Brücke sein. Christian Herwartz

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Brücke sein - Christian Herwartz

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nicht – immer wieder neu stellen müssen, damit es wirklich eine Bekehrung ist. Es kann auch sein, dass die Bekehrung blockiert ist, weil Ängste bestehen oder ein Nicht-wahrhaben-Wollen. Dann ist vielleicht zuerst Heilung oder Befreiung dran, und es ist gut, genau hinzuspüren, welches der nächste Schritt sein kann: Bekehrung oder erst einmal die Vorbereitung darauf. Genau so wichtig ist aber auch das Vertrauen darauf, dass es möglich ist, dass ich auch in meiner Identitätsvorstellung bekehrt werden kann. Ich kann aus diesem »Ich muss das oder das sein« austreten in die Freude des Seins, also in die Freude, dass ich bin. Diese verschiedenen Schritte der Bekehrung sind alle ein Geschenk, ich kann sie nicht konstruieren nach dem Motto »Man nehme …« wie in einem Kochbuch. Sondern alles, was ich dafür tun kann, ist, offen dafür zu werden, und dann kann sich ganz unvermittelt dieses Glücksmoment einstellen. Wichtig ist auch, dieses Moment nicht als alltäglich beiseite zu schieben, sondern es als Glücksmoment anzunehmen. Das ist ein wichtiger Teil von Bekehrung: sich zu erinnern. Deshalb ist ein wiederholtes Zurückkehren an den Punkt der Bekehrung auch etwas ganz Entscheidendes.

      SW: Ich versuche noch mal zusammenzufassen, weil es wirklich sehr komplex ist. Bekehrung siehst du als einen Schritt, mehr Wirklichkeit wahrzunehmen als vorher, also sich mehr zu öffnen und mehr sehen zu können. Und du sagst, das geht manchmal nicht sofort, weil vielleicht Angst da ist oder ein Schmerz. Da möchte ich in Bezug auf die Geschichte mit den Jesuiten fragen: Was ist das für eine Angst? Was ist das für ein Schmerz, der manche Menschen von der Bekehrung abhält?

      CH: Es gibt diese äußere Bekehrung, also Wirklichkeit zu sehen, und diese innere, sich dazu zu stellen und sich selbst zu befragen: Wer bin ich angesichts dieser Ereignisse? In dem Konflikt mit den Jesuiten ist beides da: zum einen, den Fakt zuzulassen, dass da ein Verbrechen vorliegt, und das nicht zu verkleinern und auch nicht ein bisschen wegzuschieben. Und zum anderen auch zu fragen: Wer bin ich dadurch geworden, obwohl ich gar nicht der Täter war, aber vielleicht mit einer Illusion von Orden gelebt habe oder einer Illusion von Kirche als dem heiligen Ort auf der Erde? Und zu merken, dass er nicht so heilig ist, wie ich ihn in meiner Vorstellung und meiner Identitätssuche gesehen habe. Das ist eine Umkehr, die Bekehrung zu einem neuen Bild von Kirche und von mir selbst darin.

      SW: Und das erfordert Mut.

      CH: Ja, Mut, dass dieses ewig Richtige eben nicht ewig richtig ist. Also dass das Leben weitergeht und – wie soll ich das sagen? – ich das nicht erzwingen kann beim andern. Das ist wahnsinnig schwer. In der Gesellschaft werden dann die Geschütze aufgefahren und die Juristerei wird bemüht, aber das ist ja alles äußerlich. Entscheidend ist doch: Wie weit geht es innerlich? Da geht es oft gar nicht mit Vorwürfen. Es ist eine Frage des Vertrauens, ob ich mit dem anderen so reden kann, dass er sich öffnet und dass ich mich öffne und dann vielleicht auch eine Furcht spüre, die mir vorher gar nicht bewusst war, aber die Tarnung fallen lasse, die Schuhe ausziehe. Ich denke, diesen Weg zu gehen, ist allgemein menschlich, das hat nichts mit einer Religion zu tun.

      SW: Ja. Aber die katholische Kirche ist gezwungen worden, aktiv zu werden, weil sich die Opfer zu Wort gemeldet haben – zum Teil ja schon viel früher – und die Bereitschaft da war, zu hören.

      CH: Die Frauen haben das in den 80er-Jahren sehr oft gesagt und viele Artikel geschrieben und so, und sie sind auch ganz überwiegend die Leidtragenden von sexuellem Missbrauch. Man rechnet damit, dass in Deutschland jede dritte oder vierte Frau solche Erfahrungen in ihrer Jugend gemacht hat. Das ist ein Krebsgeschwür für mich.

      Diesmal waren es Männer. Männern wird gesellschaftlich irgendwie schneller zugehört. Und man hat einen Sündenbock gehabt, in diesem Fall die Kirche, das hat es auch leichter gemacht. Aber es ist ein ganz kleiner Prozentsatz in der Gesellschaft, in der das unter diesem Vorzeichen passiert, und den entscheidenden Sprung haben wir noch lange nicht gemacht. Aber ich bin der Meinung, dass wir vor der eigenen Haustür zu fegen haben, und die Erfahrung, die wir gemacht haben, einmal festzuhalten. Das war der Grund für dieses Buch, Unheilige Macht, das ein Anfang ist, endlich hinzugucken und nicht mehr wegzugucken. Ich habe gelernt, dass die schwierigste Geschichte in dem ganzen Missbrauchsthema ist, dass die Betroffenen ihren Vertrauenspersonen sofort davon erzählt haben, sieben Mal im Durchschnitt, und es erst, wenn die darauf nicht hören, zu dieser Verdrängung über Jahre kommt. Der Kern des Missbrauchs ist für mich das Nichthören, und damit sind wir wieder bei unserem Thema. Damit sind wir auch beim Grundthema der Juden: »Höre Israel!« Oder bei anderen Religionen. Es geht darum, wieder ins Hören zu kommen. Deshalb gibt es in diesem Buch auch ein zusätzliches Kapitel unter dem Titel »Bekehrung lässt sich nicht eingrenzen: Wohin wir noch schauen wollen«. Wie reagiere ich denn dann darauf? Habe ich aus diesem Unglück gelernt oder höre ich auch hier wieder weg? Das ist für mich die spannende Frage. Wir haben am Ende des Buches eine ganze Reihe Themen aufgelistet, wo wir noch gar nicht hinhören, wo wir noch nicht die Kraft dazu haben.

      SW: Kannst du sagen, wie das bei dir persönlich ist? Was hat sich bei dir verändert, dein Bild von Kirche oder deine Identität als Jesuit?

      CH: Das ist eine sehr gute Frage. Ich kann vielleicht noch gar nicht alles sagen, weil ich noch mitten in dem Prozess stecke. Aber ich weiß, ich kann die Kirche und den Orden nicht mehr ohne diese Verbrechen sehen. Das bremst mich, glorifizierende Aussagen zu machen. Wenn ich von Kirche rede, kann ich das nicht mehr in der gleichen Weise wie vor 30 Jahren. Ich kann das noch nicht genauer benennen, ich weiß nur, das geht nicht mehr. Zum Glück hat mir das Vertrauen von Menschen, die durch solche Schmerzen gegangen sind, einen Zugang erhalten zu dieser Wirklichkeit, die ich noch nicht auf den Punkt bringen kann.

      SW: Du hast gesagt, dass du früher von Kirche anders sprechen konntest als jetzt?

      CH: Ich habe mich früher ein bisschen ferngehalten von den ganzen sexuellen Fragen, weil ich das als Ablenkung gesehen habe von der sozialen Frage, vor die ich gestellt war und auch weiter gestellt bin. Aber jetzt ist mir klar, dass diese Fragen auch wichtig sind, dieser Teil der Kirche, den ich für furchtbar zerstörerisch halte. Jetzt haben sich die Fragen vor die Tür gelegt, und ich kann nicht mehr so tun, als wenn ich sie nicht anschauen müsste.

      SW: Um es noch stärker einzukreisen: Geht es dir um die Haltung zu Sexualität – es muss ja gar nicht nur Missbrauch sein, sondern auch zum Beispiel die Haltung zu Homosexualität?

      CH: Vielleicht sollte man besser sagen: Wie wird mit Liebe umgegangen, die in der Kirche so hochgehalten wird und zugleich in der Gesellschaft in konkreten Formen gelebt wird und gerade in so einer Umbruchszeit wie der unseren sehr vielfältige Formen angenommen hat? Wenn ich in diesem Bekehrungsprozess aufwache, merke ich, dass ich mit all diesen verschiedenen Formen der Liebe schon Kontakt gehabt habe. Als ich nach Berlin kam, wurde ich von Homosexuellen angesprochen, ob ich nicht ihr Seelsorger werden könnte. Und ich habe Kontakt zu Menschen, die ihre Geschlechtswelt umgewandelt haben. Eine Mutter zum Beispiel, die einen Sohn geboren hat und heute ein Mann ist. Oder lesbische Beziehungen. Wenn ich da hingucke, merke ich, wie ich mich selbst in diesem Prozess verändert habe. Zu dieser Veränderung auch Ja zu sagen ist ein Teil dieses Bekehrungsprozesses.

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      Sabine Wollowski und Christian Herwartz

      SW: Aber gibt es da nicht einen Unterschied? Wenn du als Seelsorger oder Priester angefragt wirst, kannst du das in deinem Alltag einfach tun oder auch nicht, je nachdem, wie es dir in den Kram passt. Aber was du in deinem eigenen Leben erfährst, betrifft dich ganz anders, genauso wie die Frage, was davon auch in einem größeren Rahmen öffentlich werden kann, oder?

      CH: Ich wollte in meinem Leben nie vorrangig professionell, distanziert als Helfer oder Seelsorger tätig sein. Deshalb wurden die Fragen der anderen auch oft zentral meine eigenen.

      Es gibt Situationen, die von außen so drängen, dass ich mich ihnen nicht entziehen kann. Und diese Anfragen der Missbrauchten, ihnen zuzuhören, sind so ein Fall, wo ich mich nicht entziehen konnte.

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