Das achtsame Gehirn. Daniel Siegel
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Wenn wir behaupten, dass die Bewusstseinsqualität in diesem Moment dunkel ist, wie sind wir uns dann des Bewusstseins bewusst? Können wir ein klares Bewusstsein von einer dunklen Bewusstseinsqualität haben? Metaprozesse wie diese, wie das Meta-Bewusstsein, haben unserer Spezies ihren Namen gegeben, nämlich Homo sapiens sapiens, was „die Wissenden“ bedeutet. Wir wissen, dass wir wissen (Kabat-Zinn, 2003b).
Der Fluss des Bewusstseins
Viele Studien weisen auf die Kraft des achtsamen Gewahrseins hin, Wohlbefinden in vielen Bereichen unseres Lebens zu fördern. Warum sollte das so sein? Warum sollte die nicht urteilende Aufmerksamkeit, die Aufmerksamkeit, die wir mit Absicht dem gegenwärtigen Moment schenken, etwas Gutes sein? Wir haben gesehen, dass „nicht urteilend“ bedeuten kann, nicht an den unvermeidlichen Urteilen festzuhalten, die der Geist aus den hierarchischen Prozessen unserer kortikalen Kritik erzeugt. Die Entkopplung dieses Automatismus führt in vielen Fällen dazu, das man „aufwacht“ und beginnt, sich großartig zu amüsieren.
Ein anschauliches Bild für das achtsame Gewahrsein kann das einer Radnabe sein, bei der das Rad unseres Geistes offen und weit genug ist, um jegliche Elemente am Rande des Rades zwar in unsere bewusste Erfahrung gelangen zu lassen, sie aber nicht zu übernehmen (Abbildung 4.2).
Abbildung 4.2
Das Rad des Bewusstseins: Rand, Speichen und Nabe.
Jedes Element am Rand kann unmittelbar erfahren werden (unmittelbares sensorisches Erleben einer der grundlegenden Sinne); es kann beobachtet, in Begriffe gefasst und dann gekannt werden. Und so befähigen uns die vier Ströme des Gewahrseins, die den Bewusstseinsfluss, der in die Nabe unseres Geistes einströmt, speisen, ein reflektives Gewahrsein von etwas zu haben – einer emotionalen Reaktion, einer Erinnerung (siebter Sinn) einer Anspannung im Bauch, einer Schwere in der Brust (sechster Sinn), oder eines Anblicks, Geräuschs, Geschmacks, einer Berührung oder eines Geruchs (fünf Sinne). Wir könnten sogar ein Gefühl von Verbundenheit zu uns selbst oder zu anderen haben, in einer Art achtem Sinn, der uns zu einer relationalen (beziehungsbezogenen) Wahrnehmung befähigt.
Das durch die Linsen dieser Ströme (Empfindung, Beobachtung, Konzeptualisierung, Wissen) gefilterte Material der Randpunkte (aller sieben oder möglicherweise acht Sinne) strömt dann in unser unmittelbares Gewahrsein ein und macht uns vollständig bewusst, was wir gerade erfahren. Manchmal wird dieses Gewahrsein von einem Teil der ersten drei beherrscht: Empfindung, Beobachtung und Konzeptualisierung. Zu anderen Zeiten ist dieses Bewusstsein in einem Zustand der Balance, und dann scheint Wissen aufzutauchen. Und so ist es vielleicht das Ausgleichen des Quartetts, welches das Wesen der „Qualität des Gewahrseins“ bestimmt, während die vier Eigenschaften Daten in die rezeptiven Naben unseres Geistes einströmen lassen (Abbildung 4.3).
Abbildung 4.3
Die vier Ströme des Gewahrseins, die den gefilterten Fluss in die Radnabe des Geistes einströmen lassen: Empfindung, Beobachtung, Konzept und Wissen.
Wenn wir den Körper anstrengen, kann das Empfinden des sechsten Sinns vorherrschend werden. In jenem Moment ist das Gewahrsein mit somatischem Input angefüllt, dem Geplätscher körperlicher Empfindungen, und ist frei von sprachlichen Begrenzungen. Wenn wir in das Empfinden eines schönen Anblicks eintauchen, dann können wir uns in dieser visuellen Schönheit verlieren und das Konzept dessen, was wir sehen, nicht mitbekommen. Auf der anderen Seite kann visueller Input leicht in Begriffe umgesetzt werden, und unsere geschäftigen kortikalen Muster-Detektoren vergleichen möglicherweise das, was wir jetzt sehen, mit dem, was wir Dutzende von Malen zuvor gesehen haben. Ein solcher Vergleich kann es schwer machen, den Baum einfach so zu sehen, „wie er ist“. Desgleichen wird unser linkshemisphärischer kortikaler „Kuppler“ versuchen, sprachliche Repräsentationen mit visuellen Inputs zu verbinden und das zu kategorisieren und zu benennen, was wir sehen. Der Klassifizierungsprozess entfernt uns ebenfalls von dem direkten Empfinden der ersten fünf Sinne. Wir können den Gedanken immer noch „spüren“, aber es fühlt sich anders an, als den Baum zu spüren. Hier beherrschen Konzepte die Ströme, die ins Bewusstsein hineinfließen, und der „Baum“ wird eher zu einer Kategorie als zu einer Empfindung.
Das achtsame Gewahrsein scheint eine Balance zwischen diesen Strömen des Gewahrseins zu erfordern. Einige Menschen stellen vielleicht die Empfindung in den Vordergrund, doch meine eigene unmittelbare Erfahrung an diesem Punkt lässt mich glauben, dass möglicherweise alle vier Ströme zur Klarheit und Stabilität von Achtsamkeit beitragen.
Selbst und Leiden
Es wurde eine Frage zu dem „Wo“ des reinen Gewahrseins gestellt. Ein Kommentar lautete, dass das Wo keine Rolle spiele, sondern dass am wichtigsten sei, wie die Erfahrung für den Einzelnen aussähe. Dieser Fokus auf unserer subjektiven Erfahrung ist wichtig und erinnert uns daran, dass wir, sogar wenn wir das Wesen des „achtsamen Gehirns“ voraussetzen, vorsichtig sein müssen, die Naturwissenschaften, die Neurobiologie oder irgendeine andere wissenschaftliche Disziplin nicht zu vergegenständlichen.
Wenn wir etwas über das Gehirn wissen, dann kann uns das jedoch dabei helfen, einige der introspektiven Beobachtungen und Empfindungen zu klären, so dass die von uns gebildeten Begriffe zumindest mit verschiedenen Wissenschaftszweigen konform gehen. Das macht die Wissenschaft nicht besser als die Subjektivität, sondern nur anders.
Im Folgenden finden Sie eine kurze Zusammenfassung der allgemeinen Vorstellung von Stress und Leid und ihrer Verringerung mit Hilfe von Praktiken des achtsamen Gewahrseins. Sie wird durch die zwischenmenschliche neurobiologische Linse in meinem Kopf gefiltert, soweit ich das aus meiner unmittelbaren Erfahrung und der bestehenden Literatur sagen kann. Wenn der Geist sich an vorgefassten Vorstellungen festhält, dann erzeugt er eine innere Spannung zwischen dem, was ist, und dem „was sein sollte“. Diese Spannung erzeugt Stress und Leid.
Die Rolle des achtsamen Gewahrseins besteht nun darin, den Geist zu befähigen, das Wesen des Geistes selbst zu „erkennen“, den Einzelnen zu der Einsicht erwachen zu lassen, dass vorgefasste Ideen und emotionale Reaktionen in das Denken und die reflexartigen Reaktionen eingebettet sind, die dann innere Not verursachen. Wenn sich ein Mensch aber von Gedanken und Emotionen löst, indem er sich bewusst macht, dass diese geistigen Aktivitäten weder mit dem „Selbst“ identisch noch von Dauer sind, dann kann er erreichen, dass sie wie Blasen in einem Topf mit siedendem Wasser aufsteigen und zerplatzen.
Nicht alles Denken und alle gewohnheitsmäßigen Reaktionen erfolgen „von oben herab“, aber in diesem Modell sind es genau diejenigen, die erworbenes Leiden verursachen. Das Leben ist voller Leid. Es gibt ein universelles Leid, bei dem wir alle den Schmerz von Verlust, Enttäuschung und Tod erfahren. Doch erworbenes Leiden ist der Ausdruck, der verwendet wird, um zu verdeutlichen, wie unser Geist seine eigene mentale Pein verursacht, indem er an Begriffsbildungen und automatischen Reaktionen festhält, die uns aus dem unmittelbaren sensorischen Erleben herausreißen. In vielfacher Weise nimmt die Qualität unseres Gewahrseins ab, wenn wir nur in unseren Gedanken und vorgeformten Emotionen, in Konzepten und Wahrnehmungsfiltern leben, die dann unsere Weltsicht organisieren. Doch wenn wir für unsere Sinne