Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte. Tanja Langer

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Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte - Tanja Langer

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zusammen oder fünfzehn, ist doch ’ne Menge, was uns verbindet, ist nicht schön, all die Trennungen, von denen man so hört, da sind wir anders, und das finden wir gut. Gibt doch auch Freundschaft und ’ne gewisse Zärtlichkeit und manchmal auch mehr, wir haben zweimal die Woche Sex, nur was für einen, und wir zweimal in drei Monaten, man sagt, das sind in jeder Ehe solche Phasen, leichte Beruhigung, leichte Flaute, o.k., das gibt sich wieder, dafür sind die Ferien ja auch da, was dagegen zu unternehmen. Und so gucken die beiden Paare, wie das bei den andern wohl so ist, und lauschen, ohne es zu wollen, was da passiert in der Nacht, und würden gern mal fragen, wie es so läuft, naja, im Bett, und überhaupt. Und sie trösten sich mit Blicken, das ist halt das Leben, was willst du mehr?

      Sie machen Ausflüge und gehen auf den Markt, wo es frischen Fisch gibt, von den Fischern, Eimer voll, Sardinen, Wolfsbarsch, Makrelen, silbern schimmernd mit glasigen Augen, und russischen Salat und Salami und Käse, alles auf Sizilien gewachsen, geerntet und gerollt. Sie gehen ins schwefelhaltige Schwimmbad, und die Eheringe von allen werden blass vom bösen stinkenden Schwefel und bekommen erst später ihre Farbe zurück im stürmischen Wind am Meer, da sammeln sie Steine am Strand von Capo Bianco. Und überall wartet das Osterfest, überall Palmwedel und die Fenster geputzt und Schaufenster geschmückt, und – Mama guck doch mal so ein großes Ei! Fast so groß wie ich, schreit David – in glänzendes buntes Papier gewickelt, weil doch das Küken aus dem Ei schlüpft wie der Herr Jesus einst aus dem Grab, und nun so ein Riesenei, als hätten die Sizilianer Sorge, dass es dem Herrn Jesus in einem kleinen zu eng werden könnte, er soll es doch recht bequem haben, in diesem riesengroßen Ei, mit Schokolade und Pralinen drin, aber leider, leider, nein, so eins kaufen wir lieber nicht.

      Und Eva, die sich auskennt mit so was, wie sollte es auch anders sein, mit den vielen Großmüttern und Großvätern, Eva sagt, in Böhmen, da wirft man die Karfreitagseier übers Haus, dann ist es geschützt vor Donner, Sturm und Blitz, und die Eier vom Gründonnerstag, die faulen nicht, die helfen beim Zahnen und bringen Glück, und die Kinderchen, denen man sie schenkt, die lernen plappern wie die Hühner gackern, und alle gackern, weil sie spinnt, die Eva, und sie jonglieren mit den Eiern von den Hühnern der Signora und köpfen sie und bewundern den köstlichen tiefgelben Dotter. Und abends dürfen die Kinder die Hühner in den Stall treiben, und die Großen fragen sich lachend, wann er es wohl macht, der Hahn, mit den Hühnern. Zum Eierlegen begleitet er die Damen einzeln, aufgeregt und stolz, in den Pappkarton und einen alten Autoreifen.

      Da ist es! Am Morgen ist David hinunter, im Schlafanzug und ohne Socken in den Schuhen, obwohl es kalt ist und die Mama schimpft, wenn sie ihn so sieht, aber er will als Erster runter, und nun hockt er da im Stroh, das klebt, von braunen Sachen, die die Hühner machen, und da ist es, groß und von schönster Farbe, nicht so weiß oder braun wie zu Hause in den Pappschachteln, nein, zart und schimmernd liegt es da, mit einem Federchen dran und bisschen was Braunem und einem Hälmchen Stroh. Und David mit seinen dunklen Locken überm roten Gesicht und den wachen grünen Augen wagt es kaum, das Händchen auszustrecken, es könnt ja vielleicht doch ein Küken drinne sein, da kamen sie ja her, die Küken, aus der zerbrechenden Schale des Eis. Manchmal auch Dinosaurier und Schlangen, das wusste er, er war ja schon fünfeinhalb! Dieses Ei roch ein bisschen komisch, es kam aus dem Bauch der Henne ob es wohl aus dem Loch kam aus dem die Kacke kam oder einem anderen er war sich nicht so sicher ein bisschen eklig war das schon aber er kam auch aus Mamas Bauch und fand das nicht so eklig fand seine Mama schön und warm. Dieses Ei jedenfalls würden sie nicht zu essen kriegen! Und David nimmt das Ei mit allergrößter Vorsicht und trägt es klammheimlich und beflissen zu seinem Bett, zu seinem Kissen, und legt es darunter. Dort will er es brüten.

      · 4 ·

      Am Karfreitag fegten die Wolken über den Himmel und der Wind pfiff, als brächte er Schnee. Sie fuhren nach Caltabelotta auf den Berg hinauf, Kaltebulette brüllten die Kinder und schon wieder Autofahren, können wir nicht hier unten bleiben, aber als sie die knusprigen Croissants in die dicke süße Schokolade im Café Europeo tunkten, waren auch sie zufrieden. Vier Löffel, und sie waren satt. Die Männer aus dem Ort, den Festtagsvorbereitungen entflohen, tranken an der Theke Espresso und verwunderten sich, was nur los war mit diesem Wetter, in diesem vermaledeiten Jahr. Draußen stand ihnen der Atem vor dem Mund, und sie wickelten sich ihre neuen Schals um die Ohren wie die alten schwarzgekleideten Frauen im Dorf. Palmwedel steckten den Kreuzzug ab, die steinigen Wege hinauf zur Kirche, von der herab man weit über die Landschaft und das Meer sah. Ich wär so gern nach Caltanisetta, seufzte Sibylle, ich auch, rief Eva, zur Prozession mit Blasmusik und großen Figuren aus Pappmaché. Aber es ist zu weit, sagte Ludwig, und die Kinder würden schlappmachen, fügte Stefan hinzu, und so kehrten sie nach ihrem Frühstück nach Sciacca zurück.

      In Sciacca raste der Windgott wütend durch die Straßen, jagte zornig und eifersüchtig auf den jungen schönen Gottessohn seine Wolken über den finster grauen Himmel, fauchend und brüllend. Die alten Frauen trugen Wollmäntel und die jungen Jeansmäntel mit künstlichem Pelzbesatz. Die alten Herren steckten ihre Schals in die Kragen, elegant wie Marcello Mastroiani im Kino. Sibylle schämte sich für ihre rote Jacke; auch Eva leuchtete weithin in Orange; die Kinder wirkten schmuddelig rosa und grün. Man sieht gleich, dass wir Fremde sind, sagte sie zu Eva, das sieht man doch sowieso, gab Ludwig zurück. Er sah die gut gekleideten Menschen, den bescheidenen Reichtum des Städtchens. Kaum zu glauben, dachte er, vor nicht allzu langer Zeit war Sizilien arm und abgebrannt gewesen. In zu vielen Autos hatte man abgeschnittene Köpfe gefunden, kaum ein Tourist hatte sich hergewagt. Ludwig hatte gezögert, Eva hatte ihn beschwatzt. Prozesse gegen die Mafia hatte es gegeben, Verurteilungen, so hatte sie gesagt, und langsam trete Ruhe ein. Ja, hatte Ludwig gesagt, und im Sommer werden Flüchtlinge aus Nordafrika angeschwemmt. Ja, hatte Eva gesagt, und zu uns kommen sie aus Tschetschenien im Tiefkühlwagen.

      Ludwig suchte nach einem Kiosk mit deutschsprachigen Zeitungen und fragte sich, was er sehen konnte und was nicht. An den Kassen gab es Belege, ließ man sie liegen, rannte der Verkäufer hinterher. An den Straßenecken sah man schwarz-weiße Autos mit der Aufschrift Guardia di finanza. Keine teuren Läden, aber auch kein Ramsch wie in den Fußgängerzonen in Frankfurt an der Oder oder Bromberg, wo er zu Tagungen gewesen war.

      „Kommst du, Ludwig?“, rief Sibylle. „Es geht schon los.“ Eine stille Menge schloss sich vor ihnen in der Straße zusammen, setzte sich langsam in Bewegung. Jennifer hustete, Fabian jammerte.

      „Ich habe keine Lust“, sagte Ludwig, „ich bleibe hier.“

      „Warum willst du denn nicht?“, flehte Sibylle. Eva und Stefan gingen schon vor, an den Händen ihre Kinder.

      „Du weißt, dass ich Prozessionen albern finde. Ich gehe zu Hause auch nicht zu Prozessionen. Was soll ich da?“ Ludwig knurrte. Er packte Fabian an der Hand; Sibylle umklammerte die von Jenni.

      „Niemand geht zu Hause zu Prozessionen“, gab Sibylle zurück.

      Am Morgen hatte das Paar sich schon darüber gestritten; Ludwig hatte Sibylle abgefertigt: Gott ist ein Vorwand für Kriege und für Streber, hatte er gesagt, und damit basta. Wenn du jeden Tag Patienten in der Röhre hättest – Hör mir auf, ich weiß, was du siehst, beim Röntgen, hatte Sibylle gesagt, du bist ein echter Held, und: Kernspintomografie, hatte Ludwig zurückgegeben, Kernspintomografie. Allem Gezanke zum Trotz hatte Sibylle gehofft, er würde seine Meinung noch ändern. O ja, Sibylle hatte ein großes Potenzial zu hoffen. Auch nach siebzehn Jahren Ludwig.

      „Geh nur“, sagte er, „wir treffen uns nachher am Parkplatz. Ich will mir eine Zeitung kaufen. Ich nehme die Kinder mit, es ist viel zu kalt. Sie kriegen noch Fieber. Außerdem habe ich Fabian versprochen, uns nach einem Laden für Taschenmesser umzusehen. Wir gehen in ein Café.“

      „Die Kinder können sich das ruhig ansehen“, sagte Sibylle. Sie legte ihr schmeichelndstes Gesicht auf.

      „Kannst du nicht mir zuliebe mitkommen?“, fragte Sibylle.

      „Nein,

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