusah, die nun sorgfältig die Tusche auf ihren Wimpern verteilte, musterte ich ihn unauffällig. Er war schon ein cooler Typ, dieser Tobey Marshall, ein Junge, auf den die Mädels flogen, einundzwanzig, gut aussehend, smart und intelligent. Dass er an der Harvard University studierte, flößte vielen zu Hause außerdem Respekt ein. Ich mochte seine unkomplizierte Art und mein Verdacht, dass seine gelegentlichen Abwehräußerungen von Charlie provoziert wurden, bestärkte sich heute wieder.
»Kannst du nicht woanders hingucken?«, zischte sie ihn an.
Er lachte und sie zog finster ihre Brauen zusammen und schnitt eine Grimasse.
»Ich geh dann mal ins Bad«, sagte ich, klaubte meine graue Röhrenjeans und mein weißes Lieblingsshirt mit der aufgesetzten Knopfleiste vom Bett und trippelte aus der Schusslinie.
Das Frühstück nahmen wir noch gemeinsam ein. Ich staunte über die Mengen, die Tobey verschlang. Mit vollem Mund murmelte er etwas von „Mal ne Abwechslung vom Mensafraß“. Zwischen den nacheinander verdrückten Portionen Müsli mit Obst, Rühreier mit Speck und Brötchen mit allem, was da war, erzählte er ein bisschen von Boston, den Leuten, mit denen er dort meistens abhing, und wie es im Studium voranging. Ich bekam nicht alles genau mit, da ich von Charlies Gesichtsausdruck abgelenkt war, den ich zu lesen versuchte. Sie kaute nervös auf der Unterlippe herum, lachte ein paarmal, was mir allerdings etwas künstlich erschien, und die Gesichtszüge entglitten ihr einmal gänzlich, als Tobey von bereits jetzt winkenden verlockenden Jobangeboten aus Boston und New York berichtete. Ihre Mundwinkel zuckten und die Muskeln unter ihren Wangenknochen tanzten, während ihre Zähne mahlten. Das war die höchst angespannte Charlie. Ich kannte dieses Mienenspiel sehr gut. Tobey berichtete kauend weiter und schien es nicht wahrzunehmen; oder er ging darüber hinweg. Dass Jungs dazu neigen, Stimmungen, die zu unangenehmen, für sie lästigen Diskussionen führen könnten, einfach zu ignorieren, hatte ich inzwischen schon mitbekommen.
Charlie entspannte sich erst, als er verkündete, seine Möglichkeiten ganz in Ruhe zu checken und auch etwaige Angebote in England zu prüfen. Mit einer wedelnden Geste seiner Hand, wobei sich eine Tomatenscheibe vom Schinkenbelag des Brötchens löste und dicht neben Charlies Kaffeetasse auf dem Tischtuch aufklatschte, erklärte er uns, dass der