Europa auf der Intensivstation. Rahim Taghizadegan
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Nicht Europa hat die Pandemie in den Griff bekommen, sondern die Pandemie Europa – und die entstandene Verwirrung könnte die Grundlage für das Wüten einer weit schlimmeren, völlig übersehenen Pandemie sein: eine Pandemie von Gedankenviren42.
Kapitel, die auf dieses verweisen: Kap. 1, 11, 12, 16, 17, 29, 30, 39, 40, 42, 49, 53, 57
9. War die Pandemie ein Schock, ohne den wir kaum Probleme hätten?
Das Virus kam nicht mit einem UFO aus dem Weltall. Pandemien sind eine der am meisten prophezeiten und analysierten Gefahren einer globalisierten52 Welt. Alle paar Jahre gibt es Kandidaten für Pandemien.
Einer der bekanntesten und reichsten Menschen der Welt versucht mit großem Mitteleinsatz seit vielen Jahren, die Weltaufmerksamkeit auf das Thema zu richten. Eine Studie im Auftrag des deutschen Bundestages simulierte vor wenigen Jahren ausgerechnet das Szenario einer »Corona-SARS-Pandemie« mit alarmierenden Ergebnissen – für die sich offenbar niemand interessierte. Als wahrscheinlichster Überträger solcher Viren waren schon lange Fledermäuse identifiziert, als wahrscheinlichster Ausbruchsort galt China. Diese Pandemie ist also keinesfalls ein »schwarzer Schwan«, ganz im Gegenteil könnte dieser Schwan kaum weißer sein.
Auch als »weißer Schwan« ist die Pandemie schrecklich genug, wenn auch bei weitem nicht so schrecklich, wie die erwähnten Warner prognostiziert hatten. Es tröstet, dass sie Kinder nahezu völlig verschont und geringe Letalität14 aufweist.
Allenfalls schockierend sind die politischen Reaktionen und werden die wirtschaftlichen Folgen sein. Zuerst die Verschleierung in China58, dann in Europa das brutale Exempel, gefolgt von Institutionenversagen53, Schaden durch falsche Interventionen12 und Spaltung39 der Gesellschaft, verstärkt durch mediale41 Panikmache. Noch schlimmer als all das werden die Folgen der politischen Schadensbewältigung sein.
Doch absehbare Entwicklungen, auch wenn sie negative sind, stellen weder Schock noch Krach17 dar. Der relativ hohe Wohlstand in Europa lässt vieles als Luxusproblem erscheinen, doch das ist auch ein Hinweis auf mangelnden Antrieb, mangelnden Realismus und schwindende Lernfähigkeit.
Nicht das »Jammern auf hohem Niveau« ist das Problem, sondern die Kritik- und Antriebslosigkeit auf unverdientem Niveau. Die Gewöhnung an hohe Lebensqualität3 bei schwindendem eigenen Beitrag führt notwendigerweise zu Schocks: zum Platzen von Blasen18.
Kapitel, die auf dieses verweisen: Kap. 1, 6, 8, 12, 17, 30, 35, 53, 57
10. Warum wurde Europa zum Epizentrum?
Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen Letalität14 und hoher Virenlast sowie Anhäufung von Risikogruppen. Das bedeutet: Alte Menschen in geschlossenen Räumen sind das wesentlichste Element des Epidemiegeschehens.
Womöglich wird letztlich der größte Teil des norditalienischen Horrors dem staatlich gesteuerten Sammeln von Infizierten in Spitälern und Altersheimen zuzuschreiben sein, wenn jemals eine Aufklärung des Geschehens gelingt. Ähnliches ist in New York geschehen.
Die Italiener hatten allerdings auch Pech: früher einsetzende Ansteckungsdynamik bei noch geringerem Wissensstand und noch geringerer Aufmerksamkeit. Höhere Anzahl von Mehrgenerationenhaushalten; vielleicht hat auch die körpernähere Kultur eine Rolle gespielt – eigentlich Dinge, die für die Italiener sprechen. Am stärksten wirkte wohl ohnehin spontane »soziale Distanz«, nachdem die Sorge in der Gesellschaft gewachsen war. Auch diese freiwillige Vorsicht setzte in Italien erst später ein, wirkte aber in den anderen europäischen Staaten – darunter auch Schweden, wo sich die Ausbreitung nach bereits geweckter Sorge vollzog.
Italien wurde als Tourismusdestination52 – so wie Deutschland als Industriedestination – früh von Infizierten besucht; für die Schuldzuweisungen an die Modeindustrie, in der relativ viele Chinesen – oft illegal – arbeiten, gab es keine weiteren Belege. Italien hatte auch relativ früh die direkte Einreise aus China unterbunden, was angesichts moderner Mobilität relativ wirkungslos ist. Völlige Grenzschließungen hätte man damals ausnahmslos für Irrsinn gehalten.
Mittlerweile müssen wir auch Ansteckungs- und Todes-Epizentren unterscheiden. Hohe Todeszahlen verweisen auf große Ansteckungsdynamik unter überdurchschnittlich alten und kranken Menschen. Hohe Ansteckungszahlen entstehen durch »Superspreader«: längere Nähe in geschlossenen Räumen mit viel Atemaustausch durch lautes Sprechen, Singen und intensivem Mundkontakt.
Das Epizentrum Ischgl in Tirol war eines der Ansteckung, die Todeszahlen vor Ort sind überraschend niedrig – statistisch unter der Relevanzschwelle. Verbindungen zu Todes-Epizentren anderswo sind bislang nicht belegt, zumal nach Ischgl der Fokus schon auf der Pandemie lag und die Vorsicht entsprechend größer war.
Warum lag das Epizentrum der Pandemie nach China58 nicht in Asien? Die dynamischsten Orte mit dem höchsten Verkehr aus China – Singapur, Hongkong und Taiwan – waren nach vergangenen Epidemien vorbereitet. Es gab keinen Mangel an Schutzausrüstung, mehr Vorsicht in der Gesellschaft und frühes Nachverfolgen möglicher Ansteckungsketten auf höchstem technischen Niveau.
Letzteres ist in Europa aus Gründen des Datenschutzes13 nicht möglich. Die Ansteckungsdynamik durch das Verhalten freier Menschen war aber kaum der Kern des Problems. Die Übersterblichkeit hätte wohl durch früheren Schutz der Risikogruppen vermindert werden können. Und auch das hätte vor allem die Unterlassung einer Gefährdung durch mangelhafte Prozesse im Gesundheitssystem bedeutet, durch welche die dichte Ansammlung von Alten und Kranken in geschlossenen Räumen in Europa eher die Regel als die Ausnahme ist.
Kapitel, die auf dieses verweisen: Kap. 8
11. Sollten exponentielle Entwicklungen verhindert werden?
Seit der Pandemie8 ist die Furcht vor exponentieller Entwicklung noch größer geworden. Schon davor hatten Kritiker unseres Wirtschaftssystems vor unbeschränktem Wachstum50 gewarnt.
Tatsächlich