Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte. Tanja Langer

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Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte - Tanja Langer

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      „Können wir raus?“, maulten David und Lucie, die beide an Evas Beinen hingen.

      Eva zerrte Schubladen und die Türen des Einbauschrankes auf, knallte sie wieder zu. „Abgezählte Bestecke, dieser Geizhals! Ohne Terrasse, da bin ich eingesperrt, da werden wir hier sitzen und nackige dünne Wände anglotzen, als wären wir in einer pseudowestrenovierten Hütte im tiefsten Adlergebirge!“

      „Die Hausbesitzerin spricht“, entfuhr es Ludwig.

      „Ludwig!“, rief Sibylle. „Jetzt hör aber auf!“

      Ludwig zog den Reißverschluss seiner Lederjacke langsam zu, trat von Eva gefolgt hinaus, betrachtete gründlich den gestückelten Anbau, die Baracken neben dem Haus, die sich in den pollenwirbelnden Wind duckten, deren Ärmlichkeit kein freundlicher Anstrich zu übertünchen versuchte. Kein bisschen Illusion, und ringsum nur halb geeggte graue Felder mit aufgeworfenen Erdkrusten und drei mickrigen Olivenbäumen, die auf Sonne warteten.

      Signor Giovanni kam mit Handtüchern die Treppe heraufgewieselt. Siegessicher lachte er: „Sehen Sie, das Wetter ist nichts für die Terrasse, Signore! Und das soll so bleiben!“

      Das war nun das endgültige Aus. Denn ausgelacht zu werden, das hasste auch Ludwig. „Wir ziehen um“, sagte er. „Wir ziehen um, auch wenn es finanziell ein Verlust ist. Wir gehen das Risiko ein.“

      Und so kurvten sie, Abenteuer und Risiko genießend, durchs Umland von Sciacca. Eva fragte Bauern nach privaten Unterkünften, „Agriturismo“, nicht zu teuer. Die Bauern hielten ihr duftende, frisch geerntete Bohnen unter die Nase und schickten sie in die Orangenund Zitronenhaine, zu Häusern zwischen Akaziensträuchern, vor denen Hunde kläfften, aber keiner rauskam, nur einmal eine Frau, der es leid tat, alles besetzt, und dann, nach siebzehn Feldern und Hainen und Häusern, die hier unten am Meer viel freundlicher wirkten als oben auf dem unwirtlichen Berg, schrien die Kinder, wir wollen raus, wir müssen Pipi, wir haben keine Lust mehr, im Auto zu sitzen.

      Und wie es der Zufall wollte, oder ein gütiger Stern, war da ein schönes altes Haus, ohne Schild, und die Kinder sprangen heraus und liefen herum, und die vier Erwachsenen standen und guckten schon müde vor Ernüchterung. Das Haus war verschlossen, die Läden, die Türen, doch da kam ein kleiner blauer Fiat, eine ältere Frau stieg aus, verwunderte sich lachend über die vielen Gäste und schloss ihr geschwungenes Eisentor auf. Sibylle schubste Eva, Eva nahm sich ein Herz, erzählte von Irrfahrt und Wünschen, zeigte auf die Kinder, die durch die Büsche hopsten, und sah die Signora bittend an. Die lachte noch einmal, winkte sie herein, und alle stiegen die Treppe zum oberen Teil des Hauses hinauf, in dem sich, wie hätte es anders sein können, zwei Wohnungen für Gäste befanden. Die Signora sagte, wir vermieten nur an Freunde, und nannte einen freundschaftlichen Preis, und Eva jubilierte. Eine riesige Terrasse, schrie sie, und seht mal, wie charmant, lauter alte Möbel aus Holz, und Bilder an der Wand! Und sie lobte alles und herzte die Signora. Zwei Stunden bat die sich aus, dann sei alles bereit.

      Eva und Stefan hatten Ludwig und Sibylle in den Ferien kennengelernt, am Strand von Ibiza, kurz nachdem sie in das Haus mit Garten in Kleinmachnow gezogen waren, am Rande von Berlin. Die Kinder hatten zusammen gespielt, und die Erwachsenen hatten sich unterhalten. Ludwig war leitender Onkologe in Berlin-Mitte, und Sibylle hatte eine Praxis für Allgemeinmedizin in Neukölln. Sie fanden es „spannend“, dass Stefan als Klarinettist in der Komischen Oper („auch im ehemaligen Ostteil der Stadt“) arbeitete und Eva mit Kunst und Antiquitäten zu tun hatte. Wieder in Berlin, hatte man sich getroffen; es war so praktisch mit den Kindern. Sibylle und Ludwig, die selbst in Schöneberg im vierten Stock wohnten, kamen fast jeden zweiten Sonntag zu Eva und Stefan „aufs Land“.

      Und jetzt, es war ihr zweiter Ferientag, saßen sie in Agrigent auf einer Terrasse mit großartigem Blick und warteten auf ihr Essen.

      „Nachher gucken wir uns die Tempel an“, sagte Ludwig, noch immer leicht angespannt, weil er klein beigegeben hatte. Er zog seinen Kulturreiseführer aus der Lederjacke.

      „Ja, Ludwig, machen wir.“ Eva lächelte ihr strahlendstes Lächeln, Ludwigs Zugeständnis quittierend. Sie nahm dafür sogar ihre Sonnenbrille ab.

      „Ich möchte aber auch gern Geschäfte ansehen“, sagte Sibylle, „nicht gleich so viel Kultur!“

      Sibylle hatte sich fest vorgenommen, ihre Garderobe um ein paar schicke Kleider zu erweitern und nicht zu viel zu essen, damit sie auch in die neuen Kleider hineinpassen würde. Heute allerdings wollte sie ihr erstes Essen im Freien unbeschwert genießen. Es war kühler auf Sizilien, als sie gedacht hatten. Sibylle trug ein Jackett zu ihren Jeans und hatte einen rosa Seidenschal um den Hals gewickelt. Sie sah zu Eva hinüber. Eva trug schwarze Wollstrumpfhosen und einen bunten Rock, der ihre Knie umspielte. Darüber hatte sie einen noch bunteren Strickpullover an, der unter der blauen Windjacke hervorsah. Sie sah aus wie ein Schulmädchen. Irgend etwas an ihr war stets verrutscht, falsch geknöpft oder hatte ein Loch.

      Den Männern gefiel das. Den Männern gefiel Eva überhaupt. Das Quecksilbrige, die runden Arme. Sibylle bewunderte und beneidete Eva. Eva aß sorglos, Eva ging unbekümmert auf Menschen zu, Eva änderte alles, was ihr nicht passte. Und heute wirkte sie besonders vergnügt. Kein Wunder. Sie hatte gewonnen.

      „Kriegen wir nach dem Essen ein Eis, Mama?“, fragte Fabian und schmiegte sich an Sibylle. Fabian war ein zappeliger, neugieriger Junge und hatte ständig Appetit auf Süßes.

      „Jaja“, sagte Sibylle und sah sich nach dem Lärm um, der von der Straße vor dem Restaurant kam. Bauarbeiter fuhren mit einem Lader voller Sand vor. Es wirkt so, als wären Eva und Ludwig das Paar, dachte sie. Die beiden diskutierten schon wieder miteinander über die Reihenfolge der Besichtigungen. Sibylle ärgerte sich kurz, beobachtete dann aber die kräftigen, fröhlich sich zurufenden Männer.

      Eva verriet nicht, wie sehr Ludwigs „Hausbesitzerin“ sie gefuchst hatte. Jedes Mal, wenn sie auf das Haus hin angesprochen wurde, liefen merkwürdige Verteidigungsreden durch ihren Kopf.

      Seit fünf Jahren lebte sie inzwischen mit Stefan und den Kindern in dem Haus in Kleinmachnow am südlichen Rand von Berlin, einer freundlichen, grünen Siedlung, in der es überwiegend Einfamilienhäuser mit Gärten gab, aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren, und, seit der Wende, auch einige Blocks mit Reihenhäusern. Der Ort war ein kinderreiches Paradies am Rande der großen Stadt; viele arbeiteten in Berlin, ob sie nun schon immer dort wohnten oder durch die zahlreichen Besitzveränderungen hinzugezogen waren. Evas Vater hatte Eva das Haus überschrieben. Es war das Haus ihrer Großeltern gewesen und durch Rückübereignung wieder in den Besitz der Familie gekommen. Evas Schwester Anka, die nur fünfzehn Monate jünger war und eine Vagabundin, hatte auf ihren Anteil am Haus verzichtet.

      Sie hatte sich lediglich eine Summe vom Vater als Unterstützung zusagen lassen, „für den Fall, dass ich es brauche“. Sie schaffte es gut ohne Hilfe, fand immer neue Jobs und schien überhaupt wenig Geld zu brauchen, um glücklich zu sein. Wegen der Kinder war es naheliegend, dass Eva und Stefan in das Haus zogen. Eva hatte sich zunächst gesträubt; sie fühlte sich unangenehm festgelegt, nun auf immer in einem Haus zu wohnen, noch dazu außerhalb der Stadt. Du musst ja nicht, hatte ihr Vater gesagt, ich meine, für immer. Wenn du es nicht aushältst, kannst du es sagen. Dann vermieten wir es eben.

      Darauf konnte Eva sich einlassen. Heizöl, Wasser, Strom und Instandsetzungen fraßen eine Menge, und Evas und Stefans Einkommen war nicht riesig, auch wenn Stefan fest angestellt war. Solange die Kinder klein waren, konnte Eva nur unregelmäßig für das Auktionshaus Spoerli arbeiten. Noch dazu sparte Eva, die es immer in die Ferne zog, an allen Ecken und Enden, um einmal im Jahr verreisen zu können.

      Die Bedienung im geblümten Kleid brachte Pasta und Limonade

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