Das achtsame Gehirn. Daniel Siegel

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das achtsame Gehirn - Daniel Siegel страница 11

Автор:
Серия:
Издательство:
Das achtsame Gehirn - Daniel Siegel

Скачать книгу

zusammenwirken. Die Gehirnfunktion und das geistige Leben sind nicht identisch. Wenn wir mit der Erforschung des achtsamen Gewahrseins befasst sind, dann müssen wir sehr bescheiden sein und sagen, dass wir nur sehr wenig über die Rolle des Gehirns dabei wissen. Doch wenn man sich unvoreingenommen den neuronalen Aspekten der Achtsamkeit zuwendet, dann kann das nur dazu beitragen, Licht auf die damit verbundenen Prozesse und Mittel zu werfen, um diese wichtige Dimension unseres subjektiven Lebens zu kultivieren. Und die daraus resultierenden Erkenntnisse könnten die objektive Natur unseres Körpers, unserer Beziehungen und unseres seelischen Wohlbefindens weiter bereichern.

      Wir können sagen, dass Geist und Gehirn sich in ihren Funktionen entsprechen, doch wir wissen de facto nicht, auf welche Weise Gehirnaktivität und Geistesfunktionen sich gegenseitig hervorbringen. Es ist allzu einfach, nur zu sagen, dass „das Gehirn den Geist erzeuge“, da wir mittlerweile wissen, dass der Geist auch das Gehirn aktivieren kann. Der Prozess, der den Energie- und Informationsfluss reguliert (unsere Definition von Geist), kann das Feuern des Gehirns direkt anregen und letzten Endes auch die strukturellen Verbindungen im Gehirn umgestalten.

      Wir können auf das Gehirn schauen, um Entsprechungen zu mentalen Prozessen zu finden, wie etwa beim achtsamen Gewahrsein. Diese Verbindungen sind einfach nur das: keine kausalen Beweise, sondern zwei Dimensionen der Realität, die letzten Endes nicht aufeinander reduziert werden können. Davidson und seine Kollegen haben zum Beispiel eine Verlagerung der Gehirnfunktion zu einer Dominanz des linken Frontallappens als Reaktion auf emotionale Auslöser festgestellt (Davidson et al. 2003), die mit einer Annäherungshaltung und positiveren Emotionen assoziiert werden, wie wir in Kapitel 10 sehen werden. Diese Linksverlagerung in Schaltkreisen, die für das Regulieren von Emotionen zuständig sind, korrelierte unmittelbar mit dem Grad an Verbesserung bei der Immunabwehr.

      Eine weitere Studie (Lazar, Kerr, Wasserman, Gray, Greve & Treadway 2005) zeigte eine Vergrößerung von zwei Gehirnbereichen: (1) des mittleren Präfrontalbereichs auf beiden Seiten und (2) diejenige eines damit verbundenen neuronalen Schaltkreises, der Inselrinde, die insbesondere auf der rechten Gehirnseite dicker war. Die Dicke in diesen Arealen hing mit der Länge der Zeit zusammen, in der die Achtsamkeitsmeditation praktiziert worden war. Hier sehen wir sowohl eine linksseitige als auch eine rechtsseitige Korrelation mit den Praktiken des achtsamen Gewahrseins (siehe Anhang III, Lateralität). Studien über andere Meditationsformen, bei denen man sich zum Beispiel auf das Mitgefühl konzentriert, zeigen wieder andere Veränderungen, wie etwa eine erhöhte Feuerkoordination, insbesondere im Präfrontalbereich auf beiden Seiten des Gehirns (Lutz, Greischar, Rawlings, Ricard & Davidson 2004). Eine umfangreiche Bewertung vieler Studien (Cahn & Polich 2006) zeigt eine ganze Reihe von Aktivierungen, insbesondere in den mittleren Präfrontalbereichen (anteriores Cingulum) durch die Achtsamkeitsmeditation.

      Ein positiver Effekt bei der Beschäftigung mit dem Gehirn und der Suche nach Entsprechungen mit dem Geist, zeigt sich darin, dass wir mehr über den Geist selbst lernen können. Bei der Untersuchung des achtsamen Gehirns werden wir uns nicht nur mit diesen und anderen Studien über Emotionen, Aufmerksamkeit und Exekutivfunktionen beschäftigen, sondern auch in das neue Gebiet der sozialen Neurowissenschaft eintauchen. Das achtsame Gewahrsein auch als Beziehung zu sich selbst anzusehen, die sich die neuronalen Schaltkreise unseres sozialen Lebens zunutze macht, könnte neues Licht auf die fundamentalen Prozesse werfen, die in der Erfahrung der Achtsamkeit verborgen liegen.

      Vorläufige Forschungen zu den Gehirnfunktionen deuten an, dass Achtsamkeit das Gehirn verändert. Warum sollte die Art und Weise, wie Sie im gegenwärtigen Moment aufmerksam sind, Ihr Gehirn verändern? Die Art und Weise, wie wir aufmerksam sind, fördert die neuronale Plastizität – die Umgestaltung neuronaler Verbindungen als Reaktion auf Erfahrung. Was wir untersuchen werden, sind die möglichen Mechanismen, wie sich die verschiedenen Dimensionen achtsamen Gewahrseins in der Aktivität des Gehirns niederschlagen und dann das Wachstum der Verbindungen in diesen Bereichen anregen. Indem wir tief in das unmittelbare Erleben eintauchen, werden wir in der Lage sein, etwas Licht darauf zu werfen, warum Forschungsergebnisse Veränderungen auf der linken und rechten Seite zeigen und welche globalen Auswirkungen sich dadurch für das integrative Funktionieren des Gehirns als Ganzes ergeben könnten.

      Lange bevor wir unseren Geist mithilfe von Reflektion zu kultivieren versuchten, haben wir uns als soziale Geschöpfe weiterentwickelt. Ein großer Teil unseres Gehirns im Ruhezustand, in der Standardeinstellung sozusagen, scheint ein neuronaler Schaltkreis zu sein, der mit dem Verstehen anderer in Beziehung steht (Gusnard & Raichle 2001). Es sind die sozialen Schaltkreise des Gehirns, die wir zuerst benutzt haben, um den Geist, die Gefühle, Intentionen und Einstellungen anderer zu verstehen. Wenn wir das achtsame Gewahrsein als einen Weg ansehen, um das Bewusstsein des Geistes von sich selbst zu kultivieren, dann erscheint es wahrscheinlich, dass es sich Aspekte der ursprünglichen neuronalen Mechanismen zunutze macht, um sich des Geistes anderer bewusst zu werden. Wenn wir uns unserer eigenen Intentionen und des Fokus unserer Aufmerksamkeit bewusst werden, dann verwenden wir dazu vielleicht genau diejenigen Schaltkreise im Gehirn, die zuerst Landkarten von der Intention und Aufmerksamkeit anderer erzeugt haben. COAL ist genau die geistige Haltung, die Eltern gegenüber ihren Kindern haben, denen sie eine sichere Bindung mit auf den Weg geben. Wir können sagen, dass die gegenseitige Einstimmung bei der sicheren Bindung zwischen Eltern und Kind einer intrapersonalen Form von Einstimmung beim achtsamen Gewahrsein entspricht. Beide Formen von Einstimmung fördern die Fähigkeit zu engen Beziehungen sowie Resilienz und Wohlbefinden (siehe Kapitel 9 zur weiteren Erörterung des Themas Bindung).

      Vergleicht man Studien über sichere Bindung mit solchen über Praktiken des achtsamen Gewahrseins, stellt man erstaunliche Überschneidungen in den Ergebnissen fest (Kabat-Zinn 2003b; Sroufe, Egeland, Carlson & Collins 2005). Ich habe außerdem festgestellt, dass viele der Grundfunktionen, die bei diesen beiden scheinbar so unterschiedlichen Themen auftauchten, mit dem Präfrontalkortex verbunden waren. Zu diesen Funktionen gehören die Regulierung der Körpersysteme, das Ausgleichen von Emotionen, die Einstimmung auf andere, das Modulieren von Angst, flexible Reaktionen und das Zeigen von Einsicht und Empathie. Zwei andere Funktionen dieser Präfrontalregion – nämlich in Kontakt mit Intuition und Moral sein – sind in der Bindungsarbeit nicht untersucht worden, schienen jedoch ein Ergebnis der Praxis des achtsamen Gewahrseins zu sein (siehe Anhang III, Die Funktionen des mittleren Präfrontals).

      Der Vorschlag, den meine Kollegen und ich früher unterbreitet hatten (siehe Cozolino 2002; Schore 2003a, 2003b; Siegel 1999, 2001b; Siegel & Hartzell 2003; Solomon & Siegel 2003), bestand darin, dass die Beziehungen der sicheren Bindung zwischen Eltern und Kind ebenso wie die effektive therapeutische Beziehung zwischen Kliniker und Patient das Wachstum der Fasern in dieser Präfrontalregion förderten.

      Die Präfrontalfunktion ist integrativ. Das bedeutet, dass lange Stränge der Präfrontalneuronen bis in weit entfernte und abgegrenzte Bereiche des Gehirns und des Körpers hineinreichen. Diese Verbindung von abgegrenzten Elementen ist die wörtliche Definition eines fundamentalen Prozesses, nämlich der Integration. Aus vielerlei Gründen, die an anderer Stelle erörtert werden, kann die Integration als grundlegender gemeinsamer Mechanismus für verschiedene Bahnen angesehen werden, die zu Wohlbefinden führen (Siegel 1999, 2001b, 2006, im Druck).

      Wie fördert Einstimmung die Integration?

      Wenn die Beziehungen zwischen Eltern und Kind aufeinander abgestimmt sind, dann ist das Kind in der Lage, sich „gefühlt zu fühlen“, und es hat ein Gefühl von Stabilität im gegenwärtigen Moment. Während der Interaktion im Hier und Jetzt fühlt sich das Kind gut, verbunden und geliebt. Die innere Welt des Kindes wird von den Eltern klar gesehen, und die Eltern lernen, mit dem Zustand des Kindes in Resonanz zu gehen. Das ist Einstimmung.

      Im Laufe der Zeit befähigt diese eingestimmte Kommunikation das Kind, die regulierenden Schaltkreise im Gehirn zu entwickeln – einschließlich der integrativen Präfrontalfasern –, die für einen Menschen in der Zeit des Wachstums eine Quelle von Resilienz

Скачать книгу