Highcliffe Moon - Seelenflüsterer. Susanne Stelzner
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Nach dem Frühstück wollten sich die beiden wieder nach oben verziehen, so, wie wir es vorher geklärt hatten, und ich erhielt noch eine genaue Wegbeschreibung zum Museum. »Viel Spaß, Val«, wünschten sie mir, als sie eng umschlungen zum Fahrstuhl gingen.
Ich grinste, die Augenbrauen zweimal hintereinander kurz hochziehend. »Euch auch!«
Es nieselte immer noch etwas, aber das störte mich nicht. Ich zog mir die Kapuze meiner dunkelblauen Regenjacke tief ins Gesicht und lief in Richtung U-Bahn. Ohne Probleme fand ich den Weg zum American Museum of Natural History am Central Park, Ecke neunundsiebzigste Straße, und stand nun auf der Treppe vor dem monumentalen, mit imposanten Säulen aus hellgrauem Stein verzierten Eingangsportal. Feierlich schritt ich die Stufen empor und betrat gespannt das Foyer.
Riesige Dinosaurierskelette begrüßten mich auf meiner Entdeckungstour durch die Geschichte der Menschheit. Neugierig und aufmerksam durchwanderte ich Raum für Raum, staunend über die Artenvielfalt der Tiere, die hier zusammengetragen war. Das Museum war der Wahnsinn. Von der Decke eines Saales hing ein gigantischer, lebensgroßer Wal herab. Ich setzte mich darunter auf den Fußboden und stellte mir vor, wie er über mich hinwegschwamm. Vertieft in diese Vorstellung, verlor ich mal wieder die Zeit. Erst ein Blick auf die Uhr trieb mich weiter.
In einem Raum mit ausgestopften Vögeln hatte ich auf einmal das starke Gefühl, beobachtet zu werden. Irritiert sah ich mich um. Die Anzahl der Besucher war recht überschaubar und alle waren nur mit den Exponaten beschäftigt. Und trotzdem. Ich spürte es deutlich und das Gefühl blieb. Eine logische Erklärung war, dass die vielen Augenpaare der Vögel zu eindringlich auf mich wirkten. Ich musste an „Nachts im Museum“ denken und kicherte leise, während ich das Weite suchte.
Nach fast drei Stunden Kultur begann meine Aufnahmefähigkeit rapide abzusacken und so trabte ich in Richtung Rose Center for Earth and Space, um das Versprechen an meinen besten Freund Ben einzulösen, einige Fotos von dem hier ausgestellten Meteoriten Willamette zu machen. Ich verzichtete darauf, Kopfhörer mitzunehmen, und betrat die Ausstellung. Sie war sehr umfangreich und so überflog ich die einzelnen Bereiche nur – Galaxien, Planeten, Sterne –, die Ben sicher stundenlang mit Begeisterung aufgesogen hätte. Willamette war nicht schwer zu finden. Ich stand vor einem fünfzehneinhalb Tonnen schweren, oval geformten und total zerklüfteten Eisenklumpen, dem größten, der jemals auf der Erde gefunden worden war. Auf der Beschreibung las ich weiter, dass er wohl der Eisenkern eines vor Milliarden von Jahren zerborstenen Planeten sei, der vor Tausenden von Jahren mit 40.000 Meilen pro Stunde auf die Erdoberfläche geknallt sei. Muss ein gewaltiges Loch gegeben haben, dachte ich. Schrecklich, wie viel er heutzutage auf der Erde vernichten könnte. Ich fotografierte das Eisengerippe von allen Seiten, die Beschreibung und auch die Halle, in der er ausgestellt war. Meinen Auftrag wollte ich zu Bens vollster Zufriedenheit erledigen.
Plötzlich hatte ich wieder dieses eigenartige Gefühl, jemand würde mich beobachten. Unauffällig taxierte ich die umstehenden Leute, konnte aber auch jetzt nichts Auffälliges entdecken. Meine Wahrnehmungsfähigkeit anzweifeld, wandte ich mich noch einmal dem Eisenklumpen zu und begann, die Fotos auf dem Display zu checken. Dann kam das Gefühl noch intensiver zurück. Ich hielt den Kopf gesenkt, als würde ich weiterhin meine Aufnahmen studieren, doch mein Blick wanderte forschend in der Gegend umher. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass bei der Treppe, halb verborgen von einer Ausstellungstafel mit Sternenkonstellationen, eine Gestalt stand, die unverwandt zu mir herüberblickte. Ich mochte es überhaupt nicht, angegafft zu werden. Augenblicklich begann ich dann nämlich zu überlegen, was an mir eventuell nicht stimmte, und das brachte mich jedes Mal in eine komplette Abwehrhaltung. Es war meine Art, aufkommende Unsicherheit zu kompensieren.
Schnell drehte ich meinen Kopf der Gestalt zu, bereit, ihr meinen finstersten missbilligenden Blick entgegenzuschleudern. Doch als ich in der Drehung meine Brauen zusammenzog, bemerkte ich, dass dort ein umwerfend aussehender Junge stand, der seinen Blick an mir vorbei auf den Meteoriten geheftet hatte, während er sehr konzentriert der erklärenden Stimme aus dem Kopfhörer zu lauschen schien. Überrascht fiel mir die Kinnlade herunter und meine Pulsfrequenz stieg merklich. Er glich nicht annähernd jemandem, den ich kannte. Niemand hätte einem Vergleich mit ihm standhalten können. Es war nicht möglich, ihn zu beschreiben, ohne das Wort wunderschön immer und immer zu wiederholen. Hätte mich vorher jemand nach meiner Traumvorstellung von einem perfekten Jungen gefragt, hätte ich keine Antwort gewusst. Jetzt kannte ich sie. Braune Haare, gewellt, etwas länger, freundliche, dunkle Augen mit kräftigen Brauen darüber, eine ebenmäßige Nase, markantes Kinn, ausdrucksvolle Lippen, groß und schlank. Sein Anblick stach in mein Herz wie ein Dolch. Und doch glaubte ich, dass es nicht ausschließlich seine Schönheit war, was mich an ihm auf unerklärliche Weise fesselte und magisch anzog.
Die Angst, er könnte bemerken, wie ich ihn mit offenem Mund und dämlichem Gesichtsausdruck anstarrte, ließ mich meinen Kopf reflexartig zurückdrehen. Zitternd widmete ich wieder Willamette meine gespielte Aufmerksamkeit. Ich zischte unhörbar durch die Zähne und senkte verunsichert meinen Blick. Wie hatte ich nur glauben können, dass ich im Mittelpunkt seines Interesses stand? Ich versuchte krampfhaft, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen, um möglichst desinteressiert auszusehen, wenn ich mich ein zweites Mal zu ihm umdrehte – denn der Zwang, es zu tun, wurde übermächtig. Bloß nicht lächerlich machen, Val, hämmerte es mir durch den Kopf. Aber es ist doch ganz natürlich, wenn ich mich in einem Raum voller Exponate umsehe, machte ich mir Mut, und wenn er zufällig in meiner Blickrichtung steht … Hitze breitete sich in mir aus und nachdem sie gründlich durch meinen kompletten Körper geschossen war, besetzte sie meine Wangen. Der kurze Augenblick, der Bruchteil einer Sekunde hatte ausgereicht, um sein Gesicht wie gescannt auf meiner Festplatte zu speichern. Und dieses Bild musste ich jetzt unbedingt überprüfen. Mit trockenem Hals drehte ich mich zögernd in seine Richtung und versuchte dabei, völlig entspannt zu wirken, obwohl mein Herz inzwischen wie verrückt pochte. Verstohlen schaute ich über die Schulter.
Er war weg.
Es war eine schmerzliche Enttäuschung. Eine Eisenkralle presste mein Herz zusammen und in meinem Magen rebellierten die Frühstücksflocken.
Wie war er nur so schnell verschwunden? Ich blickte mich in alle Richtungen um. Außer einer Gruppe Schulkinder, die jetzt lärmend in den Saal stürmte und sofort mit einem energischen Zischlaut ihrer Lehrerin zur Ordnung gebracht wurde, waren nur einige unauffällige Besucher auszumachen. Betrübt blies ich die angehaltene Luft langsam aus meinen Lungen heraus und begann, auf meinen Lippen herumzubeißen. Als könnte ich damit auch Ordnung in mein Gefühlschaos bringen, zog ich bedächtig mein T-Shirt glatt. Schade, war das Wort, das mir einfiel, auch wenn es meiner Enttäuschung nicht annähernd gerecht wurde. Na, vielleicht ist es auch gut so, versuchte ich mir einzureden. Es war immerhin möglich, dass mein blödes Verhalten ihn in die Flucht geschlagen hatte. Was für eine blamable Aktion. Das war jetzt auf jeden Fall das Signal zum Aufbruch. Ich atmete noch einmal tief durch und eilte frustriert zum Ausgang.
Da endlich die Sonne herausgekommen war, stopfte ich meine Regenjacke in den Rucksack, warf ihn über meine rechte Schulter und stakste die breite Treppe des imposanten Gebäudes hinunter. Ich machte einen kerzengeraden Rücken, nahm die Schultern nach hinten, sog die warme Spätsommerluft ein und ermahnte mich förmlich zu guter Laune. Was für ein Tag, was für eine Stadt, was für ein Glück!
Sehr langsam, fast zögernd schlenderte ich in der wärmenden Sonne in Richtung der nächsten U-Bahn-Station und betrachtete aufmerksam meine Umgebung. Doch mir wurde bewusst, dass mein Fokus auf den Gesichtern der Menschen lag, nicht auf den facettenreichen Gebäuden, die ich passierte. Eine Konzentration darauf war mir nicht möglich. Dieses unfassbar schöne Gesicht hatte sich ungefragt in meine Netzhaut gebrannt und schummelte sich immer wieder in meine Gedanken. Aber die vage Hoffnung, ihn noch einmal wiederzusehen, schwand, je weiter ich mich vom Museum entfernte. Und so schloss ich das Kapitel und beschleunigte meine Schritte.
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