Brücke sein. Christian Herwartz

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Brücke sein - Christian Herwartz

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eine Bekehrung und wieder eine Lebensperspektive zu finden … das ist eine besondere Art von Bekehrung, die nicht so oft vorkommt. Obwohl Bekehrung wohl immer etwas mit Gewalt zu tun hat – entweder auf Gewalt reagiert oder Gewalt auslöst. Also das Vorstoßen zur Wahrheit, auch zur eigenen Wahrheit, ist so umwerfend, ist meine Erfahrung, dass das nicht nebenbei passiert.

      SW: Es stellt die Dinge auf den Kopf.

      CH: Ja klar. Zum Beispiel ist es für mich atemberaubend, wenn ein Mensch sagt: Ich bin nicht von dem Geschlecht, mit dem ich gesehen werde, sondern ich habe ein anderes, und ich will dazu stehen. Aber genauso: Ich habe Gott verleugnet, aber ich weiß jetzt, dass er der Lebensspender ist. Es sind ganz krasse Lebensumbrüche. Dieses Hinhören und Sich-dadurch-Verändern, das ist das Leben, und es ist immer wieder ganz neu, welche Früchte das trägt.

      SW: Gibt es ein Bild oder eine Geschichte aus der Bibel, das dir in diesem Zusammenhang sehr wichtig ist?

      CH: Der beste Freund von Jesus war ja Petrus. Und der hat Jesus eine Liebeserklärung gemacht und ihn Christus genannt. Kurz darauf, in diesem Vertrauen, erkannt zu sein, weiht Jesus die Jünger ein und kündigt an, dass er nach Jerusalem gehen und dort umgebracht werden wird. Da sagt sein Freund Petrus: Das darf nicht geschehen. Und daraufhin nennt Jesus ihn Satan. Das ist dieser Schritt hin zur Wahrheit: Jesus sieht, wie Petrus ihn von seinem Weg, den er gehen muss, abhalten will, und erkennt dessen Reden als Versuchung. In die Wahrheit zu treten kann also auch heißen, den eigenen Freund als Satan zu sehen und ihn als Versucher zu erkennen. Das ist auch mein Erlebnis jetzt, dass ich manche Dinge als Versuchung erkenne, die in diesem Missbrauchsskandal auftauchen. Für mich ist es ein unheimliches Geschenk, ein paar Mitbrüder zu finden, die das genauso sehen. Insofern ist es bis jetzt sogar eine größere Eingliederung in den Orden gewesen.

      SW: Warum?

      CH: Weil ich Mitbrüder gefunden habe, denen es genauso geht wie mir und die auch nach einem Weg suchen, jetzt nicht in ein Vergessen zu gehen, sondern mit dieser Wunde weiterzusuchen, wohin der Weg führt. Das sind die beiden, mit denen ich das Buch herausgegeben habe, aber auch Klaus Mertes und andere. Das macht mich sehr froh. Also Bekehrung ist Offenheit leben, auch wenn das im ersten Moment erschrecken mag.

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      Treffen der Arbeiterpriester 2008

      In Freiheit zur eigenen Entscheidung stehen

      Schon einmal in meinem Leben habe ich in mir einen Ruf gespürt, der nicht in den vorgesehenen Rahmen im Orden passte: Als junger Mann und Priester wollte ich unter Arbeitern leben.

      Damals war die Zeit der 68er, die eine neue Sicht auf die Gesellschaft ermöglichte. Dazu gehörten die Diskussionen über den Krieg und das Dritte Reich. Von den Nazis praktizierte Methoden, wie die zwangsweise Heimerziehung oder die Ausgrenzungen psychisch Kranker und Strafgefangener, die auch nach Kriegsende weiter gang und gäbe waren, konnten infrage gestellt werden. Weltweit erkämpften sich Kolonien ihre Selbstständigkeit, und in der Kirche hatte das Zweite Vatikanische Konzil mit vielen festgefahrenen Vorstellungen aufgeräumt und neue Perspektiven eröffnet. Theologievorlesungen auf Latein wurden ebenso abgeschafft wie Gottesdienste, die von Priestern mit dem Rücken zur Gemeinde gefeiert wurden. In dieser Zeit des Aufbruchs, doch noch unter der Glocke des Kalten Krieges, durfte ich studieren. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass ich den Lehrstoff mit relativ wenig Aufwand bewältigen und dadurch ausführlich meinen eigenen Fragen nachgehen konnte.

      Im zweiten Jahr meines Philosophiestudiums fragte mich mein Freund Michael Walzer in München auf einem Spaziergang während einer Vorlesungspause, ob ich mit ihm in einer Fabrik eine manuelle Arbeit suchen wolle. Er war in einem Dorf aufgewachsen und hatte erlebt, wie sich die Schüler und Lehrlinge nach der Grundschule sortierten: Die einen besuchten das Gymnasium und saßen auf der Fahrt in die Stadt vorne in der Straßenbahn; die anderen gingen zur Hauptschule und später in die Lehre und saßen hinten. Der Kontakt war unterbrochen, die gesellschaftliche Kluft wurde eingeübt. Michael wollte diesen Graben zwischen bürgerlich geprägten Menschen und Arbeitern überwinden. Ich sagte, ohne eine Minute zu zögern, Ja. Ich wollte mit ihm gehen. Sieben Jahre mussten vergehen, bis wir unser Vorhaben verwirklichen konnten. Als wir damals unser Anliegen im Orden vortrugen, gab es noch kein offenes Ohr dafür. Dennoch haben wir unsere Idee nicht verworfen, sondern weiter damit gelebt. Ich machte den Lkw-Führerschein und jobbte während meines Theologiestudiums in Frankfurt einmal in der Woche als Umzugshelfer. Jeden Donnerstag stand ich morgens mit in der Reihe der Kollegen vor einer Umzugsfirma und wartete auf Arbeit. Wir waren alle Tagelöhner, die meisten meiner Kollegen hatten schon einmal im Gefängnis gesessen. Auf dem Weg zu dieser Arbeit bin ich 20 Minuten Straßenbahn gefahren und habe im Neuen Testament gelesen. In diesen 20 Minuten war mir, der ich Theologie studierte und im Verstehen und Auslegen trainiert war, die Frohe Botschaft Jesu näher als je zuvor. Ich habe die Verbindung zu meinem Leben gespürt, in den Texten Fragen gefunden, die ich mir auch stellte, und gemerkt, dass ich nicht der Erste war, der sich mit solchen Erfahrungen auseinandersetzte. So wurde mir eine weitere Tür geöffnet, an der ich nicht vorbeigehen konnte. Wenn ich die Bibel nicht nur als Studienbuch wahrnehmen wollte, musste ich sie mit meinen Erfahrungen von Ausbeutung, Ausgrenzung und Verachtung zusammenbringen.

      Auch die Beschäftigung mit der Theologie der Befreiung, wie sie damals in Lateinamerika praktiziert wurde, ermutigte mich. Sie bildete den Schwerpunkt in meinem Studium. Ungerechtigkeiten wie die Teilung der Menschen in Arme und Reiche sind in ihr nichts Gottgewolltes, sondern entsprechen dem materiellen Interesse einzelner Menschen und Gruppen.

      Um einen Weg aus der Verelendung zu finden und um auch als Ausgeschlossene aus dem Evangelium heraus christlich zu leben, bildeten Lateinamerikaner selbst organisierte Basisgemeinden. Mit ihnen wollte ich in meiner europäischen Welt solidarisch sein, erzählte von dieser Bewegung in Vorträgen, unterrichtete Religion in Berufsschulen und suchte nach Wegen, Ähnliches zu wagen. In den Semesterferien ging ich weiter arbeiten, einmal auch mit Michael in Bottrop. Besonders gegenwärtig aus dieser Zeit ist mir ein Erlebnis in einem großen Kohlenbunker. Dort arbeitete ich mit zwei türkischen Kollegen zusammen, und zur Frühstückszeit setzten wir uns einfach irgendwo in den Staub. Die beiden Kollegen brachen ihr rundes Brot in Stücke und gaben auch mir etwas ab. Ich nahm das Brot und aß davon. Bis heute lebe ich aus der Erinnerung an dieses spontane Brotbrechen, wie es der auferstandene Jesus mit den beiden Jüngern in Emmaus getan hat. Im Lukasevangelium wird erzählt, wie sie ihn dabei plötzlich in dem vermeintlichen Fremden erkannten und sich erinnerten, wie ihr Herz gebrannt, als er mit ihnen auf dem Weg gesprochen hatte (Lukasevangelium 24,32). Ich hatte nun in dem Kohlenbunker selbst ein Abendmahl mit Jesus erlebt, wie es in der Kirche gefeiert wird.

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      Europäisches Treffen der Arbeiterpriester 2007 im Tempel in London

      In dieser Zeit lernten wir auch andere Arbeiterpriester kennen, die ähnlich wie wir eine manuelle Arbeit gesucht hatten und mit Arbeitern leben wollten. Die Freundschaft zu Gleichgesinnten half uns, an unserer Hoffnung auf den gemeinsamen Weg festzuhalten und diese auch vor anderen auszusprechen. Und so gab es einige Zeichen, die uns bestärkten, abzuwarten, bis die Zeit reif für unser Anliegen sein würde. Der Kreis der Arbeiterpriester hat sich in Deutschland später erweitert und umfasst jetzt Frauen und Männer aus verschiedenen Kirchen, die einen solchen Schritt in manuelle Berufe gewagt haben. Heute heißen wir Arbeitergeschwister.

      Am Ende meines Studiums lud mich ein befreundeter französischer Arbeiterpriester, der während meines Studiums in Deutschland in einer Fabrik beschäftigt gewesen war, in seine neue Jesuiten-Kommunität in Toulouse ein. Mit dieser Einladung ging ich zu meinen Ordensoberen und brachte mein Anliegen erneut vor. Ich wurde nicht mit offenen Armen empfangen. Gefängnisseelsorge war für mich vorgesehen. Ich beharrte auf

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