Achtsamkeit, Meditation & Psychotherapie. Chogyam Trungpa
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Es heißt, sich selbst zu erziehen sei wie das Zähmen eines Wildpferdes, eines Pferdes, das noch nie von jemandem berührt wurde. Zuerst versucht man, ihm einen Sattel aufzulegen. Das Pferd schlägt aus, beißt, macht Bocksprünge; man versucht es immer und immer wieder. Schließlich gelingt es. Und dann schafft man es, das Halfter über den Kopf und das Gebiss ins Maul zu bekommen. Vielleicht kriegt man das Pferd nur schwer dazu, das Maul zu öffnen, aber schließlich ist das Gebiss drin.
Das ist ein großer Erfolg. Man fühlt sich gut; man hat das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Trotzdem, man muss das Pferd erst noch reiten. Und das ist ein weiterer Prozess, ein weiterer Kampf. Es ist gut möglich, dass das Pferd einen abwirft. Wenn man es schafft, die Zügel festzuhalten, kann man das Pferd vielleicht beherrschen, aber es ist immer noch eine unsichere Sache. Vielleicht bekommt man vierzig Prozent unter Kontrolle. Der Rest bleibt ein Risiko.
Unser Geist ist wie ein wildes Pferd. Er enthält Erinnerungen an die Vergangenheit, Träume von der Zukunft und die Launen des Moments. Diese Situation stellt sich als problematisch heraus, und deshalb praktizieren wir etwas, was Meditation heißt.
Das Wort Meditation hat, je nach kultureller Tradition, verschiedene Bedeutungen. Laut dem Oxford English Dictionary bedeutet Meditation, dass man über etwas meditiert.8 Zum Beispiel meditiert man, wenn man verliebt ist, über den Liebespartner. Der oder die Geliebte ist so schön, kennt außerordentliche Liebeskünste – bewegt sich so schön, küsst so schön und riecht womöglich phantastisch! Über diese Art von Gefühlen zu meditieren bedeutet einfach, dass man in etwas eintaucht, sich mit etwas beschäftigt.
Prinzipiell betrachtet, spielt ein „Meditieren über etwas“ bei der buddhistischen Meditation keine Rolle. Man mobilisiert einfach eine gewisse Geistesgegenwart und nimmt eine tadellose Haltung ein. Man hält Kopf und Schultern hoch und sitzt im Schneidersitz. Dann stellt man einen ganz simplen Bezug zu der grundlegenden Gegebenheit von Körper, Rede und Geist her und fokussiert sein Bewusstsein auf etwas, meistens auf den Atem. Man atmet ein und aus, und man erlebt dieses Atmen einfach und ganz natürlich. Der Atem wird weder als heilig noch als böse angesehen, er ist einfach Atem.
Wenn Gedanken auftauchen, schaut man sie sich einfach an und stellt fest: „Gedanke“. Nicht „guter Gedanke“ oder „böser Gedanke“. Ob man nun einen weisen Gedanken oder einen bösen Gedanken hat, man schaut ihn sich einfach an und sagt: „Gedanke“. Und dann kommt man zum Atem zurück. Indem man das macht, arbeitet man an dem Punkt, an dem man sozusagen dem Pferd den Sattel auflegt. Der eigene Geist wird geschult. Er ist nicht mehr so überdreht, nicht mehr so träge, wird zugänglicher und umgänglicher.
Diese Art der Meditation wird shamatha genannt, wörtlich übersetzt: „friedliches Verweilen“. Friede ist dabei kein euphorischer oder ekstatischer Zustand, sondern einfach eine grundlegende und erdverbundene Situation, die entsteht, wenn wir Hektik und Tohuwabohu ausschließen. Wir versuchen nicht, irgendein Ziel oder irgendeinen speziellen Seinszustand zu erreichen, weder im religiösen noch im weltlichen Sinne.
Wenn wir auf diese Weise praktizieren, so entdecken wir, dass Gedanken, die unsere Neurose aufrechterhalten, schmelzen oder verdunsten. Normalerweise schenken wir unseren Gedanken keine Beachtung. Wir kultivieren sie unbewusst, indem wir das machen, was immer sie uns befehlen. Aber wenn wir uns still hinsetzen und sie anschauen, ohne Urteil und ohne Ziel – sie einfach anschauen –, dann lösen sie sich von allein auf.
In der Shamatha-Meditation verlängert sich unsere Aufmerksamkeitsspanne auf natürliche Weise, und es entwickelt sich eine größere geistige Offenheit. Man wird stabiler und auch heiterer – frei von Tohuwabohu. Deswegen heißt sie Shamatha – friedliches Verweilen.
Das ist also das erste Stadium beim Lernen: zu lernen, wie man lernt. Das ist der erste Schritt. Zuerst nimmt man die grundlegende Idee des Ego auseinander, dieses Festhaltens an der Neurose. Darüber hinaus gibt es dann die Praxis, die als vipashyana bekannt ist – was wörtlich „Einsicht“ bedeutet. Einsicht bedeutet hier, die Dinge zu sehen, wie sie sind – ihnen keine Gier9 oder Aggression überzustülpen. Nun fangen wir an, die Meditations-Anlage zu verlassen und zu untersuchen, wie wir mit unserer Welt umgehen.
Die Welt, in der wir leben, ist fabelhaft. Sie ist ausgesprochen brauchbar. Wir sehen, wie Autos auf der Straße vorbeifahren, Häuser an ihrem Platz stehen, Bäume wachsen, Blumen blühen, Regen und Schnee fallen, Wasser fließen, der Wind uns frische Luft bringt … Umweltverschmutzung hin oder her. Die Welt, in der wir leben, ist in Ordnung, um es vorsichtig auszudrücken. Wir können uns in keinster Weise beklagen.
Wir sollten anfangen zu lernen, diese Welt zu bejahen, diesen Planeten, auf dem wir leben. Wir sollten erkennen, dass in dem, was wir sehen, keinerlei Gier, Aggression oder Ignorierenwollen existiert. Wir fangen an, indem wir achtsam werden auf unsere Schritte, während wir gehen. Dann fangen wir an zu erleben, dass es heilig ist, wenn wir uns die Haare kämmen und uns anziehen. Einkaufen, ans Telefon gehen, tippen, in der Fabrik arbeiten, zur Schule gehen, der Umgang mit unseren Eltern und Kindern, zu einer Beerdigung gehen, sich an der Rezeption der Geburtshilfe im Krankenhaus anmelden … was immer wir tun, ist heilig. Wir entwickeln diese Einstellung, indem wir die Dinge sehen, wie sie sind, indem wir auf die Energie der jeweiligen Situation achten und indem wir von unserer Welt keine besondere Unterhaltung erwarten. Es geht darum, einfach da zu sein, natürlich zu sein und immer achtsam auf alles, was sich in unserem Alltag abspielt.
Das entwickelt sich aus der Shamatha-Meditation ganz natürlich. Meditation im Sitzen ist wie Duschen. Vipashyana oder Bewusstheitspraxis ist wie das anschließende Abtrocknen und Sichanziehen.
Unsere Reise, unser Lernprozess hat also zwei Aspekte: Es gibt das Lernen durch die Meditation im Sitzen und das Lernen durch die Erfahrungen des Lebens. Und es ist überhaupt kein Problem, beides unter einen Hut zu bringen. Es ist, wie ein Paar Augen zu haben und dann eine Brille aufzusetzen. Es ist dasselbe.
2
Das grundlegend Gute entdecken
Ein Großteil des Chaos in der Welt rührt daher, dass die Menschen sich nicht leiden können. Weil sie sich selber gegenüber nie Wohlwollen oder Freundlichkeit entwickelt haben, finden sie in ihrem Seelenleben keine Harmonie und keinen Frieden, und dieses Disharmonische und Konfuse übertragen sie dann auch auf andere. Statt uns am Leben zu freuen, nehmen wir unsere Existenz oft als selbstverständlich hin oder finden sie deprimierend und mühsam. Manche drohen mit Selbstmord, weil sie das Gefühl haben, das Leben gibt ihnen nicht, was ihnen zusteht. Sie erpressen andere mit Selbstmorddrohungen und sagen, sie bringen sich um, wenn sich dies oder das nicht ändert. Sicher sollten wir unser Leben ernst nehmen, aber das bedeutet nicht, sich an den Rand des Wahnsinns zu treiben, indem man über seine Probleme klagt oder Hass auf die Welt schürt. Wir müssen persönlich Verantwortung dafür übernehmen, aus unserem Leben etwas zu machen.
Wenn man sich nicht bestraft oder verdammt, wenn man sich mehr entspannt und Körper und Geist zu schätzen beginnt, dann kommt man mit der elementaren Idee des grundlegend Guten in sich in Berührung. Es ist also enorm wichtig, dass man bereit ist, sich für sich selbst zu öffnen. Wer sich selbst gegenüber Sanftheit entwickelt, wird fähig, sowohl die eigenen Probleme als auch das eigene Potential genau wahrzunehmen. Man fühlt sich nicht gezwungen, Probleme zu ignorieren oder sein Potential aufzubauschen. Eine solche Sanftheit gegenüber sich selbst und ein solches Anerkennen seiner Selbst ist dringend notwendig. Sie liefern die Grundlage, auf der man sich und anderen helfen kann.
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