Achtsamkeit, Meditation & Psychotherapie. Chogyam Trungpa
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Die Haltung, die aus der buddhistischen Sichtweise und Praxis resultiert, ist ganz anders als diese „Fehlerfixierung“. Man erlebt seinen Geist in der Tat als ursprüng makellos, das heißt, gesund und positiv, und „Probleme“ als zeitweilige und oberflächliche Verunreinigungen. Solch ein Standpunkt bedeutet nicht, dass man Probleme „loswird“, sondern eher, dass man sie anders sieht. Probleme werden vor dem viel größeren Hintergrund der Gesundheit betrachtet: Man beginnt, das Festhalten an den eigenen Neurosen aufzugeben und die Identifikation mit und die Obsession von ihnen hinter sich zu lassen. Das Augenmerk liegt nicht mehr auf den Problemen an sich, sondern vielmehr, weil man die Natur des Geistes selbst erkennt, auf der Grundlage des Erlebens. Wenn Probleme so angegangen werden, ist die Panik nicht so groß, und alles scheint irgendwie lösbar. Wenn Probleme auftauchen, werden sie nicht mehr als pure Bedrohung angesehen, sondern werden zu Lernsituationen, zu Möglichkeiten, mehr über sich selbst herauszufinden und die eigene Reise fortzusetzen.
Durch die Praxis, die durch das Studium bekräftigt wird, wird die elementare Gesundheit im eigenen Geist und im Geist der anderen wieder und wieder erlebt. Man sieht, dass die eigenen Probleme doch nicht so tief verwurzelt sind. Man sieht, dass man tatsächlich Fortschritte macht. Man erlebt sich als jemand, der achtsamer und bewusster wird, zunehmend ein Gefühl größerer Gesundheit und Klarheit entwickelt, und das macht enorm Mut.
Letztendlich entsteht diese Orientierung am Positiven und Gesunden aus dem Erleben von Egolosigkeit, wobei westliche Psychologen mit diesem Begriff anfangs ein bisschen Schwierigkeiten hatten. Egolosigkeit heißt nicht, wie manche denken, dass in einer Art Nihilismus „nichts existiert“. Egolosigkeit bedeutet vielmehr, dass man seine Verhaltensmuster aufgeben kann und dass man, wenn man aufgibt, wirklich und wahrhaftig aufgibt. Man zimmert oder baut sich nicht sofort wieder einen neuen Panzer zusammen. Wenn man losgelassen hat, fängt man das Ganze nicht einfach wieder von vorn an. Egolosigkeit heißt, dass man sich traut, gar nichts neu aufzubauen, und dass man das seelische Wohlbefinden und die Frische erlebt, die mit diesem Nichts-mehr-Aufbauen einhergehen. Was Egolosigkeit wirklich heißt, lässt sich in vollem Ausmaß nur durch die Praxis der Meditation erfahren.
Das Erlebnis der Egolosigkeit macht Mut zu wirklicher und echter Sympathie für andere. Ist Ego vorhanden, gibt es keine echte Sympathie, denn das würde bedeuten, dass man seine Sympathie mit irgendwelchen Abwehrmechanismen absichert. Wenn zum Beispiel das eigene Ego auf dem Spiel steht, wird man in der Arbeit mit anderen wahrscheinlich alles durch die Brille des eigenen Standpunkts sehen. Das Ego stört bei der direkten Kommunikation, und die ist für den therapeutischen Prozess natürlich zentral. Auf der anderen Seite macht es Egolosigkeit möglich, dass die ganze Arbeit mit anderen aufrichtig, großmütig und ungezwungen vor sich gehen kann. Deshalb heißt es in der buddhistischen Tradition, dass man ohne Egolosigkeit unmöglich echtes Mitgefühl entwickeln kann.
Die therapeutische Praxis
Aufgabe des Therapeuten oder der Therapeutin ist es, einen Patienten mit seiner grundlegenden Gesundheit und Gutheit wieder in Verbindung zu bringen. Potentielle Patienten kommen zu uns, weil sie unzufrieden und vereinsamt sind. Statt ihnen eine Reihe von Techniken zu liefern, mit denen sie ihre Probleme bekämpfen können, ist es wichtiger, ihnen zu zeigen, wie sie erleben können, dass in ihnen eine grundlegende Gesundheit existiert. Man könnte meinen, das wäre etwas viel verlangt, vor allem wenn wir mit jemandem arbeiten, der schon lange Probleme hat. Aber die grundlegende Gesundheit des Geistes ist in Wirklichkeit zum Greifen nah und lässt sich leicht erfahren und stärken.
Natürlich versteht es sich von selbst, dass der Therapeut zuerst einmal seinen eigenen Geist auf diese Weise erfahren muss. Durch die Meditationspraxis bekommen die Klarheit und Wärme, die er für sich selbst hat, Raum, um sich zu entwickeln, und können sich auf die Außenwelt ausweiten. Folglich liefern seine Meditation und sein Studium die Grundlage dazu, in ein und demselben Bezugsrahmen mit verwirrten Menschen, mit anderen Therapeuten und mit sich selbst zu arbeiten. Selbstverständlich ist das nicht so sehr eine Sache der theoretischen oder begrifflichen Perspektive, sondern davon, wie wir persönlich unser Leben erleben. Wir können unsere Existenz voll und ganz fühlen, so dass wir es zu schätzen wissen, wirklich und wahrhaftig ein menschliches Wesen zu sein. Und das können wir anderen vermitteln, und wir können sie dabei ermutigen.
Was uns am meisten daran hindert, unseren Patienten auf diese Weise zu helfen, ist wieder die Vorstellung von einem „Fehler“ und die daraus resultierende Fixierung auf die Vergangenheit. Die meisten unserer Patienten werden in irgendeiner Weise die Vergangenheit aufarbeiten wollen. Aber dieser Ansatz kann gefährlich werden, wenn er zu weit geht. Wenn man dieser Spur folgt, muss man auf die eigene Empfängnis zurückblicken, dann auf die Erlebnisse seiner Familie davor, auf die Urgroßeltern und so weiter. Das kann sehr weit zurück führen und sehr kompliziert werden.
Der buddhistische Standpunkt betont die Unbeständigkeit und Vergänglichkeit der Dinge. Die Vergangenheit ist vorbei, und die Zukunft ist noch nicht geschehen, also arbeiten wir mit dem, was da ist: der momentanen Situation. Das hilft uns außerdem, nicht zu kategorisieren oder zu theoretisieren. Tatsächlich findet die ganze Zeit vor unseren Augen eine frische, lebendige Situation statt. Dieses nicht kategorisierende Vorgehen entsteht, indem man voll und ganz hier ist, statt zu versuchen, ein vergangenes Ereignis aufzuarbeiten. Wir müssen nicht in die Vergangenheit zurückschauen, um zu begreifen, woraus wir oder andere Menschen bestehen. Die Dinge sprechen für sich, hier und jetzt.
Während meiner Zeit in Oxford und danach war ich beeindruckt von einigen echten Stärken der westlichen Psychologie. Sie ist offen für neue Standpunkte und Entdeckungen. Sie bleibt sich selbst gegenüber kritisch. Und von den intellektuellen Disziplinen des Westens ist sie die mit dem größten Erfahrungsbezug.
Gleichzeitig aber, vom Standpunkt der psychologischen Tradition des Buddhismus betrachtet, fehlt der westlichen Herangehensweise definitiv etwas. Wie wir in dieser Einführung immer wieder gesagt haben, ist dieses fehlende Element die Anerkenntnis des Primats der unmittelbaren Erfahrung. An diesem Punkt stellt der Buddhismus eine fundamentale Herausforderung für die westliche Therapiepraxis dar und bietet eine Sichtweise und eine Methode, die die westliche Psychologie revolutionieren könnten.
TEIL I
Meditation
1
Das Pferd zähmen, den Geist reiten
Von einem nicht egoistischen Standpunkt aus gesehen beruht Lernen darauf, dass man sein Herz öffnet und einen natürlichen Sinn für Disziplin entdeckt. Disziplin heißt in diesem Fall, dass wir uns auf unsere ursprüngliche Makellosigkeit einstimmen. Wir müssen uns nichts aus der Außenwelt entlehnen, wir müssen niemanden nachahmen. Wir sind von Natur aus makellos und intelligent. Vielleicht haben wir schon eine Vorstellung davon oder Erfahrung darin, aber wir müssen uns trotzdem weiter öffnen.
Wenn wir uns zu öffnen beginnen, ist Lernen nichts Mühevolles mehr. Es ist eher, wie wenn jemand, der Durst hat, kühles Wasser trinkt. Es ist erfrischend und natürlich. Und je mehr wir lernen, desto mehr wissen wir es zu schätzen. Es ist etwas ganz anderes als militärischer Drill oder ein Lernen, das irgendwie auf Kampf beruht.
Unser