Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte. Tanja Langer

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Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte - Tanja Langer

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vermutete; aber es war nicht leicht, mit ihnen ein Gespräch anzufangen und eine andere Meinung von ihnen zu gewinnen. Sei’s drum, das würde schon kommen. Es war genug los. Am Haus, das vor Unordnung, Türenschlagen und Kinderstimmen pulsierte, hätte vieles repariert werden müssen. Der Putz war grau von den Jahren, an der Vorderseite wucherte wilder Wein. Siebzig Jahre war es alt, und überall zog es durch die klappernden Doppelfenster. Die Dielen hatte Eva abgeschliffen und geölt. In der Küche hatte sie den blau-schwarzen Terrazzoboden glänzend geschrubbt. Das Haus hatte zwei Stockwerke und ein spitzgiebliges Dach; nach hinten zum Garten hin gab es eine Terrasse.

      Du, Eva, sagte Sibylle manchmal, den Zaun müsst ihr machen. Er sieht richtig einladend aus, so viele Latten sind weg! Ist gut, lachte Eva, wenn Ludwig mir dabei hilft! Und dann lachten alle drei, weil Ludwig nur darauf wartete, etwas ausbessern zu dürfen, auch wenn Stefan mit ihm zankte, wie man was richtig zu tun hätte. Ludwig war Arzt durch und durch. Ob gebrochene Zehen, abgerissene Puppenarme oder lockere Wegplatten, er konnte alles. Er zog seinen Leatherman aus dem Etui am Gürtel, klappte das passende Utensil auf und los ging’s. Stefan spielte lieber mit den Kindern; Sybille und Eva kochten große Essen; und dann lehnte sich Sibylle am langen Tisch im Garten zurück und sagte: Sieht es hier nicht aus wie in einem französischen Film?

      Zwei Apfelbäume, ein Kirschbaum, kurz: Das Haus war ein geselliger Ort. Die Kinder tobten im Garten oder spielten am benachbarten Tümpel, dass sie Kinder wären, deren Eltern gestorben wären, und dass sie sich nun allein durchschlagen müssten. Die leibhaftigen Eltern unterdessen bosselten, lasen und plauderten. Sibylle stritt fast jedes Mal mit Ludwig darüber, dass sie schrecklich gern auch ein eigenes Haus hätte. Wir müssen die Praxis abbezahlen, sagte Ludwig, der Wiederholung nicht müde werdend, du hast sie unbedingt gewollt, und ich lege mich dafür krumm. Ich mache Nachtschichten und bin fast ständig im Bereitschaftsdienst, hör auf, mich auch noch mit dem Haus zu nerven.

      Tatsächlich trug Ludwig außer seinem Leatherman stets den Pieper an der Hose, der ihm signalisierte, dass er im Krankenhaus gebraucht wurde. Wenn er auch nicht „aufs Land“ ziehen wollte: Er kam gern zu Eva und Stefan. Vielleicht wegen Eva. Sie hatte sprühendes dunkles Haar. Ihre Augen hatten die Farbe eines sommergrünen Waldes, und ihre Haut war hell und zart. Sie trug Kleider und Röcke, die ihren runden Po betonten, und sie bewegte sich wie ein niemals alt werdendes Mädchen. Ludwig, den sie mit ihrer Spottnatur nicht verschonte, mochte ihren Witz, auch wenn er ihn selbst traf; er lachte dann heftig und stoßweise. Er ließ sich auf ihre Zipperlein ein, ihr Bauchzwicken hier und den verspannten Nacken da, gab Ratschläge oder pustete Bedenken fort, doch: Wär ich verheiratet mit dir, entfuhr es ihm, könnt ich dich nicht ertragen!

      Sibylle klagte nie, sie hatte eine ausdauernde, wachsame Natur, und nicht umsonst liebte Ludwig ihre feine Kühle, die stets ein Geheimnis für sich bewahrte. Ludwig wunderte sich, wie gelassen Stefan mit seiner Frau umging, ja, manchmal hatte Ludwig den Eindruck, dass Stefan ihre Reize einfach übersah, ihr wippendes Auf und Nieder; nun gut, dachte er, sie leben schon zehn Jahre zusammen, da vergisst man hin und wieder, sich anzuschauen.

      Dabei verhielt es sich mit Stefan einfach so: Er nahm Eva wie Sonne und Regen und Wind.

      Ludwig selbst, nebenbei bemerkt, achtete auch nur halb auf Sibylle, sonst hätte er gewiss registriert, dass ihr Gesicht sich verschlossen hatte mit der Zeit. Dass in ihren blauen Augen mit dem türkisen Schimmer etwas Undurchdringliches erschien, etwas wie von abgelegten Träumen.

      · 2 ·

      Sizilien war kalt, die Vögel froren. Zogen die Wolken fort, brannte die Sonne; schoben sich Wolken vor die Sonne, fröstelten sie. Nach drei Tagen hatten alle einen Sonnenbrand, die Kinder husteten und die Erwachsenen schnieften. So hatten sie sich das nicht vorgestellt, ihre Osterferien im Süden. Mittags tranken sie Weißwein und abends Rotwein. So halten wir die Bakterien in Schach, sagte Ludwig. Ludwig musste es wissen, er war schließlich Arzt. Allerdings war es Eva, die kleine braune Flaschen mit weißen Kügelchen aus ihrer homöopathischen Reiseapotheke nahm, sie auf dem Tisch in einer Reihe aufstellte und ihre Notizen in einem vollgekritzelten Heft mit den Symptomen der Kinder verglich.

      „Ärger bei kaltem Ostwind“, murmelte sie. „Aconitum. Ist der Schleim dick und gelb?“, fragte sie Jennifer.

      „Hast du Durst oder eher nicht?“, fragte sie David.

      Und die Kinder nickten und schüttelten den Kopf, widersprachen sich in ihren Angaben und ließen die Kügelchen in ihren kleinen Mündern zergehen.

      „Kann ich auch ein leckeres Placebo haben?“, fragte Ludwig und biss sich auf die Lippen.

      „Los jetzt“, sagte Stefan, „wir gehen vor dem Essen noch mal raus!“

      Und alle Kinder zogen Schuhe und Jacken an und rannten ihm hinterher.

      „Ich lege mich mal hin, wenn ihr nichts dagegen habt“, sagte Sibylle und verzog sich.

      Ludwig hatte das Kochen übernommen. Er packte alles auf die bunte Tischdecke, Salat, Tomaten, eingelegte Paprika, Spaghetti, Hackfleisch. Eva kämpfte mit dem Heizofen und den Tränen. Sie zog die Nase hoch und versuchte an ihre Großmutter zu denken, die so tapfer gewesen war und fünf Kinder allein großgezogen hatte und es von der Hemdenwäscherin zur Reinigungsinhaberin gebracht hatte.

      Ludwig beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Er spürte die Spannung, die von ihrem Rücken ausging, und verstand selbst nicht, was ihn an Eva so aufbrachte. Es musste seine Angewohnheit sein, sich zu behaupten; er musste jeden Tag beweisen, dass er sich durchsetzen konnte. Eva erinnerte ihn an die Zeiten, als er das lockige Haar bis über die Schultern trug und in der dicken Lederjacke mit seinem schweren Motorrad zur Uni und später zum Krankenhaus fuhr. Als er seine Stelle als Assistenzarzt angetreten hatte, war er im rot-weiß gestreiften Komplettlederanzug und dem Helm in der Hand auf der Station aufgetaucht. Vielleicht sah Eva noch diesen unbeschwerten Ludwig in ihm, er konnte nicht darüber nachdenken, ohne dass es ihm weh tat. Er versorgte die Familie; er legte Geld für die Kinder an. Sie kauften nur gesunde Lebensmittel; sie verreisten. Manchmal aber erzählte er Eva und Stefan von seinem besten Freund, der als „Arzt ohne Grenzen“ in die Krisengebiete dieser Welt zog, nach Bosnien, Afghanistan, Pakistan. Dann schüttelte Ludwig den Kopf und sagte etwas wehmütig: Er braucht das wohl.

      „Soll ich dir helfen?“, fragte er Eva, die den Ofen nicht anbekam.

      „Du kannst mir nicht helfen“, gab Eva zurück. „Hilf dir lieber selbst.“

      „Mensch, Eva.“

      Alle Energie wich aus Ludwig. Er ließ seine Arme herabhängen, mit dem Messer in der einen, der halb geschälten Möhre in der anderen Hand.

      „Ist doch wahr.“

      Eva drehte sich langsam um. Er sah, dass ihre Augen gerötet waren.

      Verdammt. Sie zog die Nase hoch.

      „Ich –“

      Sie sahen sich an. Fang du an, dachte Ludwig.

      Gib du mal nach, dachte Eva, gib mir ein Zeichen.

      „Tut mir leid“, würgte Ludwig heraus, „ich weiß nicht, was das ist.“

      „Der Urlaub wird ein Desaster, Ludwig, wenn wir so weitermachen.“

      Eva drehte das Feuerzeug in ihren Händen. Wenn wir uns jetzt einfach küssen könnten, wäre alles gut, schoss es ihr durch den Kopf, und dann sah sie Ludwig an und musste lachen. Ich finde ihn überhaupt nicht erotisch, dachte sie, er ist ein Bär, der sich erkältet hat.

      „Wieso

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