Highcliffe Moon - Seelenflüsterer. Susanne Stelzner
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»Doch, es ist wahr.«
»Wow«, war ihr einsilbiger Kommentar.
»Ja, wow.« Ich atmete erneut tief ein und hörbar aus und wiederholte das Ganze noch einmal. Dabei drückte ich mit meinen ausgebreiteten Handflächen nach unten, als könnte ich damit die Unruhe zurückdrängen. Irgendwo hatte ich aufgeschnappt, dass das den Puls normalisieren konnte.
Charlie hakte sich bei mir ein und legte den Kopf an meine Schulter, während sie liebevoll über meinen Arm strich. »Was kann ich tun, damit du nicht mehr so traurig bist?«, säuselte sie und schlug ihre Augen groß auf.
Wortlos und leer sah ich sie an. Sie konnte nicht ermessen, wie weltbewegend diese Begegnung für mich war. Wie sollte sie auch? Ich verstand es selbst kaum. Wie kann man so etwas für jemanden fühlen, den man überhaupt nicht kennt?
Charlie presste die Lippen zusammen. Dann stieß sie einen Seufzer aus. »Weißt du, manchmal verschlimmert eine verpasste Gelegenheit die Gefühle sehr irrational. Das ist mir auch schon mit einem Typen passiert. Später habe ich ihn dann doch noch kennengelernt und er hatte eine so nervige Stimme, dass sie mich total abgetörnt hat. Das ging gar nicht. Da nutzte dann auch das Aussehen nichts mehr.«
Ihr Versuch, mich zu beschwichtigen, ging ins Leere. Ich sah sie zweifelnd an. Das konnte ich mir bei ihm beim besten Willen nicht vorstellen.
Sie sah mich beschwörend an. »Man neigt dazu, Jungs zu glorifizieren, die man nur vom Sehen kennt. Ich will ihn dir auf keinen Fall schlechtreden, aber du musst die Möglichkeit wenigstens in Betracht ziehen.«
»Ich weiß nicht …«
»Hat er gelacht?«
»Nein.«
»Vielleicht hat er ganz schlechte Zähne.«
»Nun reicht’s, Charlie.« Ich entwand mich verärgert ihrer Umklammerung. Das war ein Angriff auf meine wunderschöne Statue auf dem hohen Podest.
»Entschuldige. War nicht so gemeint«, beeilte sie sich zu sagen. Dabei zog sie einen Mundwinkel stark nach unten. »Wirklich nicht.«
Ich ahnte, dass Charlie alles nur für eine heftige Schwärmerei hielt, die sich bald wieder legen würde. Tief in meinem Inneren fühlte ich aber, dass dies hier nicht so sein würde. Wieder erfasste eine Welle des Schmerzes meinen Brustkorb. Ich wollte kein Spielverderber sein, aber auf einmal machte mir das alles hier keinen Spaß mehr. Starr wie eine Marionette sah ich geradeaus ins Leere.
»Es bringt ja sowieso nichts. Die Sache ist gegessen.« Resignierend atmete ich einmal kurz durch und zwang mich zu einem gequälten Lächeln. »Du wolltest doch noch shoppen. Vielleicht ist das jetzt genau das Richtige.« Wenn sie mit den Klamotten beschäftigt war, würde ich etwas Zeit haben, wieder in die Spur zu kommen. Ich litt sowieso lieber im Stillen.
»Möchtest du wirklich?«, fragte sie skeptisch.
»Ja, wirklich«, bestätigte ich müde.
»Na gut.« Noch nicht recht überzeugt, sah sie mich von der Seite an und ich versuchte, meine Gesichtsmuskeln zu lockern.
Je weiter wir die Station hinter uns ließen, desto mehr kam mir die Erkenntnis, dass ich nur eine Chance hatte, das Ganze seelisch zu überleben, nämlich indem ich dieses unerfüllte, schmerzliche Gefühl nach tief unten in mein Gedankenarchiv verbannte. Weiter darüber nachzudenken, hätte mich an den Rand des Wahnsinns gebracht.
Charlie fand sehr schnell ein Objekt ihrer Begierde. Es war ein edles, kleines Designerkaufhaus und weckte augenblicklich ihr Jagdfieber. Sie hüpfte begeistert durch die Gänge und musterte verzückt die neuen Kollektionen, während ich verdrossen hinterherschlurfte. Als sie begann, die ersten Teile über ihren Arm zu laden, wusste ich, dass es ratsam war, mir eine bequeme Sitzgelegenheit zu suchen. Mir selbst war nicht danach, etwas anzuprobieren. Es war sowieso nicht meine Preisklasse. Während sie mit einer Auswahl von skurrilen Teilen in der Umkleidekabine verschwand, sank ich in einen kantigen, dunkelgrauen Ledersessel neben einer der schwarz gestrichenen, antiken Eisensäulen, die eine Deckenkonstruktion aus naturbraunen Holzbalken stützten. Vor mich hinträumend, verlor sich mein Blick in den an den Dachbalken baumelnden ungewöhnlichen Lampen aus verwobenen, breiten Plastikbändern. Wer bist du, wo bist du?
Charlie riss mich alle paar Minuten aus den Gedanken, wenn sie, meine Meinung einfordernd, wie ein Model über die Hüften streichend, an mir vorbeistakste. Ich bestätigte, dass viele der vorgeführten Minikleider aus kreischend bunten Stoffen mit kunstvoll eingefügten Blicköffnungen sehr gut an ihr aussahen, gab aber zu bedenken, dass sie durchaus in der Lage waren, in unserer eher konservativen Region einen Auffahrunfall zu verursachen. Bei einigen mit abstrakten Mustern und Formen bedruckten, schwindelerregenden Teilen zeigte ich jedoch ganz offen meine Ablehnung.
Denkst du auch gerade an mich?
»Hey!« Das Fashion Victim war in ein weiteres ein Verkehrschaos verursachendes Kleid geschlüpft und holte mich mit energischem Weckruf abrupt in die Realität zurück. »Was sagst du zu dem hier?«
»Gleicher Kommentar«, sagte ich schulterzuckend. »Es steht dir super, gar keine Frage. Vielleicht etwas schrill, aber für London passt es vielleicht.« Es war mir so egal in diesem Moment.
»Ja, ist wahrscheinlich nur was für London«, murmelte sie.
Die nächsten Teile waren noch furchtbarer. Ich sagte es ihr nun doch nachdrücklich, weil ich es als meine Pflicht ansah, sie vor üblen Geschmacksverirrungen zu retten, denn der Hang zu schrägen Klamotten war das einzige Erbgut ihrer Mutter, das leider hin und wieder mal gnadenlos durchschlug. Trotzdem entstand vor der Kabine ein kleiner Stapel. Wie meistens, würde sie einen Teil der Anschaffungen später bereuen.
Ich bediente mich am Wasserspender neben mir und blätterte in einem Interieur-Magazin, ohne etwas davon aufzunehmen. Ohne zu zögern, hätte ich mit der nächsten Bahn hinterherfahren sollen. Vielleicht ist er ausgestiegen und hat gewartet, sagte ich mir und fühlte mich dabei noch deprimierter. Ich würde es nie erfahren. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb musste es mir gelingen, sein Bild abzuschütteln.
»Los, Val, du musst unbedingt auch noch etwas finden«, versuchte Charlie mich zu animieren, was eher den Verdacht in mir schürte, sie wollte mich von den Kabinen weglocken, um einige der grenzwertigen Teile an mir vorbei zur Kasse zu schmuggeln.
Ich wälzte mich aus dem tiefen Sitz. »Ich kann ja noch mal gucken«, meinte ich und warf den Pappbecher in einen schwarzlackierten keilförmigen Abfalleimer. Aus dem Augenwinkel sah ich Charlie mit einem Arm voller Klamotten zur Kasse hechten.
Zwei Tüten schwenkend, kam sie mir kurz darauf entgegen. »Jetzt brauche ich einen Kaffee. Aber Lunch fällt aus. Die Kleider saßen ganz schön eng.«
»Gute Idee«, murmelte ich.
»Was? Dass ich auf den Lunch verzichte?« Ihre Augen funkelten lauernd.
»Nein. Ich meine den Kaffee.«
Das von Charlie ausgewählte Café erinnerte mich ein wenig an die Brasserie, die ich immer mit Dad besucht hatte, wenn ich bei ihm in Paris war. An den mit Stuck verzierten Decken hingen große, antike Lampen aus marmoriertem Glas, die ein warmes Licht auf die mit dunkelrotem Lederimitat bezogenen Sitzbänke abstrahlten. Die Rückenlehnen aller Sitzelemente waren zu den Durchgängen hin mit glänzenden Messingstangen