Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte. Tanja Langer
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„Warum durfte das nicht sein?“, fragte Fabian.
„Weil ihre Oma Hemden wusch“, erklärte Sibylle.
„Wieso hat sie Hemden gewaschen?“
„Um Geld dafür zu kriegen.“
„Von wem?“, fragte David, der sich auch an der Unterhaltung beteiligen wollte.
„Von den Leuten, für die sie die Hemden gewaschen hat“, antwortete Sina ihrem kleinen Bruder. Sie tat genervt, doch sie liebte solche Gespräche.
„Warum haben die Leute ihre Hemden nicht selber gewaschen?“
„Das weißt du doch“, sagte Eva ungehalten, und Sibylle sagte: „Die Leute hatten keine Waschmaschine, nun lass sie doch mal zu Ende erzählen.“
„Und die sollten nach Waschpulver und Stärke duften und nicht nach Hühnerkacke.“
„Wer?“
„Die Hemden!“, schrien Sibylle und Eva und fingen an zu kichern.
Ludwig schüttelte den Kopf. Er konnte sich nicht mehr wehren, er fing an zu lachen. „Du bist ein Huhn, Eva, hör auf mit dem Quatsch!“, rief er und rieb sich vor Vergnügen den Bart.
„Nicht aufhören!“, brüllten die Kinder.
Stefan schmunzelte und sagte gar nichts. Er genoss das Essen, die Sonne und den Wein.
„Was haben sie also gemacht?“, fragte Sibylle, als sie vom Kichern wieder Luft bekam. Sie stopfte eingelegte Paprikascheiben in den Mund und trank einen Schluck Wein. Sie wurde rot, weil einer der Männer, die neben der Terrasse Sand schippten, ihr schöne Augen machte. Tatsächlich! Sibylle vergewisserte sich, ja, er zwinkerte ihr zu, nicht Eva, obwohl doch Eva, wie Sibylle dachte, viel hübscher war als sie, mit ihren vielen dunklen Locken, aber nein! Er meinte sie! Ihr Haar war hell! Das war ein echter Vorteil hier im Süden. Hätte sie es nicht so kurz geschnitten! Fiele es ihr wieder weich ins Gesicht! Sie würde es wieder wachsen lassen, ja, das war eine schöne Idee, und plötzlich freute sie sich, weil sie merkte, dass sie endlich an etwas anderes als an die Praxis dachte.
„Sie haben sie geschlachtet“, sagte Ludwig trocken. Seine Augen leuchteten jetzt hellblau, er hatte viele Fältchen, und seine Augenbrauen tanzten. Die linke Augenbraue war geteilt; als Kind war er vom Fahrrad auf einen Stein gestürzt und hatte genäht werden müssen, was er damals mit Interesse verfolgt hatte, um anschließend selbige Operation an der Puppe seiner Schwester Hilde auszuprobieren.
„Nein, nein, nein“, rief Eva, „das hätten sie niemals getan!“
Sibylle dachte an die Zeit, als sie zum letzten Mal in Italien gewesen war, mit ihrem Rucksack und einem Zelt, wo waren sie nur hin, diese Tage, so frei und mutig war sie gewesen, und die Männer hatten sie angesehen, allerdings ein bisschen zu gierig für ihren Geschmack und mit einem Hauch Verachtung, so hatten sie ihr nachgepfiffen, aber sie hatte sich zur Wehr gesetzt, strenger Blick, mach die Fliege, aber presto, zwanzig Jahre war das her, zwanzig …
„Sie haben den Hühnern auf dem Dach des Hauses ein Gehege gebaut“, sagte Eva und trank ihren Wein aus.
… jetzt war es eindeutig anders, ihre dunklen Augen sahen sie aufmerksam an, voller Respekt, denn …
„Das ist doch nicht dein Ernst! Auf dem Dach?“ (Ludwig)
… sie hatte zwei Kinder an der Hand …
„Sie haben ihnen ein hübsches, ordentliches Gehege gebaut oben auf dem Dach des Hauses!“ Eva lachte.
… belästigt worden war sie nie, Sibylle, und der einzige Mann, der ihr nahe kam, auf dem Campeggio in Firenze, als es in Strömen regnete und sie mit dem abgebauten Zelt und dem Rucksack auf der überdachten Terrasse saß und heißen Kaffee schlürfte und auf die Stadt sah und sich fragte, wieso sie so ein Pech haben musste. Da war er aufgetaucht, braungebrannt mit hinreißenden Augen und Muskeln, und wie der die weißen Zähne beim Lächeln …
„Und alle Lüneburger Passanten haben hinaufgezeigt und gesagt: Das sind die Hühner von Frau Greta.“
… aus Südafrika war der gekommen, aber ein Weißer, der ihr leise auf Afrikaans ins Ohr sang und leider leider …
„Einmal ist ein Huhn aus dem Gehege geklettert, wer weiß, wie“, sagte Eva, „und ist vom Dach gefallen.“
… gleich am nächsten Abend eine andere ansah …
„Da hat Greta –“
… und nicht nur das, ins Zelt ist er verschwunden mit der anderen, wo er doch die Nacht zuvor mit ihr, und noch nicht mal besonders gelungen, zu schnell für sie, die sich zum ersten Mal im Sturm so hatte einnehmen lassen, aber mit ihr ist er dann durch Florenz gelaufen und nach Elba gefahren …
„also meine Oma, beschlossen, die Hühner doch lieber bei einem Bauern unterzubringen.“
… und sein Freund war mitgekommen, der eigentlich viel netter war und sie tröstete, hätte sie sich mal an den gehalten, sie war so dumm gewesen und einfach diesem Lächeln erlegen … Jetzt aber genug, sie trank noch einen Schluck, die Sibylle, das war nicht wieder vorgekommen, so eine Nummer, noch einen Schluck, das war so lange her, aber irgendwie schön war es doch und sie würde alles wieder genauso machen und –
Erleichtert von dieser Einsicht lächelte sie dem Bauarbeiter zu, der oben auf dem Transporter stand.
„In allen Filmen“, sagte Ludwig und bestellte Kaffee, „in allen Filmen, die in der Zeit nach dem Krieg spielen, verdienen die Frauen mit Hemdenwaschen Geld.“
„In welchem denn zum Beispiel?“, fragte Sibylle, nun wieder im Hier und Jetzt.
Die Kinder hatten nun genug und sprangen vom Tisch auf. Sina und Fabian führten die Bande an, „dürfen wir?“, riefen sie kurz über die Schulter, und schon waren sie los, auf Erkundung. Sina nahm ihre kleine Schwester Lucie an die Hand, David und Jennifer trotteten hinterher.
„Naja“, sagte Ludwig.
„Es tut auch nichts zur Sache“, Eva jetzt wieder, etwas spitz, „er will nur sagen, dass das Schicksal meiner Großmutter nicht so außergewöhnlich ist, wie ich mir das einbilde.“
„Nein, nein“, sagte Ludwig.
„Müsst ihr denn immer vom Krieg reden?“, meldete sich Stefan plötzlich. Er hasste solche Gespräche. „Lasst uns mal lieber gucken, welche Tempel –“
Eva zog nur einen Mundwinkel hoch und sagte: „Erzähl uns doch mal von deiner Großmutter, Ludwig!“
„Miststück!“, sagte Ludwig und lachte.
„Jetzt hört doch endlich auf!“, rief Sibylle eifersüchtig, und Stefan wollte los, die Rechnung bitte, heute zahlen wir, ihr das nächste Mal, und die Kinder gerufen, und noch mal schnell zu den bagnos, Händchen waschen und ihr wisst schon, und nein, Eis gibt’s später, wie sind wir eigentlich auf das Thema gekommen, jetzt aber erst mal die Treppen hinunter, mitten hinein in die fremde Stadt mit ihren