Brücke sein. Christian Herwartz

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Brücke sein - Christian Herwartz

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offen zu werden für das, was jetzt dran ist, empfinde ich als Herausforderung. Denn es kann sein, dass für das Opfer etwas ganz anderes dran ist als für den Täter. Aber die Versöhnung, auf die ich hoffe, ist die Begegnung von beiden.

      Wie dieser Prozess abläuft, in dem wir herausfinden, was jetzt dran ist, ist von zwei Schritten geprägt: Als Erstes geht es darum, wirklich zuzuhören, ohne etwas zu sagen und ohne zu verurteilen. Und der zweite Schritt besteht darin, zu spüren, was angemessen ist, wie sie als Opfer auf ihre Erlebnisse reagieren können und ob es für sie dran ist, auch etwas zu fordern. Ich als Zuhörer setze mich damit auseinander und spüre nach, was ich davon verstehen und bejahen kann. Beispielsweise habe ich von Menschen die Forderung gehört, dass alle Jesuiten, die von dem Missbrauch gewusst haben, »eliminiert« werden sollen. Damit war gemeint, dass sie von ihrer Position entbunden, aus dem Orden ausgeschlossen und auch nicht christlich beerdigt werden sollen. Für mich sind das überdrehte Forderungen, die ich nicht verstehen kann. Für die Fordernden ist es wiederum schwer verständlich, dass diese Menschen meine Mitbrüder und Jesuiten bleiben. Wir als Orden sind eine kranke Familie, die sich von dem Missbrauch distanzieren muss, aber nicht von dem Menschen, der einen anderen missbraucht hat.

      Ich möchte die Opfer dabei unterstützen, auch zu ihren Forderungen zu stehen. Mein Wunsch ist, dass Heilung passiert, aber ich kann sie nicht machen, und ich muss aufpassen, dass ich nicht aus dem Prozess aussteige, wenn er nicht schnell genug geht und Heilung nicht sichtbar passiert.

      Etwas Verbindendes gibt es in beiden Situationen, in meiner Annäherung als Jesuit an das RAF-Umfeld und im Hinschauen auf die Missbrauchsfälle in Institutionen der Jesuiten: Es geht darum, ganz aus den eigenen Bildern und Vorstellungen, wie etwas zu sein hat, auszutreten. Nur wenn das gelingt, kann eine tief greifende Infragestellung der eigenen Machtausübungen passieren. Was nicht sein darf, was undenkbar ist, kann so überhaupt erst einmal ins Blickfeld rücken. Auch die RAF-Mitglieder und ihre Familien sind Menschen, die auf ihre Weise an etwas glauben. Auch Jesuiten sind Menschen, die schweres Fehlverhalten ausüben können.

      Bis heute ist dieser Prozess der Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten der Machtausübungen auch deshalb nicht abgeschlossen, weil es ein Prozess ist, den nicht nur ich als Einzelner, sondern zugleich auch mein Orden als Ganzes, als Institution, durchläuft. Dass diese Auseinandersetzung den Orden beinah auseinanderreißt, betrifft mich. Denn die Frage, wie sich jeder von uns mit dem Vorgefallenen auseinandersetzen mag, wird bis heute höchst unterschiedlich beantwortet. Die Reaktionen meiner Mitbrüder reichen von »am liebsten gar nicht«, »betrifft mich nicht« bis zu »das ist eine Chance für einen neuen Aufbruch«.

      Es gibt die spontane Reaktion, sich hinter eines der vielen möglichen »Aber« zurückzuziehen: Aber ich habe gar nichts getan. – Aber ich konnte keine Entscheidungen treffen, als es passiert ist. – Aber mir waren die Ausmaße der Übergriffe gar nicht klar. – Aber ich bin nicht mehr in der Lage, mich zu erinnern und darüber zu reden, ich bin zu alt und krank.

      Das ist eine erste Reaktion der Abwehr, weil es eben moralisch verwerflich ist, so was zu tun, zumindest sieht man es heute so, auch die Täter. Und so kommt es zu einem Schweigen. Dann braucht es eine Bekehrung der Sichtweise. Das ist so ähnlich wie nach dem Krieg, da hat alle Welt gesagt: »Nee, nee, das ist gar nicht so gewesen, wie ihr das erzählt, ihr, die ihr Opfer geworden seid.« Diese Bekehrung bedeutet ja, einen Schmerz anzunehmen, und dieser Schmerz wird verdrängt. Dann kommt es irgendwann doch zur Bekehrung, aber die ist nicht bei allen zur selben Zeit – manche nehmen’s mit ins Grab –, und ich kann auch nicht erzwingen, dass sie bei allen gleichzeitig stattfindet. Das macht so eine Aufarbeitung wahnsinnig schwer. Also in diesem Schweigen und diesem Weggucken (»Das muss doch mal genug sein«) immer wieder neu in die Offenheit zu treten, dass es vielleicht doch noch was zu sehen gibt, was ich nicht gesehen habe, und dass Reaktionen nötig sind, die ich vorher nicht gesehen habe, und mich dann zu fragen: Wie gehe ich mit dem Erkenntnisfortschritt um, den ich jetzt habe? Kann ich sagen: »Ich sehe heute, dass das Unrecht war, auch wenn ich das gestern nicht gesehen habe«? – in diesen Prozess einzutreten, das nenne ich Bekehrung.

      2010 wurde den Opfern endlich Gehör geschenkt, und es zeigte sich, dass ihre Würde der Macht der Kirche geopfert worden war. Da mussten wir Jesuiten uns alle auf einen inneren Prozess einlassen und jeder für sich entscheiden, ob er die Erzählungen der Opfer hören oder aber ihre Berichte beiseiteschieben wollte. Tatsächlich haben manche von uns geglaubt, dass bald Gras über die Sache wachsen würde, und sich fürs Weghören entschieden. Das ist heute, 2013, nicht anders. Die Spaltung im Orden besteht weiter und spiegelt sich auch in der Weltkirche, die angesichts der notwendigen strukturellen Veränderungen aufgrund dieser Verbrechen in ihren eigenen Reihen schnell mutlos wird.

      Wir Jesuiten haben in unseren Ordensregeln festgelegt, dass wir uns gegenseitig begleiten und uns jeweils zu zweit engagieren. Es geht dabei um Offenheit, nicht um Misstrauen und Kontrolle. Genau das einzuüben ist nicht einfach, umso weniger, als wir Jesuiten in sehr unterschiedlichen Arbeitsfeldern leben und ein Austausch der Fragen und der Freude darüber nicht mal eben so zwischendurch möglich ist. So wird die angemahnte Begleitung in vielen Arbeiten der Jesuiten nicht praktiziert und ist aus meiner Sicht auch ein Grund dafür, dass es zu Vereinzelungen kommen konnte und dazu, dass Missstände nicht offen angegangen, sondern vertuscht werden.2

      Mich berührt dabei eine Frage ganz besonders: Wo passiert es jetzt? Wo gebrauche ich, wo gebraucht der Orden jetzt im Moment seine Macht auf eine Weise, die andere verletzt? Wenn ich mich einmal entschieden habe hinzusehen, dann sind meine Augen offen und ich bin sensibel geworden.

      Wesentlich scheint mir die Auseinandersetzung mit unserer männlichen Macht. Eine Bekehrung ist notwendig, also ein Akzeptieren der Wirklichkeit in möglichst allen Dimensionen. Das betrifft mich als Einzelnen, den Orden, die Kirche und auch die Gesellschaft: Es geht darum, auch das Erschreckende ganz wahrzunehmen. Damit einher geht auch die Frage nach der Position der Frau in der katholischen Kirche oder auch, welche Haltung die Kirche zu den vielen gelebten Formen von Liebe einnimmt.

      Sich auf diesen Prozess einzulassen hat für mich etwas mit Wandel und Lebendigbleiben zu tun, damit, Verbindung aufzunehmen zu dem, was uns Menschen jetzt bewegt. Die große Herausforderung besteht darin, einen Weg zu finden, wie das im Einklang mit unserer Überzeugung geschehen kann.

      Sabine Wollowski: Du hast im Zusammenhang mit dem Umgang und der Auseinandersetzung mit den Opfern und Tätern von Missbrauch den Begriff »Bekehrung« verwendet. Kannst du ihn noch etwas weiter ausführen?

      Christian Herwartz: Bekehrung beinhaltet, immer mehr Wirklichkeit wahrzunehmen. Ich muss an Bernard Glassman denken, 1939 in New York als Sohn jüdischer Emigranten geboren, der Zen-Meister wurde und 1996 mit seiner damaligen Frau die »Zen Peacemakers« gründete. Die Peacemakers laden seit 1996 unter anderem zu Retreats in Ausschwitz ein, um mit Menschen aus muslimischen, jüdischen, buddhistischen und christlichen Bereichen vor dem ehemaligen Verbrennungsofen zu meditieren. Dabei handeln sie nach den drei Grundsätzen der Zen Peacemakers: Nichtwissen, Zeugnis ablegen und liebende Haltung. (Mehr dazu auf: www.zenpeacemakers.org)

      Das ist eine sehr bewegende Frage: Wie kann ich mich dieser Realität im ehemaligen Konzentrationslager stellen und darin zum Leben finden?

      Mich hat sehr beeindruckt, dass Bernard Glassmann die Retreats seit vielen Jahren begleitet und dann gesagt hat: Jetzt können das andere weitermachen. Und er war zwei Jahre nicht dabei. Aber dann hat er gemerkt, dass er wieder zurück muss, weil es wichtig ist, sich der Realität immer wieder neu zu stellen.

      So etwas Ähnliches erfahren wir auch mit unseren Gottesdiensten vor dem Abschiebeknast in Berlin: Wir müssen immer wieder hingehen, weil wir es sonst vergessen. Bekehrung kann man nicht einfach machen und dann hat man sie, sondern sie ist etwas Lebendiges, was immer wieder reaktiviert werden muss.

      In so einer Handlung wie der

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