Wach werden und unser Leben wirklich leben. Jon Kabat-Zinn

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Wach werden und unser Leben wirklich leben - Jon Kabat-Zinn

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Körper, in verschiedene Richtungen, um im Wahrgenommenen als kohärente Einheit wieder zusammenzulaufen – ähnlich den separaten Blickwinkeln meiner beiden Augen, die im Raben zusammenlaufen und sich dort zu einem gemeinsamen Fokus vereinen. Meine Sinne verbinden sich in den Dingen, die ich wahrnehme, oder, besser gesagt, jedes wahrgenommene Ding führt meine Sinne zu einer kohärenten Einheit zusammen – das erst lässt mich das Wahrgenommene als ein Kräftezentrum erfahren, als ein anderes Erfahrungsgeflecht, als ein Anderes.

      Wie wir die Wahrnehmung vorhin als dynamische Partizipation zwischen meinem Körper und den Dingen beschrieben haben, so erkennen wir nun, wiederum in einem Akt der Wahrnehmung, eine Teilhabe der verschiedenen Sinnessysteme des Körpers selbst. Diese Vorgänge sind tatsächlich nicht voneinander zu trennen, denn die Verflechtung meines Körpers mit den Dingen, die er wahrnimmt, wird erst durch die Verschränkung meiner Sinne herbeigeführt – und umgekehrt. Die Anordnung meiner Sinnesorgane zueinander – die Augen sind nach vorne, die Ohren eher nach hinten gerichtet usw. – und ihre seltsame Gabelung – wir haben nicht nur eines, sondern zwei Augen, eines auf jeder Seite, ebenso zwei Nasenlöcher, zwei Ohren usw. – weisen darauf hin, dass der Körper eine auf die Welt abgestimmte Form ist; sie lässt meinen Körper zu einem offenen Schwingkreis werden, der sich erst in Dingen, im Anderen, in der ihn umgebenden Erde schließt.“4

      Eingebettet und versunken in die Welt der Natur, kennen wir sie nur durch unsere Sinne, und auch wir werden erkannt durch die Sinne anderer Wesen, darunter auch Wesen, die nicht-menschlich sind, uns aber auf ihre eigene Weise trotzdem spüren, sei es nun ein Moskito, der ein Mittagessen sucht, oder Vögel, die unsere Ankunft in einer Waldschlucht verkünden. Wir sind Teil dieser Landschaft, sind darin aufgewachsen, und wir sind immer noch im Besitz all dieser Gaben, auch wenn sie im Vergleich zu unseren Jäger-und-Sammler-Vorfahren vielleicht ein wenig verkümmert sein mögen. Der Bann der sinnlichen Natur in Abrams faszinierender Formulierung ist nicht weiter entfernt als das Geräusch des Regens, das wir aufnehmen, das Gefühl der Luft auf der Haut, die Wärme der Sonne auf dem Rücken oder der Blick Ihres Hundes, wenn Sie sich ihm nähern. Können wir es fühlen? Können wir es erkennen? Lassen wir uns davon umarmen? Und wenn ja, wann? Wann? Wann? Wann? Wann? Wann?

      3 Abram, David, Im Bann der sinnlichen Natur. Die Kunst der Wahrnehmung und die mehr-als-menschliche Welt. Mit einem Vorwort von Andreas Weber. Klein Jasedow: thinkOya, 2012.

      4 Aus: David Abram: Im Bann der sinnlichen Natur. Die Kunst der Wahrnehmung und die mehr-als-menschliche Welt, übersetzt von Matthias Fersterer und Jochen Schilk, Klein Jasedow: thinkOya 2012, S. 80–81.

      Sehen

       Wir sind ständig dabei, zu sehen: durch Linsen, Teleskope, Bildröhren … Unser Sehen wird jeden Tag weiter perfektioniert – und doch sehen wir immer weniger. Nie ist es dringlicher gewesen, über das Sehen zu sprechen … wir sind Betrachter, Zuschauer … wir sind „Subjekte“, die „Objekte“anschauen. Schnell kleben wir auf alles ein Etikett – ein Etikett, das dann ein für allemal kleben bleibt. Mithilfe dieser Etiketten erkennen wir alles wieder, aber wir sehen nichts mehr.

      FREDERICK FRANCK,

      Zen in der Kunst des Sehens

       In der Nähe meines Hauses gibt es eine Wiese, die mein Auge, wenn ich einen bestimmten Blickwinkel einnehme, besonders erfreut. Ich gehe mehrmals am Tag am unteren Ende dieser Wiese entlang, und zu jeder Jahreszeit gehe ich dort mit dem Hund spazieren. Manchmal gehe ich allein, manchmal in Gesellschaft anderer Menschen, manchmal sogar ohne den Hund. Es spielt keine Rolle. Die Wiese bietet den Vorübergehenden ständig eine Palette von Licht und Schatten, Formen und Farben und fordert dazu heraus, alles, was den Augen, Ohren, der Nase, dem Gaumen und der Haut dort dargeboten wird, auf jede mögliche Weise zu spüren und aufzusaugen. Jeden Tag, jede Stunde, mit jeder vorüberziehenden Wolke, bei jedem Wetter, zu jeder Jahreszeit ist das, was es hier zu sehen gibt, anders; es verändert sich ständig, wandelt sich mit Licht und Wärme und Jahreszeit von einem Aspekt zum nächsten, wie eine Landschaft mit Bergen und Schluchten – oder wie die Felder mit den Heuhaufen, die Monet verlockten, am selben Ort mit mehreren Staffeleien zu malen, um das unfassbare Licht und seine geheimnisvolle Rolle beim Entstehen von Gestalt und Textur, von Farbe, Schatten und Form einzufangen, während der Tag fortschritt, während die Jahreszeiten sich wandelten. Die Herausforderung besteht darin, zu sehen, dass die Welt, die wir bewohnen, uns tatsächlich überall ein solches Schauspiel bietet. Doch diese spezielle Wiese am Hang eines sanft ansteigenden und unebenen Hügels, mit zwei Stellen, an denen aus dem Boden ragende Felsblöcke die Unregelmäßigkeit noch verstärken, hat eine ganz spezielle katalytische Wirkung auf mich, besonders, wenn ich sie von unten her sehe. Wenn ich meinen Blick darauf ruhen lasse, werde ich irgendwie verändert, sozusagen neu geeicht, feinfühliger auf die innere und die äußere Landschaft eingestimmt.

      Sie schmiegt sich an den Hügel, steigt nach Osten hin sanft an, zwischen zwei anderen Wiesen, die unter Naturschutz stehen und deshalb mit Gras überwuchert sind. Die Rückwand einer blassrot verwitterten Scheune begrenzt sie nach Norden, und dahinter liegt die gepflasterte Zufahrt zu einem alten, aber gut erhaltenen weißen New-England-Bauernhaus, das mit seinen unterschiedlichen Gebäudeteilen darauf schließen lässt, dass es (ausgehend vom ältesten Teil direkt an der Straße) im Laufe der Jahre immer wieder planmäßig erweitert und ausgebaut wurde. Am selben Hang schließt sich Richtung Süden eine weitere Wiese unter Naturschutz an, die von dem eingezäunten nur durch eine Doppelreihe aus hohen Eichen und Traubenkirschbäumen getrennt ist, die zu beiden Seiten eine niedrige Steinmauer überwölben, die zweifellos noch aus der Kolonialzeit stammt, als das Land zum ersten Mal gerodet wurde und man die dabei ausgegrabenen schwarzen Granitbrocken einfach am Rand aufstapelte.

      Die Wiese, die mich so fasziniert, ist von einem hölzernen Gatter umgrenzt; an dessen Innenseite läuft ein elektrischer Weidezaun um, von dem man vor allem die gelben Isolierknöpfe sieht. Der Elektrozaun soll die zwei jungen Kühe (seine „Babys“ nennt sie unser Nachbar, der Bauer, der sie Teile des Jahres dort grasen lässt) am Weglaufen hindern.

      Das Gatter bildet ein unregelmäßiges Fünfeck, das ich lange Zeit für ein Rechteck hielt. Dann sah es auf einmal wie ein Trapez aus. Erst nach sehr eingehender Betrachtung entpuppte es sich schließlich als Fünfseiter. Die westliche, am tiefsten gelegene Seite des Gatters läuft parallel zur höher gelegenen Ostseite, und diese beiden sind so mit der Südseite verbunden, dass sie tatsächlich aussehen wie die zwei gegenüberliegenden langen Seiten eines Rechtecks – die kürzere sie verbindende Seite verläuft geradeaus den Hügel hinauf, parallel zu den zwei Baumreihen mit der Steinmauer dazwischen, die sich südlich anschließen. Nach ein paar Metern Richtung Norden, an einem kleinen Kuhstall vorbei, der unten auf der Westseite steht, läuft das Gatter ein ziemlich langes Stück diagonal nordöstlich den Hügel hinauf. Dann kommt ein Durchgangstor, bei dem diese abfallende Seite auf die kürzeste, die fünfte Seite stößt, die wiederum im rechten Winkel auf die oberste Ecke des Fünfecks trifft. Diese Konfiguration gibt der Wiese und dem Gatter ein zufälliges und unruhiges Aussehen, das sich in die Konturen des Hügels schmiegt und perfekt in den sanften Schwung dieser Landschaft passt. Vom rechten unteren Ende (Südwesten) aus – meinem Lieblings-Standort – ist bis auf das Innere des Kuhstalls und das, was er in meiner Sichtlinie verdeckt, die Wiese ganz zu sehen.

      Ich mag diese Wiese. Aus irgendeinem rätselhaften Grund belebt es mein Sehen, wenn ich unten entlanggehe und meinen Blick darüber schweifen lasse. Plötzlich ist die ganze Welt lebendiger.

      Ich sitze einen Moment im Schatten und schaue von der südwestlichen Ecke den Hang hinauf. Die Sonne steht an diesem 4. Juli schon ziemlich hoch am Vormittagshimmel und badet die Wiese intensiv in Licht und Wärme. Dank der Baumreihe an der südlichen Ecke wandert ein schmaler, sich ständig verbreiternder Schattenstreifen von rechts nach links über die Wiese. Sie ist verwildert, mit Gras überwuchert, das schon zu Braun- und Goldtönen verdorrt ist und Samen ausstreut. Hier und

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