Schweiß, Schlamm und Endorphine. Iris Hadbawnik
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Genau das wollten wir ändern. Das war die Geburtsstunde von Getting Tough – The Race. Etwas blauäugig, aber mit unglaublich viel Herzblut setzten wir unsere Ideen um und veranstalten 2012 unser erstes eigenes Rennen. Mittlerweile zählt The Race nicht nur zu den härtesten OCR-Rennen der Welt, es wird regelmäßig von der Community zum besten Wettkampf Deutschlands gekürt.
OCR ist nicht mehr aufzuhalten und zählt zu den am schnellsten wachsenden Sportarten weltweit. Die Rennen variieren von Sommer-Spaß-Läufen bis hin zu knallharten 24-Stunden-Wettkämpfen in der Wüste. Interessant ist auch, dass Hindernisläufer bereit sind, weite Strecken zu überwinden, um an Wettkämpfen teilzunehmen.
Raffael Zeller hat diesen wunderbaren Sport verinnerlicht. Er hat viele Länder bereist und gesehen und miterlebt, wie sich dieser Sport in den letzten Jahren auf der ganzen Welt entwickelt hat, wie er gewachsen ist und welche Veränderungen er durchlaufen hat. Raffael ist ein Hindernisläufer der ersten Stunde. Er kennt die Szene wie kaum ein anderer und lebt diesen wunderbaren Sport.
Ihm ist ein Buch gelungen, das seinesgleichen sucht: modern, informativ und der beste Weg dahin, selbst OCR-Läufer, -Finisher und vielleicht -Gewinner zu werden!
FASZINATION EXTREM-HINDERNISLAUF:
MEIN WEG DURCH DEN SCHLAMM
»Nur wer Sich der Herausforderung Stellt, wird an ihr wachsen.«
Warum mir damals gerade jene Worte in den Sinn kamen, kann ich heute nicht mehr mit Gewissheit sagen. Um mich herum sah ich Dutzende schmerzverzerrte Gesichter. Hart gesottene Sportler, die vor mehr als einer Stunde noch mit lautstarkem Geschrei in den Wettkampf gestartet waren, lagen nun ringsherum verstreut auf dem Boden. Wie die Maikäfer auf dem Rücken versuchten sie, mit Tränen in den Augen, ihre Beinmuskulatur zu dehnen. Ein schmerzhafter Krampf jagte unerbittlich den nächsten. Abrupt zog sich ein Muskel zusammen und schien dabei den gesamten Bewegungsapparat zu lähmen. Nichts ging mehr. Sanitäter und Streckenposten eilten herbei, um Abhilfe zu schaffen, doch jede noch so intensive Liebesmüh war vergeblich. Der Krampf biss unbarmherzig zu. Immer wieder. Auch bei mir.
Hindernisbahn bei der Weltmeisterschaft des Militärischen Fünfkampfs 2016 in Madrid
Es war der 28. Januar 2007. Die Temperaturen schwankten um den Gefrierpunkt. Die Sonne versteckte sich hinter einer dicken Wolkenschicht, und es war alles andere als reizvoll, sich kopfüber in eisige Tümpel zu stürzen. Ich war tropfnass, mein Longsleeve mit einer dicken Matschkruste bedeckt, und meine Beine spürte ich schon seit einigen Kilometern nicht mehr. Ich befand mich mittendrin im legendären Tough Guy, einem Extrem-Hindernislauf im britischen Wolverhampton. Wie ein Lauffeuer hatte sich das Event in den 90er-Jahren in der Extremsport-Szene herumgesprochen. Ein Lauf über Hindernisse? Cool! Wie beim Militär? Nichts wie hin! Und das zu einer Zeit, in der in Deutschland vergleichbare Rennen noch lange nicht in aller Munde waren und man die passende Zielgruppe, geschweige denn derartige Wettkämpfe vergeblich suchte.
Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt kein unbeschriebenes Blatt, was Hindernisläufe betraf. Bereits 1989 kam ich in der Grundausbildung bei der Bundeswehr mit meiner ersten Hindernisbahn in Berührung. Für mich war das zunächst nichts Spektakuläres, auch wenn diese Trainingsform bei vielen meiner Kameraden gehasst bis gefürchtet war. Erst viele Jahre später, als ich mich für den Kader des Militärischen Fünfkampfs qualifizierte, spürte ich das erste Mal, dass mir das Hindernislaufen ganz besonders lag. Für viele war die vorgegebene Zeit, in der man die Bahn absolvieren musste, schlichtweg nicht machbar. Ich schaffte es zu meiner eigenen Überraschung in der Hälfte. Es schien, als ob genau diese Sportart eine tief in mir verborgene Leidenschaft befriedigte. In der Jugend hatte ich Fußball gespielt, Leichtathletik gemacht und mich später beim Boxen sogar bis zum Hessischen Meister im Superschwergewicht hochgeboxt – und ich hatte mittlerweile auch mit dem aktiven Laufen begonnen. Aber all das war mir auf Dauer zu eintönig geworden. Die Abwechslung, während des Laufens Hindernisse zu überwinden, war wie eine Erfüllung meiner gesamten sportlichen Bedürfnisse. Die Kombination aus Koordination und Konzentration, aus maximaler Kraft und elementarer Ausdauer, aus Vollgas und totaler Fokussierung – das war mein Element. Die Herausforderung.
Viele dieser Läufe hatte ich als Reserveoffizier bereits bestritten. Im Militärischen Fünfkampf, der aus Schießen, Hindernisbahnlauf, Hindernisschwimmen, Handgranatenwerfen und Orientierungslauf besteht, war ich damals schon für die Bundeswehr bei internationalen Wettkämpfen an den Start gegangen. Ich hatte Spaß daran, war schnell und belegte bei der Weltmeisterschaft 2002 in Frankreich den 1. Platz.
Als ich danach von kommerziellen Extrem-Hindernisläufen hörte, war ich wie elektrisiert. Der Tough Guy sollte meine Feuertaufe werden. Ich war perfekt vorbereitet und heiß darauf, dieses legendäre Rennen bestmöglich zu bestreiten. Doch dieser Wettkampf war anders und mit keinem meiner Militärwettkämpfe zu vergleichen. Während diese allesamt in den Sommermonaten stattfanden, ertönte beim weltweit bekanntesten Extrem-Hindernislauf das Startsignal in der kältesten Jahreszeit. Nämlich am letzten Wochenende im Januar. Eine besondere Herausforderung – wie ich recht bald zu spüren bekam.
PER ASPERA AD ASTRA: DURCH DAS RAUE ZU DEN STERNEN
Auf einer Strecke von etwa 11 Kilometern (7 Meilen) waren 21 teilweise gewaltige Hindernisse zu bewältigen. Vom Start weg ging es erst über eine reine Laufstrecke, immer wieder die Hügel hoch und runter, bis man die Killing Fields erreichte. Also das Schlachtfeld, auf dem die Läufer erstmals auf die künstlichen Hindernisse trafen. An Seilen hochziehen, haushohe Gerüste überklettern, über brennende Heuballen springen, Passagen mit herunterhängenden, stromgeladenen Kabeln durchqueren, durch Kanalröhren kriechen – und immer wieder durchs eiskalte Gewässer. Laufend, schwimmend oder tauchend. Teilweise zugefroren oder mit messerscharfen Eisschollen bestückt.
Grundsätzlich bereitete mir all das keine Probleme. Was jedoch für mich und rund 90 Prozent aller Teilnehmer völlig neu war, war die Tatsache, dass wir alle total auskühlten. Von der Taille abwärts war ich sprichwörtlich wie gelähmt. Meine Füße waren wie Eisklötze, und auch meine Beine schienen ab der Mitte des Rennens ihre Funktion gänzlich einzustellen. Wie zwei leblose Stumpen fühlten sie sich an, die ich mühsam zu beherrschen versuchte. Das war nicht nur äußerst strapaziös und hinderte mich daran, mein Tempo zu laufen, um Körperwärme zu produzieren, auch die Verletzungsgefahr erhöhte sich drastisch. Ich hatte keinerlei Kontrolle mehr darüber, wie ich meine Füße aufsetzte und wo ich dabei hintrat. Anderen ging es genauso. Stürze waren also vorprogrammiert – sehr zur Freude der johlenden Zuschauermassen.
Eines der letzten Hindernisse waren mehrere hüfthohe, in einer Reihe aufgebaute Abwasserkanalröhren aus Beton. Die Aufgabe war denkbar leicht: einfach überklettern oder, wer dazu noch fähig war, locker darüber hinwegflanken. Normalerweise ein Kinderspiel. Doch für uns total unterkühlte Sportler nun der größte Albtraum. Aus dem Laufen kommend, sollten wir urplötzlich die Beine in die Waagerechte bringen. Das war der Supergau! Die Krämpfe bissen gnadenlos zu. Kaum einer kam mehr ohne Schmerzen über dieses prinzipiell ganz einfache Hindernis hinweg. Viele wälzten sich am Boden und stöhnten vor Qualen.
»Du hast jetzt genau zwei Möglichkeiten«, registrierte ich blitzschnell, als die ersten Krämpfe mein rechtes Bein durchzuckten. »Du kannst ebenso die Maikäfer-Stellung wählen und dich am Boden wälzen oder aber bewusst mit dem Krampf zusammenarbeiten und schnellstmöglich das erlösende Ziel erreichen!« Per aspera ad astra – durch das Raue zu den Sternen.
Extremsport ist zu 80 Prozent reine Kopfsache. Glück und Erfolg