Achtsamkeit, Meditation & Psychotherapie. Chogyam Trungpa
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In diesem Sinne hoffen wir, dass die Lektüre dieses Buches zum Nachdenken anregt und dass es genauso viele Fragen aufwirft, wie es beantwortet. Wir hoffen, dass dieser Band ein wertvolles Handbuch wird für Studenten der Psychologie und Philosophie, für alle, die in Gesundheits- und Heilberufen arbeiten, und für viele weitere Leser, die mehr wissen wollen über Meditation und die Natur ihres eigenen Geistes.
CAROLYN ROSE GIMIAN
MÄRZ 2004
Prolog
Die Begegnung von buddhistischer
und westlicher Psychologie
Erfahrung und Theorie
Die traditionelle buddhistische Psychologie betont die Bedeutung direkter Erfahrung in der psychologischen Arbeit. Wenn man sich nur auf die Theorie verlässt, geht etwas Grundlegendes verloren. Vom buddhistischen Standpunkt aus ist das theoretische Studium nur ein erster Schritt und muss durch ein Training im direkten Erleben des Geistes selbst ergänzt werden, bei einem selbst und bei anderen.
In der buddhistischen Tradition wird dieser empirische Aspekt durch die Praxis der Meditation kultiviert, eine Beobachtung des Geistes aus erster Hand. Meditation ist im Buddhismus keine religiöse Praktik, sondern vielmehr ein Weg, die tatsächliche Natur des Geistes und der Erfahrung zu klären. Gemäß der Tradition hat die meditative Schulung drei Aspekte: shila (Disziplin), samadhi (die eigentliche Meditationspraxis) und prajna (Einsicht).
Shila ist der Prozess einer generellen Vereinfachung des eigenen Lebens und der Beseitigung unnötiger Komplikationen. Um eine echte geistige Disziplin zu entwickeln, ist es zuerst einmal nötig zu sehen, wie wir uns ständig mit Nebensächlichkeiten und Kleinigkeiten belasten. In buddhistischen Ländern beinhaltet Shila meist, dass man ein Leben gemäß den Vorschriften für Mönche und Nonnen führt oder sich an die buddhistischen Laienregeln hält. In der säkularen Welt des Westens könnte Shila einfach heißen, dass man für sein Leben eine generelle Haltung der Einfachheit kultiviert.
Nummer zwei ist Samadhi oder Meditation, das Herzstück der praktischen Schulung im Buddhismus. Bei dieser Übung sitzt man da und richtet seine Aufmerksamkeit gelassen und achtsam auf den Atem. Der zweite Schritt bei der Meditationspraxis besteht darin, zu bemerken, wenn die Aufmerksamkeit vom Atem abgeschweift ist, und sie wieder zum Atem als dem Bezugspunkt zurückzubringen. Man nimmt eine Haltung reiner Aufmerksamkeit gegenüber den verschiedenen Phänomenen ein, die während der Übung in Körper und Geist aufsteigen, einschließlich aller Gedanken, Gefühle und Empfindungen. Man könnte Meditation einen Weg nennen, Freundschaft mit sich selbst zu schließen, weil sie ein aggressionsfreie Form des Erlebens darstellt. Tatsächlich lautet die traditionelle Bezeichnung für Meditation „friedliches Verweilen“. Somit ist die Praxis der Meditation ein Weg, das eigene Dasein von Grund auf zu erfahren, jenseits aller Verhaltensmuster.
Shila ist die Grundlage für die Praxis, und Samadhi ist der konkrete Weg der Praxis. Das Ergebnis davon ist Prajna oder die Einsicht, die sich durch die Meditation bei einem zu entwickeln beginnt. Wenn man Prajna erlebt, beginnt man direkt und konkret zu sehen, wie der Geist tatsächlich funktioniert, seine Mechanik und seine Reflexe, von Moment zu Moment. Prajna wird traditionell „unterscheidende Bewusstheit“ genannt, wobei dieses „Unterscheiden“ kein Diskriminieren ist. Prajna ist vielmehr eine vorurteilslose Erkenntnis der eigenen Welt und des eigenen Geistes. Es unterscheidet in dem Sinne, dass es Verwirrung und Neurose klärt.
Prajna ist unmittelbare Wahrnehmung, frei von Begriffen, aber gleichzeitig liefert es die Basis für intellektuelles Studium. Weil man die Realität der eigenen geistigen Funktionen tatsächlich gesehen hat, entsteht der natürliche Wunsch, zu klären und zu artikulieren, was man erfahren hat. Und es herrscht eine spontane Neugier, wie andere das Wesen und Funktionieren des Geistes zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig jedoch, während einen die eigene unmittelbare Einsicht zum Studium hinführt, ist es notwendig, eine kontinuierliche Disziplin meditativer Übung aufrechtzuerhalten. Auf diese Weise verkommen Einsichten nie zu bloßen Begriffen, und die eigene psychologische Arbeit bleibt lebendig und frisch und stabil verankert.
In der buddhistischen Kultur Tibets, in der ich geboren und erzogen wurde, wurde immer auf ein Gleichgewicht zwischen praktischer Schulung und Theorie geachtet. Als ich ausgebildet wurde, sah unser Tagesablauf im Kloster regelmäßige Zeiten sowohl für das Studium wie auch für die Praxis der Meditation vor. Im Laufe eines Jahres waren auch immer spezielle Zeiten für intensive Studien und Meditations-Retreats reserviert. Es war für unsere buddhistische Tradition selbstverständlich, dass ein solches Gleichgewicht Voraussetzung war für echte Lernprozesse.
Als ich in den Westen kam, 1963 nach England, bemerkte ich mit einiger Überraschung, dass in der westlichen Psychologie das Theoretische gegenüber der praktischen Erfahrung ein enormes Übergewicht besitzt. Natürlich wurde dadurch westliche Psychologie für jemanden aus einer anderen Kultur wie mich unmittelbar zugänglich. Ein Psychologe aus dem Westen fordert einen nicht zum Praktizieren auf, sondern sagt einem sofort, was er treibt. Ich fand das unkompliziert und auch angenehm. Aber gleichzeitig fragt man sich, wie tiefschürfend wohl eine Tradition ist, die sich so stark auf Begriffe verlässt und einem so bereitwillig alle Türen öffnet.
Auf der anderen Seite scheint westlichen Psychologen intuitiv klar zu sein, dass es nötig ist, viel mehr Gewicht auf das direkte Erleben des Geistes zu legen. Vielleicht ist das der Grund, warum so viele von ihnen sich für den Buddhismus zu interessieren begonnen haben. Vor allem am Zen lockt sie das Rätselhafte. Und das Flair unmittelbarer Erfahrung, die Möglichkeit der Erleuchtung, der Eindruck des Tiefgründigen sind sehr verlockend. Es scheint, dass diese Leute im Buddhismus etwas suchen, was ihnen in ihren eigenen Traditionen fehlt. Dieses Interesse scheint mir durchaus berechtigt, und in dieser Hinsicht hat der Buddhismus etwas Wichtiges zu bieten.
Wenn Psychologen aus dem Westen den Buddhismus zu studieren beginnen, taucht fast immer eine wichtige Frage auf: Muss man Buddhist werden, um etwas über den Buddhismus zu lernen? Die Antwort ist natürlich nein, aber es muss zurückgefragt werden: Was wollen wir denn lernen? Das Wichtigste, was der Buddhismus einem Psychologen aus dem Westen zu sagen hat, ist, wie man sich direkter auf das eigene Erleben einlässt, seine Frische, seine Fülle, seine Unmittelbarkeit. Dazu braucht man kein Buddhist zu werden, aber man muss Meditation praktizieren. Es ist natürlich möglich, buddhistische Psychologie nur theoretisch zu studieren. Damit würde man aber den Sinn der Sache verfehlen. Ohne den Rückhalt der Erfahrung würde man am Ende lediglich buddhistische Auffassungen durch die Brille westlicher Begriffe interpretieren. Eine ordentliche Portion Meditation ist für die Arbeit mit einem selbst und anderen wirklich notwendig. Sie hilft einem enorm, egal, ob man sich auch für den Buddhismus an sich interessiert.
Manchmal ist es sehr schwer, Menschen im Westen die Bedeutung der Erfahrungsdimension zu vermitteln. Bald nachdem ich aus Indien nach England gekommen war, gründeten wir unser Meditationszentrum „Samye Ling“ in Schottland, und wir entdeckten, dass eine Menge Leute mit psychischen Problemen sich hilfesuchend an uns wandten. Sie hatten schon alle möglichen Therapien gemacht, und viele von ihnen waren ziemlich neurotisch. Sie betrachteten uns als Ärzte, die medizinische Arbeit leisteten, und wollten von uns kuriert werden. Ich stellte fest, dass es bei der Arbeit mit diesen