Wach werden und unser Leben wirklich leben. Jon Kabat-Zinn

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Wach werden und unser Leben wirklich leben - Jon Kabat-Zinn

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sein lasse, ohne irgendetwas hinzuzufügen, ohne überhaupt etwas zu versuchen?

      Einfach nur hören, was es zu hören gibt: wo die Geräusche ja sowieso schon ans Tor meiner Ohren pochen. In der Stille offener Aufmerksamkeit beim Hören sein. Tropf, tropf, tropf, glucker, glucker, glucker, plätscher, plätscher, plätscher … die Luft ist voller Geräusche. Der Körper gebadet in Klang. In der tiefen Stille ist da nur der Regen auf dem Dach, der manchmal, vom Wind gepeitscht, in Sturzbächen gegen das Fenster prasselt, reiner Klang in den Ohren, der den Raum erfüllt.

      In diesem Augenblick ist da irgendwo, weit im Hintergrund, das Wissen, dass ich hier sitze, dass Regen fällt; doch die Erfahrung „vor dem Denken“, hinter allen Gedanken, die sich absondern, ist die von reinem Klang, von schlichtem Hören, in dem der Hörende vom Gehörten nicht mehr getrennt ist. Da ist nur Hören, Hören, Hören … und im Hören das Wissen um Klang jenseits von Begriffen wie „Regen“, jenseits von Konzepten wie „Ich“ oder „Hören“. Das Wissen verweilt im Hören. Für diesen Moment sind sie eins.

      Heute Morgen ist der Regen so mächtig, so unwiderstehlich, so fesselnd, dass die Aufmerksamkeit sich mühelos aufrechterhält. Diese Geräusche zu erleben, hat für den Moment den denkenden Geist übertrumpft. Das ist nicht immer so und ist nicht einmal die Regel. Es ist so leicht, ins Denken zu verfallen. Ich lasse mich so leicht ablenken, mich so weit wegtragen von den Ohren, dass ich den Regen gar nicht mehr höre, ganz gleich, wie heftig er ist und obwohl der Körper und die Ohren immer noch genauso in seinem Geräusch gebadet sind wie zuvor, als es „nur dies“ gab …

      Das also ist eine elementare Herausforderung der Achtsamkeit: Im bewussten Hören zu verweilen, nur das zu hören, was da ist, von Moment zu Moment zu Moment. Klänge tauchen auf und verschwinden, Stille in und hinter den Klängen, jenseits einer Interpretation des augenblicklichen Erlebens als angenehm oder unangenehm oder neutral, jenseits aller Merkmale und Urteile, jenseits aller Gedanken über irgendetwas, nur einfach hingegeben an das Sitzen, Hören, Atmen, Wissen …

      Im Hören gibt es eine momentane Freiheit von jedem hörenden „Ich“ und vom Gehörten, von einem Wissenden und dem, was gewusst wird. Nichts fehlt. Ein Augenblick ursprünglichen Geistes, leer, wissend, unendlich. Für einen kurzen Augenblick vielleicht sind wir bei unseren Sinnen angekommen, sind wir zur „Be-sinn-ung“ gekommen. Können wir hier für eine Weile bleiben? Können wir hier leben? Was würden wir verlieren? Was gäbe es zu gewinnen? Wiederzufinden? Wann sind uns Klänge und der Raum zwischen den Klängen nicht präsent? Wann ist etwas, was wir sehen, nicht präsent? Sind wir für sie da? Können wir bei ihnen sein? Können wir das Wissen sein, in dem Wissen verweilen, aus dem Wissen heraus handeln, gänzlich präsent sein für das, was bereits da ist? Wie ist die Gefühlstönung eines solchen Augenblicks?

      Es zu „versuchen“ ist nicht die Antwort. Wir müssen nicht „versuchen“ zu hören. Aber der Geist macht gern Umwege. Können wir es wissen? Können wir es wissen?

       Selbst in Kyoto

       – Hör ich den Kuckuck rufen –

       Sehn’ ich mich nach Kyoto.

      BASHO

      *

       Sei ein Mensch, hier. Steh am Fluss, beschwöre

       die Eulen. Beschwöre Winter, dann Frühling.

       Lass jede Jahreszeit, die da sein möchte,

       rufen. Ist der Laut verschwunden, warte.

       Eine Blase quillt langsam in der Erde hoch

       und schließt allmählich Himmel, Sterne, Weltraum ein,

       sogar die rasend ausgreifenden Gedanken.

       Komm zurück und hör den leisen Ruf wieder.

       Plötzlich passt, was du erträumt,

       zu jedem Traum, und es entsteht die Welt.

       Käme ein anderer Ruf so gäbe es nicht

       die Welt, nicht dich, nicht Fluss, nicht Eulenruf

       Wie du da stehst, ist wichtig. Wie du

       lauschst auf das, was kommt. Wie du atmest.

      WILLIAM STAFFORD,

      Ein Mensch sein (Being a person)

      Landschaften des Hörens

       Es ist 6.42 Uhr an einem Morgen Ende Juni. Bei offenem Fenster bade ich im Zwitschern von Vögeln, die ich nicht kenne –Zirpen und Pfeifen, Trillern und Schnalzen, Rufe und Antworten, kurz und lang, manche nach einigen Wiederholungen schnell wiedererkannt, andere nicht so leicht wieder herauszuhören, alle moduliert, in Synkopen, melodiös und chaotisch die Luft erfüllend, die Welt mit Lied über Lied unter Lied füllend, Lied im Lied, Lied nach Lied. In einem großen Chor geht es immer weiter, von Moment zu Moment, immer wieder neu, immer jubilierend, ein Füllhorn von Klängen, das sich überallhin ausgießt.

      Gleichzeitig ist auch von einer relativ bedeutenden, ziemlich nahe gelegenen Hauptverkehrsader das deutlich zunehmende Rauschen des Verkehrs zu hören, der von der nordwestlichen Peripherie her zielbewusst in den Körper, ins Herz der Stadt fließt und unter ähnlichem Druck in Gegenrichtung hinaus. Manchmal hört man das Röhren eines mühsam beschleunigenden Sattelschleppers heraus, doch insgesamt verschmelzen das ungeduldige Quietschen von Reifen und das durchdringende Brummen der Motoren zu einem Klangstrom, der ankündigt, dass mit den Vögeln auch die Welt menschlicher Tatkraft und menschlichen Fleißes aus dem Schlaf erwacht ist.

      Eine köstliche Klanglandschaft, von Zeit zu Zeit akzentuiert vom Rauschen des riesigen norwegischen Ahorns hinter mir, nah am Haus, und vom Seufzen in den Zweigen der Hemlocktannen vor mir, die gelegentlich von sanften Windstößen gestreichelt werden, wozu die Stimmen der Hundebesitzer kommen, die in diesem Moment, beim Gassigehen auf dem ungepflasterten Fußweg unter den Tannen, ein paar Worte wechseln. Jetzt kommt auch das Heulen einer Sirene dazu, klar und deutlich, kurz, nicht wiederholt, und ab und zu das Plumpsen von etwas Schwerem, das offenbar auf dem Bauernhof unterhalb des Hügels von einem Lastwagen abgeladen wird. Von irgendwo hört man auch das Warnpiepsen eines zurücksetzenden Lasters. Diese Klanglandschaft ist immer präsent. Sie ist immer gleich und doch immer anders, während die Minuten und Stunden verstreichen. Und immer, in jedem Moment, ist da der Gesang – und das gelegentliche Schreien – der Vögel.

      Ich höre auf, über die Quelle der Geräusche nachzudenken, und gebe mich dem Hören hin. Es ist fast ein Baden im Klang, ein sinnliches Schwelgen in reinem Klang und den Zwischenräumen dazwischen, in diesen vielen Klangschichten. Nun sind sie einfach, was sie sind, werden nicht mehr identifiziert, nicht mehr auf eine angestrengte, bemühte Weise aufgenommen. Ich sitze einfach hier, Moment um Moment, empfange, was in der Klanglandschaft aufsteigt, es nicht einmal mehr ausdrücklich willkommen heißend, da es sowieso zu mir kommt (auch wenn es vielleicht gar nicht richtig gehört wird, weil der Geist woanders ist, abgelenkt von irgendetwas, das auch immer das Nachdenken über die Quelle der Geräusche sein kann, die ich höre, oder das Bewerten, welches ich lieber mag und welches nicht so, eben eine Meinung darüber statt des schlichten Hörens).

      In dieser

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