Achtsamkeit, Meditation & Psychotherapie. Chogyam Trungpa
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Selbst innerhalb der buddhistischen Tradition gibt es viele Spielarten der Meditation. Es gibt bedeutende Unterschiede in den Techniken und wie sie angewandt werden, und das hat Einfluss darauf, wie man die Meditation erlebt und welche Schlussfolgerungen man vielleicht hinsichtlich der Natur des Geistes und der Wirklichkeit zieht. Man könnte sagen, dass diese Unterschiede vergleichbar sind mit dem Blick durch verschiedene Objektive. Wir können etwas mit dem bloßen Auge betrachten, wir können Linsen benutzen, die Kurz- oder Weitsichtigkeit korrigieren, wir können durch ein Mikroskop schauen, wir können ein Fernrohr nehmen und das All betrachten. Jedes Mal bietet sich uns ein anderer Anblick. Manche dieser Perspektiven bestätigen die alltägliche Auffassung von der Realität, manche zeigen uns einen Aspekt der Welt, der völlig anders ist als das, was wir vielleicht erwartet haben. Galileo Galilei wurde als Ketzer verteufelt, weil er beschrieb, was er sah, als er sein Fernrohr in den Himmel richtete. Die Meditation kann uns eine Perspektive bieten, die womöglich genauso revolutionär ist.
Jegliches Werkzeug, auch die Meditation, kann natürlich aber auch dazu benutzt werden, lediglich das zu bestätigen, was wir bereits glauben, wobei wir alles ignorieren, was mit unseren Ansichten über die Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Oder aber wir können es dazu benutzen, mit einer offenen Einstellung das Terrain zu erkunden, was uns zu neuen Erkenntnissen führt. Chögyam Trungpas Ansatz war der des Forschers. Die Technik, die er lehrte, ermuntert uns, unsere Überzeugungen erst einmal auf Eis zu legen, ohne allzu viele vorgefasste Meinungen vorzugehen und ohne allzu viele Schlussfolgerungen weiterzumachen. Sei einfach. Sitz einfach. Warte mal ab. Das ist sein Rezept.
Gleichzeitig aber, als einer, der bereits ausgiebige Forschungsreisen unternommen und die Arbeit anderer Forscher zu Rate gezogen hat, informiert er uns auch über die Hinweisschilder, die sich auf dem Weg finden. Und er entlässt uns auch nicht einfach in den Dschungel, damit wir uns den Weg freikämpfen, sondern zeigt uns einen Weg, wie wir anfangen und wie wir weitermachen können; er gibt uns die Werkzeuge an die Hand, die wir für unsere Reise brauchen. Ganz einfach gesagt, sind das: unser Körper und unsere Sitzhaltung als Hilfsmittel zur Orientierung und als Ausdruck unserer grundlegenden Wachheit und menschlichen Würde; unser Atem als Mittel, unsere reine Aufmerksamkeit zu fokussieren, als Erinnerung an unsere Lebenssituation, unsere Lebendigkeit und, in einer tieferen Dimension, als ein Mittel, unseren Geist mit Raum zu durchmischen; schließlich die Techniken, unsere Gedanken zu etikettieren – anzuerkennen, dass wir denken – und mit leichter Hand eine gewisse Bemühung aufzuwenden, damit wir in der Gegenwart bleiben und uns auf die Gegenwärtigkeit unseres Erlebens einlassen können. Er ermutigt uns, unser gesamtes Wesen und unser gesamtes Erleben auf das Meditationskissen zu bringen. Bring das Chaos; bring die Verwirrung; bring das Gepäck. Lass nichts weg; schiebe nichts zur Seite. Bring alles her. Klammere dich nicht daran fest, sondern lass es gut sein. Warte mal ab.
Chögyam Trungpas Ansatz bei der Meditation – ein Ansatz, der nicht zielorientiert ist – ist ein ziemlich radikales Rezept der Lebensführung. Die Technik, die er lehrte, beruht darauf, eine Wertschätzung für den gegenwärtigen Moment zu entwickeln, indem man sich auf ein nicht festgelegtes Daseinsgefühl einstimmt. Dieser Ansatz beruht nicht darauf, Konzentration zu entwickeln, obwohl er Bewusstheit3 fördert. Er ist keine Entspannungstechnik, obwohl er hilft, ein Gefühl der Zufriedenheit zu entwickeln, indem man akzeptiert, was man ist. Er ist auch nicht in erster Linie eine Methode, Probleme zu überwinden oder Dinge zu ändern, die wir an uns selbst nicht mögen. Dieser Ansatz umfasst vielmehr den Reichtum und die Komplexität – sogar das Chaos – unseres Erlebens. Er beruht darauf, dass man sich für sich selbst öffnet, statt etwas verdrängen oder verändern zu wollen. Chögyam Trungpa sagte ganz oft, Meditation heiße, Freundschaft mit sich selbst zu schließen.
Man könnte sagen: Weil durch die Praxis der Meditation, so wie er sie präsentierte, nichts verändert wird, wird alles verwandelt. Wenn wir aufhören, auf uns einzuprügeln und zu denken, dass mit uns etwas nicht stimmt, bringt das eine fundamentale Erlösung mit sich und lindert unser Leiden und unsere Ängste. Statt ein künstliches Werkzeug zur Überwindung unserer Verwirrung zu fabrizieren, bringt uns die Meditation in Verbindung mit der Klarsicht und der Wachheit, die unserem Erleben inhärent sind. Während uns die Meditation also helfen kann zu sehen, dass viele unserer festgelegten Vorstellungen über uns selbst und unsere Welt fragwürdig sind, so ist sie doch andererseits keine Technik, die uns entmutigen, deprimieren oder den Boden unter den Füßen wegziehen sollte. Sie ist eher ein Weg, unser Leben, uns selbst und andere zu bejahen.
Manchmal müssen wir uns in der Meditationspraxis auch mit unseren schwierigen Seiten auseinandersetzen. Wir sollten jedoch erkennen, dass es grundlegende Intelligenz ist, die uns überhaupt befähigt, hinzuschauen und unser Leben zu untersuchen. Ohne sie könnten wir die Fragen gar nicht stellen. Diese Erkenntnis könnte für uns der erste echte Schimmer grundlegender geistiger Gesundheit sein. Wenn wir unsere eigene Wachheit zu würdigen beginnen, sehen wir auch, dass das menschliche Leben insgesamt etwas Machtvolles und Heiliges hat. Dieser Kontakt zu einer größeren Dimension ist die Basis dafür, andere wertzuschätzen und ihnen von da aus wirklich zu helfen.
Trungpa Rinpoche hatte das Gefühl, dass westliche Adepten der Meditation, wie auch westliche Therapeuten und Therapien, oft unter mehr oder weniger starken Nachwirkungen des Glaubens an die „Erbsünde“ litten. Er sprach in diesem Zusammenhang von einer Fixierung auf Gefühle der Schuld und der Verdammnis, dem Gefühl, wir würden etwas Böses tun oder uns sei etwas Böses angetan worden, und das sei die Wurzel unserer Probleme. Im Gegensatz zu diesem Schuldgefühl, das er als etwas dem Buddhismus völlig Fremdes ansah, sprach er vom „grundlegend Guten“ als der Grundlage des Erlebens und der Meditationspraxis. Das „grundlegend Gute“ ist gut ohne Kontrast zu „schlecht“, ist Gutes als Boden jeder Erfahrung, bevor die Polarität von Gut und Schlecht überhaupt einsetzt. Von diesem Standpunkt aus ist irgendeine Sünde oder ein Verbrechen nicht die fundamentale Ursache unseres Problems, wenn auch vielleicht ein verschärfender Faktor. Wir brauchen keine Angst zu haben, dass wir, wenn wir uns öffnen, bei uns einen schrecklichen Defekt oder ein schreckliches Geheimnis entdecken. Wenn die Wolken der Verwirrung sich verziehen, entdecken wir, dass ein schlichtes Missverständnis vorliegt, und das entpuppt sich als unser irriger Glaube an ein feststehendes Selbst oder Ego. Wir entdecken, dass unser Wesen wie die Sonne ist, die am Himmel scheint: strahlend und von Grund auf ungehindert. Die Entdeckung des „Mythos Ego“ führt uns zum zweiten Teil des Buches.
Geist
Teil zwei, „Geist“, präsentiert Schriften über die Natur des Geistes und die Entwicklung des Ego aus buddhistischem Blickwinkel. Dieser Abschnitt untersucht einige der Einsichten, die sich ergeben, wenn man das eigene Erleben durch das Vergrößerungsglas der Meditation betrachtet. Wo die klinische Psychologie im Westen mit der Untersuchung oft im Stadium voll entwickelter Gedanken, Emotionen und Gemütszustände ansetzt, beginnt der buddhistische Ansatz auf einem fundamentaleren Niveau und betrachtet die Bausteine und grundlegenden Funktionen des Geistes, des Intellekts und des Selbst. Der Ansatz, den Trungpa Rinpoche präsentiert, beginnt mit grundlegendem Raum, einem offenen Raum, der mit dem ursprünglichen Zustand der Intelligenz und Wachheit zusammenhängt, der sich durch alles Erleben hindurchzieht. Die verschiedenen Komponenten dessen, was wir gewöhnlich für unser Selbst oder unser Ego halten, erwachsen auf diesem oder inmitten dieses grundlegenden Bodens. Wenn wir in Panik geraten – als Reaktion auf den verunsichernden Aspekt dieser Offenheit –, versuchen wir, die offene Weite einzufrieren, und wir erschaffen die Welt der Dualität, die Welt des Ego. In den buddhistischen Lehren wird Ego als eine überflüssige und trügerische Kreation betrachtet, eine