Aleister Crowley & die westliche Esoterik. Группа авторов

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      Diese naturalistische Interpretation von Magie verfasste Crowley in den frühen Jahren seines spirituellen Werdeganges (interessanterweise wurde sie 1904 veröffentlicht, im selben Jahr, in dem Crowley von Aiwass den Text von The Book of the Law empfing). Dennoch scheint es, dass er diese Sichtweise – obwohl sie von einer intellektuellen Warte aus gesehen sicher wichtig für ihn gewesen ist – nicht durchgängig angenommen hat oder ihr in den folgenden Jahren nicht ganz treu geblieben wäre. Tatsächlich haben wir eine Fülle von Beispielen in Crowleys magischem Studienplan, in welchen er mit Wesenheiten Kontakt aufnimmt, die er keineswegs nur als „Teile seines Gehirns“ oder als Aspekte seines Unbewussten (an das er durch seine Entdeckung der Psychoanalyse geglaubt haben mag) wahrnimmt. Interessant daran ist auch, dass Crowley die ersten Kontakte zu diesen Wesenheiten meistens mithilfe eines hellsichtigen Partners, sehr oft einer Frau, herstellte. So verhielt es sich im wohl spektakulärsten Fall, nämlich der Evokation von Aiwass durch seine Ehefrau Rose und der daraus folgenden Offenbarung des Book of the Law. Doch auch bei den Kontakten zu „niederen“ Wesenheiten wie Amalantrah und Ab-ul-Diz war es nicht anders.75 Anscheinend hat Crowley diese Wesenheiten generell nicht als Produkte seines Unbewussten oder seines Gehirns (bzw. dessen seiner Partnerin) betrachtet. Sie waren keine – wenngleich auch spirituell bedeutenden – Erfindungen; sie waren unabhängige, übermenschliche Wesen mit eigenständigen Persönlichkeiten und Existenzen. Der Umstand, dass all diese Wesenheiten einer sorgfältigen Prüfung unterzogen wurden, ist ein deutliches Indiz dafür.76 Bei den Prüfungen ging es nicht allein darum, die Identität der Wesen festzustellen (um damit die Möglichkeit auszuschließen, dass es sich um ein getarntes bösartiges Wesen handelt), sondern auch ihre Unabhängigkeit von der Persönlichkeit des Magiers und/​oder Sehers. In diesem Sinne ähneln Aiwass und seine Verwandten den mysteriösen „Geheimen Oberen“ des Golden Dawn oder den schwer fassbaren „Mahatmas“ der Theosophischen Gesellschaft, die als erleuchtete Meister verstanden werden, die eine sehr hohe Stufe der Einweihung erreicht haben, aber dennoch auf diesem Planeten leben.77

      Andererseits war die Idee vom „Heiligen Schutzengel“ in Crowleys Interpretationen dieselbe wie die vom „Höheren Selbst“ (oder dem „Höheren Genius“).78 Im Golden Dawn stellte Crowley sich vor, dass die Magie dem Magier eine Methode bietet, sein (oder ihr) „Höheres Selbst“ zu entdecken, und diese Vorstellung prägte ihn merklich. Der unmittelbare Ursprung dieser Idee ist in den Schriften von Madame Blavatsky und der Theosophischen Gesellschaft zu finden.79 Unter spiritueller Verwirklichung wurde die Reintegration eines göttlichen oder erhabenen Anteils des Selbst verstanden, der unter normalen Bedingungen unbekannt und unzugänglich bleibt.

      Dem Vorkommen des Schutzengels in der esoterischen, speziell der magischen Literatur des Westens gebührt gewiss eine nähere Aufmerksamkeit, zumal diese Thematik kaum wissenschaftlich erforscht ist. Einer der Gründe dafür ist sicherlich, dass die traditionelle Vorstellung von einem Schutzengel im Kontext der westlichen Esoterik, selbst in ihren mehr magisch orientierten Strömungen, weniger hervortritt, als die anderer Wesen. Sicher kann man in der Neuzeit viele Beispiele für magische oder theurgische Praktiken finden, in denen Engel, bisweilen gar Hunderte von ihnen, sehr präsent sind. Man denke dabei nur an die henochischen Anrufungen von John Dee, die theurgischen Handlungen von Martinez de Pasquallys Elus Coëns, oder an Cagliostros Ägyptischen Ritus.80 Doch in keinem dieser Beispiele scheint der Schutzengel als besondere Wesenheit gegenwärtig zu sein.

      Eine Ausnahme könnte die Gruppe der Illuminés d’Avignon sein, die während der 1780er Jahre von Dom Antoine-Joseph Pernety geführt wurde.81 In den Lehren dieser Gruppe finden wir eine Reihe spiritueller Praktiken (welche interessanterweise nicht als „magisch“ bezeichnet werden), die zum Ziel haben, den Schutzengel einer Person erscheinen zu lassen.82 Die nötigen Anweisungen dazu werden offenbar von der „Sainte Parole“ übermittelt, einem mysteriösen Orakel, dessen Antworten die Aktivitäten und Taktiken der Gruppe bestimmten.83 Es hat den Anschein, dass die Botschaften der Sainte Parole in Wirklichkeit von Johann Daniel Müller (1716 bis nach 1785) stammten, einem Esoteriker, der im Umfeld des deutschen Illuminatentums unter dem Pseudonym „Elias Artiste“ bekannt war. Man mag sich fragen, aus welchen Quellen Müller seine Lehren bezüglich des Schutzengels speiste, und ob er den Text des Buches Abramelin gekannt hat, dessen mutmaßliche Ursprünge – wie weiter oben erwähnt – in Deutschland liegen und das dort gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts erstmals veröffentlicht wurde. Um diesen Punkt zu erhellen, wird weitere Forschung vonnöten sein.

      Wie dem auch sein mag: wichtig ist zu bedenken, dass es – schon lange vor der Gruppe um Pernety – eine Überlieferung spezieller Manuskripte gegeben hat, in welchen Schutzengel eine sehr wichtige Rolle im Zusammenhang mit magischen Praktiken spielten. Diese Überlieferung scheint gegen Ende des Mittelalters entstanden zu sein und kam der Ars Notoria nahe. Die Schriften des Eremiten Pelagius von Mallorca, die Jean Dupèbe und Julien Véronèse studiert hatten, gehörten ebenso dazu wie The Book of the Sacred Magic of Abra-Melin.84 Wenn wir den Ausnahmefall der Illuminés d’Avignon außen vor lassen, können wir daraus schließen, dass die Wiederbelebung einer lange in Vergessenheit geratenen magischen Tradition im neunzehnten Jahrhundert zu einem Großteil Mathers’ Veröffentlichung zu verdanken war.

      Das Buch Abramelin schrieb einen sechsmonatigen Rückzug in die Einsamkeit vor, welcher von einem System aus Beten und Fasten begleitet war. Es liegt klar auf der Hand, dass diese Form der Praxis für Personen, die ein normales soziales Leben führten, nicht einfach umzusetzen war. Das war bei vielen Mitgliedern des Golden Dawn der Fall. Der interessante Aspekt des Buches Abramelin, der in diesem Kontext, zuerst bei Mathers, auftauchte und dann später von Crowley weiterentwickelt wurde, ist die Identifikation des Schutzengels, wie er darin beschrieben wird, mit dem Gedankenkonzept von einem „Höheren Selbst“ oder dem „Höheren Genius“, wie es sich in der Literatur der Theosophischen Gesellschaft und den Lehren des Golden Dawn findet.85 Offensichtlich ist auch, dass Crowley recht schnell zu dieser Identifikation kam, denn wir finden sie im Text eines magischen Eides, den er 1900 leistete, als er erstmals versuchte, die Handlungen aus dem Buch Abramelin durchzuführen, und kurz vor Beendigung seiner Mitgliedschaft beim Golden Dawn.86 Einen weiteren Hinweis auf diese Identifikation liefert seine Interpretation des Bornless Rituals, das für ihn zum wichtigsten Ritual der Kontaktaufnahme mit dem Höheren Selbst wurde.

      1904 gab Crowley an, von Aiwass The Book of the Law empfangen zu haben, welches in seinem Leben noch eine tragende Rolle spielen würde.87 Das Buch wurde letztlich zur Grundlage für Crowleys neue Religion Thelema. Offensichtlich sah er sich selbst als Verkünder dieser neuen religiösen Offenbarung, die alle bisher existierenden Religionen ablösen sollte. Auf Einzelheiten zu den philosophischen und ethischen Prinzipien dieses Systems möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen, weil ich damit zu weit vom Thema dieses Kapitels abschweifen würde;88 die Offenbarung in Kairo sollte jedoch angesprochen werden, da sie wichtig ist, das Wesen von Aiwass zu verstehen. Nahm Crowley Aiwass als seinen Heiligen Schutzengel wahr, so wie er im Buch Abramelin beschrieben steht? Darauf eine eindeutige Antwort zu geben, fällt schwer, da Crowleys Vorstellungen sich diesbezüglich mit der Zeit gewandelt hatten. Als Crowley das Buch empfing, und auch noch in den unmittelbar darauf folgenden Jahren, schien es keinerlei Identifikation von Aiwass mit Crowleys eigenem Schutzengel gegeben zu haben. Wie wir gesehen haben, nahm Crowley Aiwass durchgängig als eine individuelle Persönlichkeit wahr, die vollkommen eigenständig existierte. Aus psychologischer Sicht ist es leicht nachzuvollziehen, warum Crowley von diesem Standpunkt nie abgerückt ist. Wahrscheinlich hatte Crowley Schwierigkeiten mit der Vorstellung, Aiwass einfach als eine Manifestation seiner eigenen Psyche zu begreifen, ob sie nun „das Unbewusste“ (mit psychoanalytischen Worten), das „Höhere Selbst“ (in der Sprache der Okkultisten) oder anders genannt wurde. Dieses hätte in der Tat den religiösen Universalitätsanspruch von Thelema untergraben. Die Quelle der Offenbarung sollte eine metaphysische (oder zumindest übermenschliche) Dimension haben, die von Crowleys individueller Persönlichkeit völlig getrennt war. Wie konnte er behaupten, dass seine Botschaft das Schicksal von Millionen Menschen für die kommenden Jahrhunderte verändern würde, wenn seine letztendliche Quelle einfach sein eigener unbewusster (oder eben höherer) Verstand war? Für Crowley war Thelema eine Botschaft

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